Eine Bühne voller Narren. Calixto Bieito inszeniert Rameau: Platée, Ballet Bouffon, als Transvestiten Show an der Oper Stuttgart, und Thomas Walker triumphiert als in Jupiter verliebte „Sumpfnymphe“ Platée und mit ihm Chor und Ensemble

Rameau weiß nicht nur mit Pomp und Prunk zu beeindrucken. Rameau weiß auch zu  unterhalten und zu amüsieren – und beides auf höchstem Niveau. Und beides erlebten wir im Abstand  von wenigen Wochen. Das eine in Paris, das andere in Stuttgart.
In Paris, im Palais Garnier, beeindruckte eine höchst artifizielle, eine manierierte  Inszenierung von Hippolyte et Aricie, die Rekonstruktion einer Aufführung im 18.Jahrhundert, eine Inszenierung, die ganz im Sinne der barocken Ästhetik mit aufwendigem  Dekor, kostbaren Kostümen und  raffinierter Bühnenmaschinerie Erstaunen und Bewunderung beim Publikum erregen will. Eine historisierend Aufführung, der alle Ironie und alle Parodie fern liegt.
Ganz anders geht es in der Oper Stuttgart zu. Hier nimmt man den Untertitel des Stücks: “ Ballet bouffon“ im Wortverstande als „närrisches Ballett“, verlegt die Handlung in einen New Yorker Nachtclub der 70er Jahre, zitiert in Kostümen und Perücken jene Zeit und zugleich die höfische Gesellschaft des 18. Jahrhunderts, übernimmt Rameaus Besetzung der weiblichen Titelrolle mit einem Tenor und nimmt dies zum Anlass, eine große Transvestiten Show aufzuziehen: eine ausgelassene weinselige Gesellschaft inszeniert sich selber in einem Stück, in dem einem liebestollen Transvestiten  ( bei Rameau die “ Sumpfnymphe“ Platée) weisgemacht wird, ein hoher Herr (bei Rameau ein Schürzenjäger namens Jupiter) wolle sich mit ihm verheiraten. Und alle spielen mit: die Entertainer, die das Ganze arrangieren,  die Nachtclub-Sängerin La Folie, die  die Rolle des Amors gleich mit übernimmt, der hohe Herr, der als Jupiter herabschwebt, sich in einen Esel oder auch in einen  Uhu verwandelt, dem Transvestiten scheinbar schön tut. Und dies alles wird nur arrangiert, um die Ehefrau (bei Rameau Juno) des hohen Herrn von ihrer Eifersucht zu heilen.
Eine banale Geschichte, eine, wenn man so will, Karnevalsoperette oder auch eine böse Satire oder auch ein großer Spaß auf Kosten eines Außenseiters. Doch so amüsant und unterhaltsam das alles ist, so effektvoll und so gekonnt das alles in Szene  gesetzt wird, so brillant  in allen Rollen gesungen und gespielt wird  (allen voran Thomas Walker in der Titelrolle und Ana  Durlovski als La Folie), darauf kommt es in Stuttgart nur in zweiter Linie an. Platée in Stuttgart ist wohl in erster Linie ein Fest für Rameau Spezialisten. Und wer wie ich die Musik zum ersten Mal hört, der sollte  vorher das sehr gut gemachte Programmheft studieren. Ansonsten entgeht im die Raffinesse der Musik. „Platée ist keine Tragédie en musique und bedient sich doch ihrer Formen. Platée ist keine Opernparodie, sondern eine Drag-Opera, eine Tragédie en musique travestie.“ Doch selbst, wenn man dies alles und noch vieles andere („Platée tut alles, um die höfischen Codes zu brechen und zu verkehren“) nicht weiß, hat man seinen Spaß an dieser so höchst brillanten Stuttgarter Platée. Ich gehe bei nächster Gelegenheit noch einmal hin – schon um die Feinheiten, die mir beim ersten Hören und Sehen entgangen sind, zu erkennen und zu genießen.

Wir sahen die Vorstellung am 6. Juli.  Die Premiere war am 1. Juli 2012.