Gerade eine Woche ist es her, dass wir in einem mittelgroßen Haus im Badischen eine desaströse Ariadne erlitten haben. In Essen, welch ein Glücksfall, werden wir mehr als entschädigt. In Essen – auch ein mittelgroßes Haus – ist alles anders. Hier präsentiert man eine geradezu perfekte Ariadne auf Naxos, eine Aufführung, die fasziniert und bezaubert, bei der alles stimmt, alles harmoniert: Musik, Gesang und Inszenierung. Ein Orchesterklang, bei dem jede Stimme klar herauszuhören ist, der nie die Sänger zudeckt, ein Orchester, das unter der Leitung von Maestro Soltesz den hochartifiziellen, den, wenn man so will, manieristischen Strauss-Klang zu zelebrieren weiß. Auf der Bühne Sängerschauspieler, die in Stimme, Spiel und Bühnenerscheinung die komplexen Strauss- und Hofmannsthal-Figuren makellos und brillant zu repräsentieren verstehen: den Komponisten – in der Person der Michaela Selinger, die Ariadne – in der Person der Karine Babajanyan, die Zerbinetta – in der Person der Julia Bauer und Bacchus -in der Person des Jeffrey Dowd – um nur die Protagonisten zu nennen.
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Archiv der Kategorie: Essen
Ein disparater Ring. Zur Wiederaufnahme des Ring des Nibelungen am Aalto-Musiktheater Essen
Bei der Planung des Essener Rings hat man sich am vor Jahren erfolgreichen Stuttgarter Modell orientiert: vier Stücke, vier Regisseure, vier Deutungen, vier konträre Stile. Ein bewährtes Rezept, das gezielt auf Heterogenität und Vieldeutigkeit setzt und das auch in Essen erfolgreich umgesetzt wird.
Das Rheingold inszeniert man als wilde Sex and Crime und Gewalt Story, die sich im lateinamerikanischen Gangstermilieu, in Müllhalden, Bordells und zwielichtigen Büros und Wohnungen ereignet – und erschlägt mit einer simultan laufenden Bilderfülle geradezu Wagner und reduziert die Musik zum Filmsound. In der Walküre ist man seriös und erzählt im Stil der großen Romane des späten des 19. Jahrhunderts die Geschichte vom ‚Verfall einer Familie‘ im Milieu einer preußischen Militärkaste und setzt die Musik wieder in ihre Rechte ein. Im Siegfried weiß man in den ersten beiden Akten nicht so recht, was man will und steigert sich dafür im dritten Akt zu einem geradezu umwerfenden Wagnerrausch und zitiert dazu im Finale in wohl parodistischer Absicht als Gegendroge aus Inszenierungen des späten 19. Jahrhunderts. Und die Götterdämmerung? Die ist von ihrer ganzen Konzeption her szenisch und musikalisch einfach nur brillant. Da gibt es nichts (oder fast nichts) zu mäkeln.… → weiterlesen
Die Entführung findet nicht statt – und Konstanze landet in der Endlosschleife. Jetzke Mijnssen inszeniert Die Entführung aus dem Serail am Aalto- Musiktheater in Essen
Eine Wohltat. Endlich einmal keine Türkenposse, kein Märchen aus dem Morgenland, keine verschleierten Damen, keine als Gutmenschen getarnte Machos, keine hochnäsigen Europäer, keine frohgemut zu heimischen Betten zurückkehrenden Damen. Keine Angst vor der Hochzeitsnacht, keine Freud Sublimierungen und keine Volkshochschulkurse. Nichts von alle dem findet sich in der Essener Inszenierung.
In Essen steht Konstanze im Zentrum des Interesses, eine Frau, die zwei Männer liebt, die sich weder für den einen noch für den anderen zu entscheiden vermag. Wendet sie sich dem einen zu, dann sehnt sie sich nach dem anderen und will zu diesem zurückkehren. Und umgekehrt. Dieses Zögern, dieses Sich-nicht-Entscheiden- können geht wie in einer Endlosschleife immer weiter. Konsequenterweise hat die Essener Entführung kein Finale und erst recht kein happy end. Wo das Stück üblicherweise zu Ende ist, da beginnt die Ouvertüre von neuem. Konstanze, die allein auf der Bühne zurückgeblieben ist, greift sich die Reisetasche, die sie bei ihrer Ankunft im Hause des Selim mit sich trug, und geht davon. Zu welchem der beiden Männer? Zu Selim? Zu Belmonte?Das Spiel, das Spiel um die unmögliche Beziehung, um die nicht auflösbare Dreiecksgeschichte, das wir im Publikum gerade als Voyeure miterlebt haben, wird von neuem beginnen: Konstanze, eine junge Frau von heute liebt Selim, einen erfolgreichen, allseits beliebten jungen Mann von heute und kann ihren einstigen Geliebten Belmonte, den netten jungen Mann aus der Nachbarschaft (?), nicht vergessen. Auf der Party im Hause Selims trifft sie Belmonte wieder, will an die frühere Beziehung anknüpfen, tut es am Ende doch nicht, möchte zu Selim zurück, bleibt allein, bleibt beiden Männern treu und zugleich untreu. Frei nach Goethe eine Stella Variante, eine feminisierte Stella Variante? Oder ist alles nur viel banaler? Frei nach der Maxime, die eine Fraueninitiative in der Pariser Metro großflächig propagiert: “ Etre fidele a deux hommes c‘ est etre deux fois plus fidele“.
