Ein barockes Fest der Stimmen. Teseo und Arminio bei den Händel Festspielen in Karlsruhe

Hier singen Primadonna und seconda donna, primo uomo und secondo uomo gleichsam um die Wette. Hier in Karlsruhe singen und agieren in diesem Jahr Barocksänger der ersten Garnitur. Hier wird ein Festival der Stimmen angeboten, wie man es in dieser Zusammensetzung höchst selten hört. Max Emanuel Cencic in der Titelrolle des Arminio, Valer Sabadus als Teseo, Vince Yi als secondo uomo in der Rolle des Sigismondo im Arminio. Und die Damen stehen hinter den Counter kaum zurück. Yetzabel Arias Fernández als gleich von zwei Countern umschwärmte Primadonna im Teseo. Layla Claire als Primadonna im Arminio in der Rolle der liebenden und leidenden Tusnelda, die fest zum Ehemann und ‚vaterländischen Helden‘ Arminio steht.

Welche Arien soll man zitieren? Die nur vom Cembalo begleitete Auftrittsarie des Teseo, die Valer Sabadus im Pianissimo singt oder die „Schlummerarie“ der Agilea aus dem vierten Akt oder die bravourösen Rachearien der Medea?  Oder die melancholische „Gefängnisarie“, die Cencic als das Lied vom Tode gestaltet. Oder die Bravourarie mit Oboenbegleitung „Quella fiamma“, wie sie der Soprancounter Vince Yi einem geradezu atemlos lauschenden Publikum vorträgt?  So, denkt man, muss es wohl zu Händels Lebzeiten geklungen haben – diese Kombination, dieses Ineinander-Übergehen von virtuosem Gesang und nicht minder virtuosem Soloinstrument. Und man ahnt, warum in jener Zeit  die Opernstars wie heutige Popstars gehandelt und behandelt wurden.… → weiterlesen

Giacomo Meyerbeer, Le Prophète. Eine aktualisierte Reality-Show am Badischen Staatstheater Karlsruhe

Revolte in der Banlieue, ein Fanatiker als Muttersöhnchen und Tyrann nebst Belcanto in der Tiefgarage. Spannend und (manchmal) unterhaltsam ist das Spektakel, das Theatermacher Tobias Kratzer in Karlsruhe in Szene setzt, alle Male.

Die Regie transponiert die Geschichte vom Aufstieg, Terror und Untergang der Wiedertäufer und deren Propheten  aus der Reformationszeit in die Pariser Vorstädte von heute, hängt dem scheinbar so charismatischen Anführer der Sektierer und Revoluzzer einen Ödipuskomplex an – und lässt doch Belcanto zu. Und dies nicht nur beim scheinbar so idyllischen Beginn, sondern vor allem im vorletzten Bild, wenn Fidès, die Mutter des Propheten (in der Person der Ewa Wolak), auf der Ladefläche eines Kleinlasters in der Tiefgarage hocken muss und trotz dieser für die Sängerin mehr als unbequemen Lage einfach grandios singt. Le sublime et le grotesque, das Schöne und Hässliche, verschränken, überlagern sich – ganz wie es sich für eine Grand opéra aus romantischer Zeit gehört.

Ob der sublime Belcanto all die Hässlichkeit, als dieses Hyperreale, in dem die Inszenierung schwelgt, als Kontrastprogramm  braucht? … → weiterlesen

Die Venus Eva von Nürnberg nebst „Albtraum der Rezeptionsgeschichte“ und ihrer Komik. Tobias Kratzer inszeniert Die Meistersinger von Nürnberg am Badischen Staatstheater Karlsruhe

Ist es ein Sakrileg, wenn ich gleich sage, dass ich nicht wegen der Musik, sondern wegen der Inszenierung nach Karlsruhe gefahren bin? Nicht wegen Richard Wagner, sondern wegen Tobias Kratzer. Vor ein paar Jahren hatte uns in Leipzig sein so ganz ungewöhnlicher Admeto begeistert. Und jetzt waren wir neugierig, wie dieser „Opernregisseur des Jahres“ wohl Wagners ‚Komödie für Musik‘ in Szene setzen würde. Wir wurden nicht enttäuscht. Ganz im Gegenteil. Sieht man einmal von Stefan Herheims Traumerzählung ab – in diesem Sinne verstand dieser im vorigen Jahr in Salzburg die Meistersinger, dann ist Kratzers Inszenierung eine der brillantesten, die wir in den letzten Jahren gesehen haben.

