Opernprobe mit Spieleinlagen und Metatheater Einsprengseln: Les Contes d’Hoffmann am Aalto-Musiktheater Essen

Opernprobe mit Spieleinlagen und Metatheater Einsprengseln: Les Contes d’Hoffmann am Aalto-Musiktheater Essen

Hoffmanns Erzählungen garantiert immer ein volles Haus – ganz gleich wer singt, wer inszeniert, wer dirigiert. Ideal ist es, wenn man für den Hoffmann einen lyrischen Tenor hat, dem das Dramatische nicht fremd ist (den hat man in Essen in der Gestalt des durchaus brillanten Thomas Piffka) und  wenn man des weiteren eine Sopranistin hat, die die scheinbar mechanischen Koloraturen der Olimpia  und das lyrisch-sentimentale Singen der Antonia in gleicher Weise beherrscht (diese Sängerin gibt es in Essen wohl nicht). Ja, und dann braucht man noch den Bösewicht, den Bariton – und der findet sich: in Essen in der Gestalt des sängerisch und darstellerisch überragenden Thomas J. Mayer. Hoffmanns Erzählungen, eine finanzielle Trumpfkarte für jeden Operndirektor. Ein Ohren- und Augenschmaus fürs Publikum, ein gefahrloses Eintauchen in Suff und Sex, Trauer und Tod, Traum und Wahn und Halluzinationen. Die Geschichte vom versoffenen Literaten und seinen im Rausch erträumten Geliebten und seiner Rettung vor dem Rausch und dem Weib in einen neuen Rausch, in den Schaffensrausch in Begleitung der Muse, diese Geschichte ist einfach zu schön, zu traurig, zu sentimental, als dass sie nicht auch das Sonntagsnachmittag Abonnement zufrieden stellen könnte. Und dann reiht sie noch dazu ein Romantik Klischee an das andere: der einsame, von der Gesellschaft der Bürger verachtete Künstler, der Automat als künstlicher Mensch, die früh verstorbene brustkranke Geliebte, das Reich des Bösen, der Magnetismus, der Wiedergänger, Traum und Halluzinationen, das verlorene Spiegelbild, die ewige femme fatale, die Sehnsucht nach der reinen Kunst, usw., usw. Ja, und dann noch die so eingängige Musik, die bei aller scheinbaren Einfachheit – so belehren uns die Musikhistoriker – höchst kunstvoll und raffiniert ist. Ich habe nichts gegen Hoffmanns Erzählungen und wenn diese „opéra fantastique“ grandios inszeniert wird – wie vor ein paar Jahren in Köln oder in Genf –  dann erlebt der  Zuschauer in der Tat einen großen Opernabend (in  Köln hatte  Günther Krämer ein Fest der Imagination und des Metatheaters inszeniert , und in Genf hatte Olivier Py Les Contes d’Hoffmann zum grotesken Totentanz im Stil und in der Tradition der Grand Opéra transformiert).

Auch in Essen setzt das Inszenierungsteam auf das Phantastische, auf Totentanz und Metatheater, ohne indes auch nur im Entferntesten an die grandiosen Spektakel heran zu reichen, wie sie Krämer und Py in Szene gesetzt haben. Es bleibt alles halt ein bisschen brav und bieder. Sonntagnachmittägliches Stadttheater. Nach einem relativ effektvollen Beginn ist bald die Luft raus, und man landet schnell im dürftigen Kitsch – so im Antonia Akt – und  noch schlimmer in Kleinbürgersexträumen  – so im Giulietta Akt. Der einstige effektvolle Metatheater Gag, einzelne Darsteller als Opernbesucher sich unter das Publikum mischen  und aus dem Publikum auftreten zu lassen,  ist zwar durch ständigen Gebrauch ein bisschen ausgeleiert, birgt  aber immer noch Überraschungsmomente. Wenn die elegante Dame im schwarzen Kleid, die neben mir saß, nach der Ouvertüre aufsteht und sich als Hoffmanns Muse zu erkenn gibt, die wenigen Schritte zum Orchestergraben hin geht und gleich ihr Auftrittslied singt, dann kommt ein solcher Auftritt auch für eine erfahrene Opernbesucherin  noch immer überraschend. Dass die Chorsänger im Gewand festlich gekleideter Opernbesucher aus dem Zuschauerraum auftreten,  der arme Hoffmann sich schon mal unter die Zuschauer flüchtet, dass der ganze Zuschauerraum schon mal zum Ort der Handlung wird, all dies ist sicherlich spektakulär, – wenn man es halt (auch in Essen) nicht schon so oft gesehen hätte. Ja, und das waren auch schon die einzigen Besonderheiten der Essener Inszenierung. Der Rest (siehe oben) ist nur konventionell, dürftig und langweilig. Wir sahen die Vorstellung am 13. November 2011. Die Premiere war am 22. Oktober 2011.