Rameau weiß nicht nur mit Pomp und Prunk zu beeindrucken. Rameau weiß auch zu unterhalten und zu amüsieren – und beides auf höchstem Niveau. Und beides erlebten wir im Abstand von wenigen Wochen. Das eine in Paris, das andere in Stuttgart.
In Paris, im Palais Garnier, beeindruckte eine höchst artifizielle, eine manierierte Inszenierung von Hippolyte et Aricie, die Rekonstruktion einer Aufführung im 18.Jahrhundert, eine Inszenierung, die ganz im Sinne der barocken Ästhetik mit aufwendigem Dekor, kostbaren Kostümen und raffinierter Bühnenmaschinerie Erstaunen und Bewunderung beim Publikum erregen will. Eine historisierend Aufführung, der alle Ironie und alle Parodie fern liegt.
Ganz anders geht es in der Oper Stuttgart zu. Hier nimmt man den Untertitel des Stücks: “ Ballet bouffon“ im Wortverstande als „närrisches Ballett“,… → weiterlesen
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Belcanto in Vollendung. Catherine Naglestad triumphiert als Norma an der Oper Stuttgart
Eigentlich bin ich nur nach Stuttgart gefahren, weil ich Jossi Wielers Norma Inszenierung, die ich zuletzt vor sechs Jahren gesehen hatte und die mir damals mit ihrer Transponierung der Handlung in den italienischen Neorealismo so gut gefallen hatte, noch einmal sehen wollte. Und auch dieses Mal, mag sie inzwischen auch bald zehn Jahre alt sein und auch ein bisschen Patina angesetzt haben, hat mich Wielers Interpretation der Norma beeindruckt – und amüsiert. Allein in der Aufführung, die wir am Ostermontag sahen, hatte sie einen schweren Stand. In Belcanto Opern – eine Erfahrung, die wir schon mehrfach machen konnten – braucht man eigentlich nur zwei oder drei herausragende Sänger, und alles andere ist Nebensache, reduziert sich zu Contorni. So wurde auch in Stuttgart angesichts einer alle und alles überragenden Catherine Naglestad in der Titelrolle die Inszenierung, so anspruchsvoll sie auch ist, letztlich zur quantité négligeable… → weiterlesen
Im Schatten junger Mädchen Fieberträume.Jossi Wieler inszeniert eine grandiose La Sonnambula in Stuttgart
Um es gleich vorweg und ohne alle Einschränkung zu sagen: an der Oper Stuttgart wird nicht nur ein höchst brillanter Bellini Belcanto zelebriert. Hier ist auch die Inszenierung brillant. Hier zeigt die szenische Umsetzung, was ‚Regietheater‘ im besten Sinne des Wortes sein kann: eine Regie, die es nicht nötig hat, mit albernen Mätzchen herumzuspielen oder ein Stück zu zerhacken, sondern die verborgene Sinnschichten eines Textes aufzudecken und in Szene zu setzen weiß. Wie oft haben wir uns bei Belcanto Opern – zuletzt in Berlin beim Tancredi und in Barcelona bei der Linda di Chamonix – über das einfältige, oft sogar peinliche szenische Spektakel geärgert, das mittlere Theatermacher aus Belcanto Opern zu machen pflegen. In Stuttgart ist alles anders. Hier passt alles zusammen.
Die Mär vom ewigen Faschismus und vom melancholischen Intellektuellen mit Hormonstörungen: Fausts Verdammnis (La Damnation de Faust) an der Oper Stuttgart

Die Mär vom ewigen Faschismus und vom melancholischen Intellektuellen mit Hormonstörungen: Fausts Verdammnis (La Damnation de Faust) an der Oper Stuttgart
Die Ära der Intendanz Jossi Wieler in Stuttgart beginnt spektakulär: mit einem Großeinsatz von Chor, Kinderchor und Extrachor, mit drei herausragenden Sängern: Maria Riccarda Wesseling als Marguerite, Pavel Cernoch und Robert Hayward als Faust und Méphistophélès und – mit einem peinlichen Regie Flop.… → weiterlesen
Alles ist Theater, alles ist Illusion und Schein und Albtraum. Eine Wiederaufnahme von Jossi Wielers Alcina an der Oper Stuttgart

Alles ist Theater, alles ist Illusion und Schein und Albtraum. Eine Wiederaufnahme von Jossi Wielers Alcina an der Oper Stuttgart
Händels Alcina habe ich in den letzten Jahren in München und in Wien gesehen – in faszinierenden Aufführungen. Als Wahn und Trug in einem Reigen der Liebe und Melancholie hatte Christof Loy bei den Münchner Opernfestspielen den Alcina Mythos gedeutet. In Wien, man kann es kaum glauben, dass das berühmte Haus am Ring im November 2010 Alcina zum ersten Mal auf dem Spielplan hatte, in Wien spielt man Alcina als Theater auf dem Theater, als Laienaufführung auf dem Landsitz einer englischen Hochadligen, die mit ihrer Familie und ihren Freunden Alcina aufführt. Und in der Hochschule für Musik und Theater in München, da wird Alcina zur Komödiantin, die sich bei jedem Auftritt in eine andere Theaterfigur verwandelt. Alcina, so signalisieren es – und dies zu Recht – alle Inszenierungen, ist eben ganz in der Tradition des Barockzeitalters geradezu die Chiffre für Verwandlung und Verzauberung, die Chiffre für die Scheinwelt des Theaters.… → weiterlesen