Als „lyrische Szenen“, nicht als Oper wollte Tschaikowsky bekanntlich seinen Onegin verstanden wissen. Und „lyrische Szenen“ ereignen sich in Essen in der Tat: im brillanten Orchesterklang mit seinen solistischen Passagen, in dieser Verbindung von „Lyrik, Pathos und Tragik“, wie Maestro Srboljub Dinic im Programmheft die Musik des Onegin beschreibt. „Lyrische Szenen“ ereignen sich nicht minder in den fast durchweg brillant vorgetragenen Gesangpartien. Ja, es wäre alles so schön, oder wenn man will, so schön kitschig und romantisch, so süß und sentimental gewesen, wenn die Regie nicht versucht hätte gewaltsam gegenzusteuern: mit der Folge, dass die Szene in den ersten beiden Akten im Kleinbürgermief erstickte und im Schlussakt im Hollywood Kitsch versank. Es muss ja nicht gleich die grandios-effektvolle Schwulenoper sein, zu der Eugen Onegin in München wird. Es muss auch nicht die zur Parodie verzerrte russische Geschichte der letzten einhundert Jahre sein, in die sich das Schicksal der Protagonisten einfügt, wie in Amsterdam Eugen Onegin verstanden wird. Und es braucht auch nicht unbedingt die Mär von der starken, „revolutionären Frau“ Tatjana und dem schwächlichen, nichtauthentischen Onegin, wie sie in Leipzig in Szene gesetzt wird, der Maßstab für Eugen Onegin Inszenierungen zu sein. Anders als Warlinowski in München, Herheim in Amsterdam und Konwitschny in Leipzig, die mit ihren durchaus umstrittenen Deutungen verborgene Sinnschichten der Oper auftun, bewegt man sich in Essen gänzlich auf der Oberfläche, begnügt sich damit, den simplen Literalsinn des Libretto zu aktualisieren und in Bilder zu transformieren: das verträumte, verklemmte junge Mädchen mit dem Buch in der Hand und der dicken Brille auf der Nase, das, während alle Welt sich beim Gartenfest und im Partykeller amüsiert, das Mauerblümchen mimt, das kleine Mädchen im Kinderzimmer mit Teddybär und Fernseher im keuschen Schlafanzug, das ein Liebesbriefchen schreibt, die kalte Hollywood Schöne mit dem angeblich gebrochenen Herzen im antikisierenden Palais des Multimillionärs, der oberflächliche Macho Onegin, der im Finale zum Jammerlappen mutiert, der naive Melancholiker Lenski . Keine Frage, man kann Eugen Onegin auch in simpler Weise deuten. Dies hat zumindest den Vorteil, dass das Publikum kaum von der Musik abgelenkt wird, sich niemals provoziert fühlt, Identifikationsmöglichkeiten im ersten und zweiten Akt findet, sich im dritten Akt an das Fernsehprogramm der vorigen Woche erinnert und unbeschwert vom ‚Regietheater‘ Musik und Gesang genießt und sich vielleicht ein wenig rühren lässt. Wie sagte noch der als naives Mädchen verkleidete Oktavian im Rosenkavalier: „Die schöne Musik! Da muß ma weinen“. Ungefähr so erlebt man Tschaikowsky in Essen. Die Premiere war am 25. Februar 2012. Wir sahen die Aufführung am 28. Februar 201