Nein, ein Schönling ist er nicht, der angebliche Maler Alidoro in Jeans (wahlweise Unterhose), weißem Schlabberhemd und langer Mähne, den sich gleich drei Frauen und zwei Männer ausgeguckt haben. Genauer: dem sie an die Wäsche gehen. Von der angeblich so spröden Königin über die nymphomanische Hofdame bis hin zum versoffenen Butler, sie alle wollen sich mit ihm auf recht handfeste Weise vergnügen. Dabei ist unser Adonis doch vor allem an sich selbst interessiert. Was ihn allerdings nicht daran hindert, alles, was sich ihm da so leichthin anbietet, gerne mitzunehmen: Krone und Zepter der Königin, den Sex der Hofdame, den Hintern des Butlers, den Kuss des schmucken Höflings. Ja, wir wissen schon: „Omnia vincit amor et nos cedamos amori“. Und die Innsbrucker Hofgesellschaft, für die Cesti zum Karneval des Jahres 1656 diesen Liebesreigen komponierte, wusste es erst recht – von Vergil. Und wer es immer noch nicht weiß, für den hält die Regie in Frankfurt gleich ein Dutzend geflügelter Eroten bereit, die, allesamt blond gelockt und mit Kußmündchen (mit einem Wort: in der Marylin Maske), sich unter die Akteure mischen.
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Vom Kinderfänger D. zur Trapp- Familie sind es nur zwei Szenen. Keith Warner inszeniert an der Oper Frankfurt Hänsel und Gretel – anspruchsvoll und nicht immer kinderfrei
Mehr als einhundert Jahre sind schon seit der Uraufführung von Humperdincks „Märchenspiel in drei Bildern“ vergangen, und noch immer verkaufen Dramaturgen und Marketingstrategen zur Weihnachtszeit gestressten Eltern und Großeltern und erwartungsvollen Kindern Hänsel und Gretel als Musiktheater für Kinder, als Initiationsritus in die Welt der Oper.
Sie wissen nicht, was sie tun? Sie wissen schon, was sie tun. Mit diesem sadistischen und grausamen „Märchenspiel“ (hungernde Kinder, Eltern, die ihre Kinder prügeln und aus dem Haus jagen, Kinderfänger, Kannibalismus, Totschlag aus Notwehr und verlogenes Happyend) füllen sie ihre Häuser. Und die Musik? Diese Mischung aus kastriertem Wagnersound und Volkslied soll kinderfreundlich sein und Kinder für die Oper begeistern? „Das ist nichts für mich“, hörte ich die Elfjährige hinter mir maulen, während der Großvater sein Hörgerät justierte und mit einem zusätzlichen hohen Ton den Orchesterklang ergänzte.
Doch wir wollen nicht gegen die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm und auch nicht gegen einen berühmten Spätromantiker und erst recht nicht gegen bemühte Dramaturgen polemisieren. Dass Grimms Märchen sich nicht unbedingt für Kinder eignen, ist allgemein bekannt und dass auch Humperdincks Hänsel und Gretel und mehr noch seine Königskinder keine Märchen, sondern Antimärchen sind, merkt auch der naivste Opernbesucher – ganz enttäuscht – spätestens nach der Pause.
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„O mia vita, o mi tesoro“ – über Leichen. L’incoronazione di Poppea an der Oper Frankfurt
Ja, wir wissen schon – und wir sehen es auf der Bühne, dass ähnlich wie bei Shakespeare auch bei Monteverdi und seinem Librettisten Giovanni Francesco Busenello die Damen und Herren von Stand Kriminelle sind, machtgierig und sexbesessen. Die Personen aus der zweiten Reihe sind durchweg Intriganten und Clowns. Der Moralphilosoph ist ein Schwätzer, der im Wortverstande an seinen eigenen Phrasen erstickt.
Ganz in diesem Sinne inszeniert Uta M. Engelhardt im Bockenheimer Depot, einer ehemaligen Industriehalle, die die Oper Frankfurt als Spielstätte nutzt, Monteverdis Macht- und Liebesspiele oder drastischer gesagt: seine mit grotesken Einlagen garnierte Sex and Crime Story. Dafür braucht sie keine große Bühne und viel szenischen Aufwand. Sie setzt stattdessen auf eine ausgefeilte Personenregie. Die wenigen Requisiten, die benötigt werden, ein Tisch, zwei Stühle, eine Couch, ein Servierwagen, bestückt mit Senecas Nürnberger Trichtern, Nerones Modellbauten für sein „Neropolis“, werden über Laufbänder herein geschoben. Auftritte und Abgänge geschehen über die Unterbühne und die Seitenbühne. Im Hintergrund ein labyrinthisches Gerüst, auf dem im Prolog Amor, Virtù und Fortuna herum klettern dürfen.