Wie dem auch sei. In Essen schlägt die Regie eine Variante, eine Version der Entführung vor, die überzeugt und gefällt. Schade nur, dass die Situierung der Handlung in ein Partymilieu nicht ganz durchgezogen wird. Zur „Qual der Seele“ , zur Seelenpein und Liebesklage treffen sich die Liebenden wohl in unbewohnten Räumen des Hauses ( sprich an der Rampe) und dass sich all dies im Rahmen einer Geburtstagsparty für einen gut situierten jungen Mann ereignen soll, das verliert der Zuschauer aus den Augen. Vielleicht passen auch die beiden Konzeptionen – Psychostudie einer zweifach Liebenden und Situierung der Handlung in eine oberflächliche ‚Spassgesellschaft‘ nicht so ganz zueinander. „Allein, was tut’s“. In Essen ist, das sagen wir ohne alle Mäkelei, ist eine ungewöhnliche Entführung zu sehen. Und das gilt nicht minder für Orchesterklang und Musik. Mit Simona Saturova als Konstanze und Bernhard Berchtold als Belmonte sind die Rollen der Protagonisten brillant besetzt sind. Es ist ein Vergnügen ist, die so oft gehörten Arien wieder zu hören, wenn sie – wie jetzt im Essener Musiktheater – so perfekt und so „seelenvoll“ vorgetragen werden.
Wir sahen die Vorstellung am 21. Juni 2012. Die Premiere war am 10. Juni 2012.
Blütenträume und Liebeshändel in der Reihenhaussiedlung: Eugen Onegin am Aalto-Musiktheater in Essen
Als „lyrische Szenen“, nicht als Oper wollte Tschaikowsky bekanntlich seinen Onegin verstanden wissen. Und „lyrische Szenen“ ereignen sich in Essen in der Tat: im brillanten Orchesterklang mit seinen solistischen Passagen, in dieser Verbindung von „Lyrik, Pathos und Tragik“, wie Maestro Srboljub Dinic im Programmheft die Musik des Onegin beschreibt. „Lyrische Szenen“ ereignen sich nicht minder in den fast durchweg brillant vorgetragenen Gesangpartien. Ja, es wäre alles so schön, oder wenn man will, so schön kitschig und romantisch, so süß und sentimental gewesen, wenn die Regie nicht versucht hätte gewaltsam gegenzusteuern: mit der Folge, dass die Szene in den ersten beiden Akten im Kleinbürgermief erstickte und im Schlussakt im Hollywood Kitsch versank.… → weiterlesen
‚Tannhäuser – das bin ich, Richard Wagner‘. Eine Wiederaufnahme von Neuenfels Wagner Patchwork im Aalto-Musiktheater Essen
Der Tannhäuser, den Neuenfels vor knapp vier Jahren in Essen in Szene gesetzt hat und der jetzt dort wiederaufgenommen wurde, hat nicht eine Spur von Patina angesetzt, ist so effektvoll und spektakulär wie am ersten Tag. Und was ich mir damals zur Inszenierung notiert und in meinem Buch veröffentlicht habe, das kann ich auch heute noch unterschreiben (Vgl. „Die schöne Musik! […] Da muß ma weinen“. Blätter aus Zerlinas Opern-Tagebuch (2005-2008). München – Zürich – Salzburg – Wien – und die Provinz. München 2008. Meidenbauer Verlagsbuchhandlung, S.28-30). So zitiere ich mich im Blog selber und füge das eine oder andere hinzu, was mir in der Aufführung am 30. Dezember 2011 noch aufgefallen ist.… → weiterlesen
Opernprobe mit Spieleinlagen und Metatheater Einsprengseln: Les Contes d’Hoffmann am Aalto-Musiktheater Essen
Opernprobe mit Spieleinlagen und Metatheater Einsprengseln: Les Contes d’Hoffmann am Aalto-Musiktheater Essen
Hoffmanns Erzählungen garantiert immer ein volles Haus – ganz gleich wer singt, wer inszeniert, wer dirigiert. Ideal ist es, wenn man für den Hoffmann einen lyrischen Tenor hat, dem das Dramatische nicht fremd ist (den hat man in Essen in der Gestalt des durchaus brillanten Thomas Piffka) und wenn man des weiteren eine Sopranistin hat, die die scheinbar mechanischen Koloraturen der Olimpia und das lyrisch-sentimentale Singen der Antonia in gleicher Weise beherrscht (diese Sängerin gibt es in Essen wohl nicht). Ja, und dann braucht man noch den Bösewicht, den Bariton – und der findet sich: in Essen in der Gestalt des sängerisch und darstellerisch überragenden Thomas J. Mayer. Hoffmanns Erzählungen, eine finanzielle Trumpfkarte für jeden Operndirektor.… → weiterlesen
