Im Düsseldorfer Opernhaus hat man die Sommerpause genutzt, um den Orchestergraben zu vertiefen und zu erweitern. Wagner und Strauss lassen sich nun mit großem Orchester spielen. Kein Zweifel, dass auch die Akustik in dem in die Jahre gekommenen altehrwürdigen Haus verbessert worden ist. Allerdings mit einem für eine Dilettantin wie mich recht seltsamen Effekt. In den ersten Reihen des Parketts (mein Platz war „Orchestersessel Reihe zwei“) beschert einem die Neugestaltung des Grabens Wagners Traum vom unsichtbaren Orchester. Unsichtbare Musiker, die einen gedämpften Klang hervorzaubern, keinen Klangteppich, sondern eine Musik der differenzierenden Solostimmen. Ein faszinierender Rossini, ganz ohne das übliche Geschepper, das man anderenorts schon mal zu hören bekommt.
Und die Inszenierung, die Claus Guth schon vor ein paar Jahren (wenn ich mich recht erinnere in Basel und in Leipzig) herausgebracht hatte und die jetzt in Düsseldorf von Nina Kühner neu einstudiert wurde? Ja, warum soll man die ganze Commedia dell’arte Tradition, auf die Rossinis Figuren so offensichtlich verweisen, nicht einmal einfach vergessen und dafür den Barbiere di Siviglia zur Abwechslung als Karneval der Insekten, als Kleintierfabel in Szene setzen? Da mutiert der Chor (vulgo: das Volk) zu lästigen Eintagsfliegen, Rosina wird zum flatterhaften Schmetterling, der, koste, was es wolle, aus dem Haus will. Graf Almaviva wird zur fetten Biene, Bartolo zur feisten Spinne, Figaro (wenn ich das richtig verstanden habe) zur ewig herum surrenden schwarzen Fliege und Basilio wohl zur grünen Schmeißfliege. Das alles ist ein hübscher Gag, und er kommt auch beim schon auf Karneval eingestimmten rheinischen Publikum, wenn es auch am Anfang etwas irritiert ist, glänzend an. Doch auch für die Ernsthaften unter uns, für die so genannten Intellektuellen, hat Theatermacher Guth ein Zuckerstückchen – im Programmheft dabei. Dort erfährt der geneigte Leser, dass Rossinis Personal Archetypen seien, exemplarische Figuren menschlichen Verhaltens, die in der Inszenierung einer Versuchsanordnung unterzogen würden und dass der Barbiere eigentlich in die Tradition des grotesken und absurden Theaters gehöre. Hinweise, die die Anhänger Jungs und die Freunde der Intertextualität sicherlich zu schätzen wissen. Doch für das, was sich auf der Bühne tut, sind diese Bemerkungen eigentlich belanglos. Das Insektenkonzept, so konsequent es auch umgesetzt wird, trägt vielleicht gerade noch den ersten Akt. Doch dann ist die Luft wirklich heraus. Nicht von ungefähr fährt auf das muntere Insektenvolk im Finale eine gigantische Sprühdose mit Insektenvertilgungsmittel herab. Und so schaltet die Regie im zweiten Akt bis hin zur Gewittermusik auf bayerischen Komödienstadl um: Bartolo als seniler Alter mit unbändigen Lustgefühlen, Basilio und Almaviva als Dorfdeppen in Försteruniform und mitten zwischen allen das hübsche kleine Biest Rosina. Nach der Gewittermusik hat sich der Komödienstadl ausgetobt, und wir landen im Finale wieder beim Karneval der Insekten, der sich mit dem Karneval der Zweibeiner zu Friede, Freude, Eierkuchen mischt – eben ganz wie es sich für eine Buffa gehört.
Man verstehe mich nicht falsch: im Düsseldorfer Opernhaus erlebt man mit dem Barbiere einen unbeschwerten, höchst amüsanten Abend. Unter der Leitung von Maestro Axel Kober wird brillant musiziert und durchweg herausragend gesungen und gespielt. Und Theatermacher Guth serviert einem aufgeschlossenen Publikum mit leichter Hand eine Komödie für Musik, hebt nie den teutonischen pädagogischen Zeigefinger. Gepredigt wird nur im Programmheft – in diesen wohl inzwischen obligatorischen, „von des Gedankens Blässe angekränkelten“ und für die Nachwelt archivierten Diskussionen zwischen Regisseur, Ausstatter und Dramaturg.
Wir sahen die Aufführung am 29. Dezember 2011. Die Premiere war am 2. Dezember 2011.