Ein Fest der Musik und des Theaters. Ariadne auf Naxos am Aalto-Musiktheater Essen

Gerade eine Woche ist es her, dass wir in einem mittelgroßen Haus im Badischen eine desaströse Ariadne erlitten haben. In Essen, welch ein Glücksfall, werden wir mehr als entschädigt. In Essen  – auch ein mittelgroßes Haus – ist alles anders. Hier präsentiert man eine geradezu perfekte Ariadne auf Naxos, eine Aufführung, die fasziniert und bezaubert, bei der alles stimmt, alles harmoniert: Musik, Gesang und Inszenierung. Ein Orchesterklang, bei dem jede Stimme klar herauszuhören ist, der nie die Sänger zudeckt, ein Orchester, das unter der Leitung von Maestro Soltesz den hochartifiziellen, den, wenn man so will, manieristischen Strauss-Klang zu zelebrieren weiß. Auf der Bühne Sängerschauspieler, die in Stimme, Spiel und Bühnenerscheinung die komplexen Strauss-  und Hofmannsthal-Figuren makellos und brillant zu repräsentieren verstehen: den Komponisten – in der Person der Michaela Selinger,  die Ariadne  – in der Person der Karine Babajanyan, die Zerbinetta  – in der Person der Julia Bauer und Bacchus  -in der Person des Jeffrey Dowd – um nur die Protagonisten zu nennen.

Ähnlich hohes Niveau zeichnet die Inszenierung aus, für die Michael Sturminger verantwortlich zeichnet. Die Regie verzichtet von vornherein auf alle Mätzchen und Albernheiten und auf alle billigen Aktualisierungen. Sie lässt – ganz wie es das Libretto will -Theater auf dem Theater spielen, Oper in der Oper und weiß doch Varianten der Handlung, Varianten oder blinde Motive, die im Text angelegt sind und die Hofmannsthal nicht weiter verfolgt hat, auszugestalten: die erwachende Liebe zwischen dem Komponisten und der Zerbinetta, die konsequenterweise nicht den virilen Harlekin, sondern den androgynen Komponisten sich zum Favoriten erkürt und Harlekin und ihre anderen Partner den „Dienerinnen“ der Ariadne überlässt.  So wird aus dem scheinbaren Fest des Todes ein Fest der Liebe. Ein ‚ lieto fine‘, wie es die Schemata der opera seria verlangen oder wie es die  traditionelle   Symbiose von Eros und Thanatos nahe legt.

Spielzeit ist die Zeit von heute. Ort der Handlung ist die Bühne und die  Hinterbühne eines Opernhauses. Im Vorspiel : die Rückseite der Kulissen mit ihren Aufbauten, Gerüsten und Scheinwerfern, mit den Bühnentechnikern, die noch einmal die Bühnenmaschinerie  überprüfen, mit den Requisiteuren, die die Requisiten noch einmal auf Vollständigkeit kontrollieren, eben Theater, konkret: vorbereitendes Theater auf dem Theater, das eine geschickte Personenregie mit leichter Hand in Szene setzt.

Es versteht sich von selber, dass eine Regie, die ganz auf den Zauber des Theaters setzt, auf eine Umbaupause, die diesen Zauber zerstören würde, verzichten muss. In Essen spielt man die Ariadne ohne Pause durch. Es bedarf nur einer Drehung der Bühne, und schon sind wir in der opera seria, und im Finale da bedarf es nur einer ganz sanften, kaum merklichen Drehung, und seria und Vorspiel scheinen ineinander über zu gehen, zu einer ungespielten Premierenfeier. Und „das für punkt neun Uhr anbefohlene Feuerwerk“ liefert dafür den Auftakt –  nein, den Schlusstakt der Ariadne auf Naxos.

Wir sahen die Aufführung am 6. Dezember. Die Premiere war am 1. Dezember 2012.