Aus ihrer Konzeption macht die Regie von Anfang an kein Geheimnis: der eiserne Vorhang ist zugeklebt mit Aufführungsplakaten der Meistersinger aus den unterschiedlichsten Jahren und an den unterschiedlichsten Häusern. Das Signal an die Zuschauer ist eindeutig: Wir kennen die Tradition, wir zitieren sie, wir ‚schaffen Neues‘. Und so schaffen wir gleich im ersten Akt die Kirche ab und begnügen uns mit dem Übungsraum einer Musikhochschule. Im zweiten Akt da zitieren wir auf der Drehbühne gleich drei Formen der Rezeption: das biedermeierliche Butzenscheibenambiente zu Beginn, zur Fliederszene die Wieland Wagner Scheibe in dessen Inszenierung vom Jahre 1956, und bei der Beckmesser-Szene  und zum Finale  da sind wir dann bei der Trash Manie von heute angelangt. Im dritten Akt verzichten wir ganz auf den Plunder beim Aufzug der Stände auf der Festwiese. Die Festwiese ersetzt die Regie durch ein Fernsehstudio, in dem Beckmesser und Stolzing um den großen Preis singen, ein Wettstreit, den ein festlich gekleidetes Publikum auf den  Seitenbühnen über Großbildschirme verfolgt und kommentiert.  Hans Sachs darf seine nostalgische Rede auf die deutsche Kunst vor dem eisernen Vorhang halten, das Karlsruher Aufführungsplakat mit seinem Porträt aufkleben und sich mit den Resten der deutschen Kunst davon machen: mit ein paar Notenbüchern und einer Zierpflanze, die  allesamt in einem Pappkarton Platz finden.  Und Stolzing und Eva? Stolzing hat es zum Chorleiter an der Musikhochschule gebracht und während er den Choral einstudiert, da hat Eva sich schon den nächsten Liebhaber in den Vorraum bestellt. Ein zirkulärer Schluss oder Die Meistersinger von Nürnberg in der Endlosschleife.

All dies setzt die Regie mit ‚Witz‘ und Brillanz, souverän und gekonnt in Szene. Sie weiß um die Tragik und implizite Komik der Hans Sachs Figur und um die bei aller Aufgeschlossenheit für ‚Neues‘ simple Oberflächlichkeit des Stolzing, kennt das Sirenenhafte der Eva, die kleinbürgerliche Spießigkeit der kleinen Meister. Doch all dies lässt sie eher in der Schwebe, denunziert zu keinem Zeitpunkt die Figuren. Im Gegenteil. Sie aktualisiert sie und deckt dabei ‚Neues‘ an ihnen auf.

Kratzer erzählt die bekannte Geschichte neu oder setzt zumindest die Akzente anders und rückt dabei die Figur der Eva stärker ins Zentrum des Interesses. Das scheinbar so brave und wohl behütete Töchterchen eines Professors an der Musikhochschule – die Meistersinger sind wohl allesamt, ob jung oder alt,  kauzige Hochschullehrer, wie man sie zuhauf an  den Universitäten des Landes findet –  die scheinbar so brave Eva, mag sie auch so artig Choral singen, ist eine Venus aus der Kleinstadt. Zur Ouvertüre turtelt sie mit Professor Sachs an der Kaffeebar, beim Choralsingen flirtet mit einem Jungmann im proletarischen Outfit (bei Wagner ein gewisser Ritter Stolzing), in der Johannisnacht vergnügt sie sich mit ihrem proletarischen Liebhaber in und hinter Müllsäcken und schickt ihn anschließend los, Döner zu holen, zum Abschied von Sachs zieht sie diesen noch einmal schnell auf den Teppich, beim Preissingen kriecht sie durchs Studie und irritiert gezielt den armen Beckmesser, und im Finale da ist Ritter Stolzing wohl schon ein gehörnter Ehemann.  Der nächste proletarische Jungmann wartet schon im Vorzimmer.

„Wahn, Wahn! Überall Wahn“. Nicht ganz so, Professor Hans Sachs. Wahn vermischt mit Komik – so signalisiert es die Regie. Und damit trifft sie wohl den Sachverhalt. Die Meistersinger eine „Komödie für Musik“, bei der Altes und Neues durcheinander gewirbelt werden, Traditionen einfach nur Spielmaterial sind, Ingredienzen der Komödie mit ein paar Prisen Tragik gemischt werden und das alles ohne ideologischen Fingerzeig. Eine außergewöhnlich gelungene Inszenierung.

