‚Tannhäuser – das bin ich, Richard Wagner‘. Eine Wiederaufnahme von Neuenfels Wagner Patchwork im Aalto-Musiktheater Essen

 

Der Tannhäuser, den  Neuenfels vor knapp vier Jahren in Essen in Szene gesetzt hat und  der jetzt  dort wiederaufgenommen wurde, hat nicht eine Spur von Patina angesetzt, ist so effektvoll und spektakulär wie am ersten Tag. Und was ich mir damals zur Inszenierung notiert und in meinem Buch veröffentlicht habe,  das kann ich auch heute noch unterschreiben (Vgl. „Die schöne Musik! […] Da muß ma weinen“. Blätter aus Zerlinas Opern-Tagebuch (2005-2008).  München – Zürich – Salzburg – Wien – und die Provinz. München 2008. Meidenbauer Verlagsbuchhandlung, S.28-30). So zitiere ich mich im Blog selber und füge das eine oder andere hinzu, was mir in der Aufführung am 30. Dezember 2011 noch aufgefallen ist.

Wenn man zu Neuenfels geht, dann darf man immer auf ein großes Theaterspektakel hoffen. Auch in Essen bleibt der Meister seinem Ruf nichts schuldig. Vom jungen bis zum alten Wagner, vom Märchenkönig Ludwig bis zu Lohengrins Schwan, von Wotan als Roboter bis zu den blonden Maiden auf dem Grünen Hügel und bis zum toten Siegfried, der drohend seine Faust noch einmal reckt, alle sind sie zum Gaudi des Publikums versammelt und toben sich mal ernsthaft, doch vor allem in Komik und Groteske in Neuenfels’ Wagner-Panoptikum aus. Da fehlt auch nicht die schwarze Messe, die Venus und Tannhäuser (in Kostüm und Maske des jungen Wagner) inmitten von Lustknaben im Venusberg zelebrieren, da legt Elisabeth ihre Auftrittsarie unter dem Beifall des Personals als Shownummer hin, da lehnt Tannhäuser/Richard lässig am Flügel und spielt mit Elisabeth/Cosima ein Duo – und flüchtet mit ihr in Lohengrins Schwan, den ein frustrierter Wolfram über die Bühne ziehen muss. Da erhebt sich Neuschwanstein unter einem Förderturm, und eine vom Staublungensyndrom gebeutelte Bergmannskapelle sucht den Einzug der Gäste zu intonieren, da beäugt der alte Wagner zusammen mit seinem Ludwig von der Spitze des Förderturms das Spektakel, da verkleiden sich beim „Sängerkrieg“ die Minnesänger als Mönche, und der irre Mystiker unter ihnen fällt, wenn er nur das Wort Liebe hört, gleich vor Schreck in Ohnmacht. Wenn der gute Wolfram von heiliger Liebe schmachtet, dann kämpft er zugleich verzweifelt gegen gewisse körperliche (Er)Regungen, und Elisabeth legt in religiöser Ekstase gleich einen liturgischen Tanz auf die Bretter, und die Minnesänger, wenn sie ihre Mönchskutten abgelegt haben und dem armen Tannhäuser ans Leder wollen, machen auf Turnvater Jahn Adepten. Und der arme Tannhäuser  – noch immer in Kostüm und Maske des jungen Wagner – zieht gar nicht so gern „nach Rom“. Bilder über Bilder. Komödie und Groteske, wohin man auch schaut. Karnevalisierung der Tannhäuser Oper im Sinne Bachtins, und natürlich kein Neuenfels ohne Sexsymbole. Da wimmelt es bei der Jagdszene im Finale des ersten Akts nur so von Playboyhäschen und Hirschgeweihen. Da fallen die phallischen Kerzen als Tannenbäume vom Bühnenhimmel, da rauchen im zweiten Akt die Schlote, und im dritten Akt, da sind wir nach kurzem Besuch bei einer kränkelnden , an einem vergifteten Trank dahin scheidenden„heiligen Jungfrau“ im natürlich phallischen Liliengarten endlich im Irrenhaus gelandet – wohl im Hospiz zu Charenton beim Marquis de Sade, wenn die Irren Tannhäusers gescheiterte Audienz beim Papst nachstellen, Wolfram den Irrenarzt mimt und mit seinem Lied vom „holden Abendstern“ die Irren aus ihrer Trance weckt. Ob die Pilger in ihren schwarzen Mänteln und roten Perücken, die da so schön den Schlusschoral singen, wirkliche fromme Männer  oder vielleicht Teufel aus der Unterwelt sind?  Wer weiß das schon so genau.  Und Tannhäuser/Richard passt es gar nicht, dass er in einen Sarg gesteckt werden soll. So zerbricht er – ganz Siegfried – einem Robotergott (dem Papst? Oder vielleicht Wotan?) den Stab (den Stab, der nimmer grünen soll?) und mimt anschließend, den Arm drohend gereckt, den toten Siegfried.

Eine brillant inszenierte Tannhäuser Komödie, die mit Wagner Figuren und den Klischees der Wagner-Rezeption geistvoll und höchst unterhaltsam spielt und die  ohne eine Spur von ideologischer Aufdringlichkeit die alte Geschichte  vom genialischen Außenseiter, der an den Zwängen einer erstarrten und dumpfen ‚Gesellschaft’ scheitert, neu zu erzählen vermag. Gesungen und musiziert wurde unter Maestro Stefan Soltesz wie es dem Niveau des Hauses entspricht: brillant (mit ganz wenigen Ausnahmen) Wie seltsam nur, dass ein Teil des Publikums immer wieder „hineinklatschen“ musste. Vielleicht weil es beim frühen Wagner noch Arien gibt, die man wie bei Rossini und Donizetti beklatschen muss?

Man spielt die „Dresdner Fassung“. Die Premiere war am 29. März 2008. Wir sahen die Aufführung am 30. 12. 2011.