Das Musiktheater in Freiburg im Breisgau ist ein seltsames Haus. Ein Haus, das immer für Überraschungen gut ist – im positiven wie im negativen Sinne. Dort produziert man mit den Möglichkeiten eines mittleren Hauses einen recht respektablen Ring des Nibelungen oder auch einen durchaus gelungenen Lohengrin oder auch eine faszinierende Lucia di Lammermoor. Dort präsentiert man eine dürftige Salome oder auch einen peinlichen Lucio Silla. Das Freiburger Publikum nimmt das alles geduldig hin. Die Zugereisten sind irritiert: mal erfreut, mal verärgert. Und jetzt beim Rinaldo? Da sind sie wieder einmal verärgert. Rinaldo streicht man in Freiburg auf zwei Stunden Spielzeit zusammen und spielt die zweite Fassung von 1731, bei der die Rolle des Goffredo mit einem Tenor, die des Argante mit einem Alt besetzt werden kann, die Rolle des Eustazio ganz gestrichen ist und vertraut im Übrigen darauf, dass der spanische Countertenor Xavier Sabata in der Titelrolle das Stück schon retten würde. Und das tut er, soweit das nur eben möglich ist, mit brillanter Stimme und schauspielerischem Talent in der Tat – und ein bisschen hilft ihm dabei seine Freundin Almirena, wenn sie so anrührend schön den Hit „Lascia ch’io pianga mia cruda sorte“ singt. Von der Regie indes hat er nur wenig Hilfe zu erwarten. Ganz im Gegenteil. Sie zielt auf Banalisierung und Aktualisierung und macht Rinaldo zum modernen ’Ritter von der traurigen Gestalt‘, der schon mehrfach eins auf den Schädel bekommen hat. Wie er da in Reithosen und Stiefeln nach faschistischer Mode, mit Hosenträgern und blutigem Kopf durch die Szene stolpern muss und in sanfter Melancholie „Cara sposa, dove sei…“ singt, da kann er einem nur noch leidtun. Noch schlimmer wird es für ihn, wenn er mit einer Art Laserstab die Kindersoldaten (sie spielen auch die Furien) der Armida besiegen, im Finale halbtot oder vielleicht auch ganz tot danieder sinken und noch gerade mit ansehen muss, wie der schöne katholische Pfarrer (bei Händel der Magier) das englische Blitzmädchen Almirena kriegt und das Blitzmädel Armida (bei Händel die Zauberin und Liebesgöttin Armida) sich mit dem dritten Blitzmädel ( bei Händel der heidnische König Argante) versöhnt. So hat denn die Regie aus Händels berühmter Oper eine Art ‚Draußen vor der Tür‘ Verschnitt gemacht und die Figur des verliebten Kämpfers Rinaldo zum tristen und erschöpften Troupier reduziert. Natürlich kann man eine Opera seria auch in der Freiburger Manier aufführen: verkürzt und aktualisiert, ohne Ironie, ohne Witz, den Bedürfnissen oder Voraussetzungen eines mittleren Hauses angepasst. Dem Publikum hat es gefallen: „Tolle Idee, die Furien von Kinderbanden spielen zu lassen. Wenn man selber Kinder zu Hause hat, dann weiß man, was das für Furien sein können“. Da hat die Dame hinter mir wohl recht. Die Oper als Spiegel des Lebens. Ja, warum eigentlich nicht. Freiburg macht’s möglich.
Wir sahen die Vorstellung am 13. Juli. Die Premiere war am 16. Juni 2012. „Wieder im Spielplan“ am 18. Oktober 2012.