Und die Musik? Keine Frage, dass in Karlsruhe auf hohem Niveau musiziert und gesungen wird und dass, um nur ein Beispiel zu nennen, Renatus Meszar in der Rolle des Hans Sachs als Sänger und Schauspieler überragend ist. Bei den Karlsruher Meistersingern dominiert indes die Szene  und fesselt die Aufmerksamkeit des Publikums. Und so nimmt man – so erging es zumindest mir – Wagner letztlich nur noch als Soundtrack wahr. Präsent ist er indes immer: als Gipskopf auf der Bühne.

Wir sahen die Aufführung am 19. Juni 2014. Die Premiere war am 27. April 2014.

 

In maurischen Gärten und Palästen, in Rokoko Kostümen bei Kerzenlicht: Riccardo Primo bei den Händel Festspielen in Karlsruhe

Zum Auftakt präsentiert das diesjährige Karlsruher Händel Festival einen Highlight in Szene und Musik, eine echte Rarität, Händels Oper über König Richard Löwenherz, der seine Braut, die spanische Prinzessin Costanza, aus der Gefangenschaft und von den Gelüsten des tyrannischen Königs von Zypern befreit. Zu Hilfe kommen ihm dabei dessen Tochter Pulcheria und Oronte deren Geliebter. Doch die Handlung ist bei diesem Feuerwerk von Arien jeglichen Typus, das in dieser Oper ‚abgebrannt‘ wird, nur eine quantité négligeable.

Primo Uomo und Primadonna, Riccardo und Costanza (in den Personen von Franco Fagioli und Emily Hindrichs), Secondo Uomo und Seconda Donna, Oronte und Pulcheria (in den Personen des Nicholas Tamagna und der Claire Lefilliâtre), singen, wenn ich Recht gezählt habe, an die dreißig Arien. Und eine ist schöner und brillanter als die andere. Hinzu kommt das Duett im Finale des zweiten Akts, das Riccardo und Costanza singen. Dieses „T’amo, sì“ ist geradezu überwältigend schön – ein absoluter Highlight unter den Händel Duetten.

Es mag ja sein, dass einst im Jahre 1727, als am King’s Theatre am Haymarket in London Senesino und die beiden Diven, die Cuzzoni und die Bordoni, im Riccardo Primo um die Wette sangen, dass da alles noch viel schöner klang. Doch wenn wie jetzt in Karlsruhe ein alle anderen Mitwirkenden überragender Franco Fagioli als liebender und kriegerischer Riccardo so scheinbar mühelos durch die Register und Koloraturen eilt, wenn Emily Hindrichs als unglückliche Prinzessin mit ihrer so eigentümlich sanften Stimme brilliert, dann glaubt man als Zuhörer zu ahnen, wie eine Opera seria in der Händel Zeit geklungen haben muss und welch exaltierende Wirkung, welchen Zauber,  Musik und Gesang auf die damaligen Zuhörer ausgeübt haben müssen. Riccardo Primo, wie er in Karlsruhe von einem hochkarätigem Ensemble gesungen wird, wie die „Deutschen Händel-Solisten“ unter Michael Hofstetter diese Musik zelebrieren, das ist Händel vom Allerfeinsten, Opernkulinarik par excellence.

Zu dieser Illusion, eine perfekte Opernaufführung in der Händel Zeit zu erleben, trägt nicht zuletzt die Inszenierung bei. Das Produktionsteam der französischen Barockspezialisten um den Regisseur Benjamin Lazar, kreiert in der Tat barockes Theater, eine historisierende Aufführung, bei der alles stimmt: die prachtvollen Kostüme, die sparsamen, die rituellen Gesten der Sänger, die stets vornehme Zurückhaltung, die auch in Augenblicken größten Leidens alle Ausbrüche vermeidet, stets die Contenance bewahrt, die Personenregie, die Damen und Herren von Stand stets stumme Begleiter als Beobachter und Diener zuordnet, eine Bühnenmaschinerie, die Paläste und Gärten und Thronsäle bereit stellt, eine Lichtregie, die auf jede moderne Technik verzichtet und die Bühne allein mit Kerzenlicht ausleuchtet, ohne dass die Sänger dabei je aus dem Blickfeld der Zuschauer gerieten.

Mit anderen Worten: in Karlsruhe ist eine geradezu perfekte historisierende Aufführung von Riccardo Primo gelungen – gleichermaßen in Szene, Orchesterklang und Gesang. Ein faszinierender Opernabend –  wenn man diesen Stil mag. Ein Stil, der uns, die wir vom ‚Regietheater‘ verwöhnt und vielleicht auch deformiert sind, fremd dünkt und der doch gerade in seiner Fremdheit und gezielten Stilisierung ein ganz besonderes Opernerlebnis verschafft. Wenn Riccardo Primo im nächsten Jahr wiederaufgenommen wird, möchte ich die Aufführung nicht versäumen.

Wir sahen die Premiere am 23. Februar 2014.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vom Disinganno-Oratorium zum Schwulen-Einakter ist es nur eine Pause – in Karlsruhe. Ein desaströser Auftakt bei den Händel Festspielen 2013

Die diesjährige Festspielpremiere am Badischen Staatstheater stand von Anfang an unter einem schlechten Stern. Nicht nur dass wegen eines spontanen Streiks, zu dem die bekannte Gewerkschaft, die sich ungewollt mit dem Namen eines italienischen Komponisten schmückt, aufgerufen hatte, nur eine halbszenische Aufführung  möglich war. Auch die Auswahl  der beiden Premierenstücke – Händels späte englische Fassung von Il Trionfo del Tempo e del Disinganno und Gerald  Barrys The Triumph of Beauty and  Deceit – war nicht unbedingt eine Geniestreich der Intendanz.

So mühten sich denn bei Händel  zwei Damen und drei  Herren vorsichtig und ungeschickt und bei Mister Barry fünf Herren derb und deftig – allesamt  in Kostüm und Maske – um so etwas wie eine theatralische  Gestaltung der beiden Stücke. Bei Händel sangen sie dazu recht  brillant. Bei Barry war nur Schreigesang gefordert, den sie wohl ganz im Sinne des irischen Tonsetzers gekonnt realisierten.

Barrys Schwulengroteske oder – freundlich gesagt: dessen Versuch einer parodistischen oder vielleicht auch satirisch gemeinten Replik auf Il Trionfo del Tempo e del Disinganno  – verkaufen die emsigen Karlsruher Dramaturgen als „moderne Fortsetzung“ eines „Moralspiels von Händel“.  Arroganz, Dummheit, gezielte Täuschung des Publikums, Etikettenschwindel? Nehmen wir zu Gunsten des Badischen Staatstheaters das erstere an. Oder sagen wir es in aller Deutlichkeit:  einen  Schwuleneinakter als “ Fortsetzung“ einer ‚katholischen Oper‘  zu präsentieren, das  ist weder “ fortschrittlich“ noch “ aufklärerisch“ noch „tolerant“, das ist dreist und unverschämt.  Nein, das ist einfach nur einfältig und dumm.

Doch seien wir nicht so streng und so verärgert. Im Badischen  Staatstheater haben wir in den vergangenen Jahren herausragende Händel -, Wagner-  und Berlioz – Aufführungen erlebt. Da muss man auch schon mal wie jetzt einen Flop ertragen können. Zumal die Intendanz so generös ist, dass sie allen,  die den neuen Händel Flop noch einmal sehen möchten, fünfzig Prozent Rabatt auf den Kartenpreis anbietet. Herzlichen Dank, sehr verehrter Herr Intendant, ein Viertele Badischer wäre mir lieber.

Wir sahen die Vorstellung am 16. Februar 2013.

Seiltänzer Lohengrin bei den Karlsruher Sportfreunden. Eine verunglückte Inszenierung im Badischen Staatstheater

Badisches Staatstheater, Karlsruhe

Die Oper in Karlsruhe ist für mich ein Geheimtipp. Weiß man dort doch Wagner und Berlioz auf ungewöhnlich hohem Niveau zu spielen. In Orchesterklang und Gesang gelingen dort immer wieder herausragende Aufführungen. Und das gilt auch  – was den musikalischen Part angeht – für die Lohengrin Aufführung, die wir  am Karfreitag in Karlsruhe besuchten. Heidi Melton als Elsa singt geradezu berückend schön, und Lance Ryan – mag er zu Anfang auch ein bisschen wie Siegfried klingen –  ist ein überragender Lohengrin, einfach ein Wagner Sänger par excellence. Da auch alle anderen Rollen überdurchschnittlich gut besetzt sind und die Badische Staatskapelle unter Maestro Justin Brown auch dieses Mal einen höchst brillanten Wagner spielt, blieben eigentlich keine Wünsche offen. Ja, wäre da nicht die so dürftige und einfallslose Inszenierung.… → weiterlesen