Minimalismus mit Ausnahme der finalen Krönungsszene. Da darf endlich die Bühnentechnik ihre Kunstfertigkeiten zeigen. Glitzernde, ineinander verschlungene goldene Kronen steigen aus der Unterbühne (oder ist es vielleicht die Unterwelt?) empor. Auf der Hinterbühne Feuer und Rauch: das brennende Rom. Aus der Unterbühne (aus dem Hades) ragen die Köpfe der Ermordeten und der in den Selbstmord Getriebenen: Ottavia, Seneca, Ottone, Drusilla. Und über all den Leichen schwebt geradezu das so berühmte, so eingängige finale Liebesduett: „O mia vita, o mi tesoro“. Sublim und schön – brillant gesungen von Nerone und Poppea (in den Personen der Gaëlle Arquez und der Naomi O’Connell: zwei ungewöhnliche Sängerinnen, die in Gesang und Spiel die Aufführung dominieren).
Die Frankfurter Poppea – so heißt es im Programmheft – „bedient sich sowohl der venezianischen als auch der neapolitanischen Fassung […]. Daneben gibt es Zwischenmusiken aus anderen Werken Monteverdis und aus Stücken von Zeitgenossen und Schülern des großen Komponisten“ (S. 16 und 17). Eine – so schien es mir – höchst gelungene Konzeption. Und da noch dazu die Regie (vielleicht mit Ausnahme der Schlussszene) sich nicht in den Vordergrund drängt – Prima la musica, poi la messa in scena – und Instrumentalsolisten wie Sängern allen Raum zur Entfaltung lässt, hatten wir im Publikum das Vergnügen, einen großen Monteverdi Abend zu erleben.
Wir sahen die Aufführung am 3. Januar 2015, die 8. Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 20. Dezember 2014.
Il Trionfo del Belcanto. Brenda Rae brilliert als La Sonnambula an der Oper Frankfurt
Bei Bellini – so hatte ich es mir schon oft notiert – genügen zwei oder drei herausragende Stimmen, und ein großer Opernabend ist von vornherein garantiert. In Frankfurt genügt eine brillante, alle anderen Mitwirkenden weit überragende Sopranistin, Brenda Rae in der Rolle der schlafwandelnden Amina, und es ereignet sich ein ungewöhnlich ‚schöner‘ Belcanto-Abend. Ein Abend, an dem die Primadonna nicht nur alle anderen Mitwirkenden recht blass aussehen lässt, sie geradezu an die Wand singt – vielleicht mit Ausnahme der an diesem Abend kurzfristig eingesprungenen Nina Minasyan in der mittleren Partie der Lisa. Der arme Tenor, den der Kostümbildner noch dazu in einen unvorteilhaften Anzug gesteckt hatte, war, so sehr er sich auch in den Spitztönen abmühte, gegenüber der Sopranistin praktisch chancenlos.
Mit anderen Worten: an der Oper Frankfurt zelebriert Amina in der Person der Brenda Rae Belcanto auf höchstem Niveau, zieht mühelos durch die Koloraturen, wächst über die Rolle noch hinaus und ist in ihrem Unglück Donizettis Lucia und in ihrem Glück Rossinis Angelina. Das Orchester unter der Leitung von Eun Sun Kim nimmt sich ganz zurück, lässt der Sängerin allen Raum, auf dass ihre Belcanto-Stimme umso schöner erklinge. Sollen wir jetzt mit dem Programmheft Wagner zitieren? „Wir müssen uns nicht schämen, eine Träne der Rührung zu vergießen, wenn wir [Bellini] hören“. Nun, „der Freude Tränen fließen“ nicht im Frankfurter Opernhaus. Doch immerhin Begeisterung im ganzen Haus.
Und die Inszenierung? Sie fand eigentlich nicht statt bzw. störte nicht weiter. Die Regie verzichtet auf alle Kulissen, lässt auf einer hochgestellten, meist schräg ausgerichteten Spielfläche die Solisten mal rechts, mal links, mal in der Mitte von der Rampe singen, lässt den Chor auf dieser Schräge (immerhin hübsch angeordnet) herumstehen oder sich im Bühnenhintergrund hinter einem Gaze- Vorhang verstecken. Immerhin gibt es eine Szene, die Schlussszene, die wohl die Grundkonzeption der Inszenierung signalisieren soll. Amina/Angelina singt die letzten Takte ihrer finalen Bravourarie. Der Zwischenvorhang fällt. Der angebliche Traummann und mit ihm alle anderen bleiben zurück. Amina ist allein. Ja, so fragt sich die vom Belcanto noch ganz benommene Zuhörerin, ja, was will diese schöne, fragile, empfindsame Frau eigentlich mit diesem dümmlichen, eifersüchtigen, trottelhaften Liebhaber anfangen? War die Grundkonzeption der Regie vielleicht eine feministische? Wollte sie die Männer deswegen zu machohaften Popanzen machen, auf dass die einzige Person, die zur romantischen Passion fähig ist, umso strahlender erscheine?
Wir sahen die Aufführung am 3. Dezember, die zweite Vorstellung seit der Premiere am 30. November 2014.
Die Frau ohne Schatten und Die Entführung aus dem Serail. Zwei Wiederaufnahmen an der Oper Frankfurt
Vor nunmehr mehr als elf Jahren feierten Christof Nels Strauss- und Christof Loys Mozart-Inszenierung ihre Frankfurter Premieren. Soll man sich wirklich solch betagte Inszenierungen ansehen? Bei Wiederaufnahmen dieser Art bin ich im Allgemeinen skeptisch. Zu oft wird man in den großen Häusern mit gänzlich abgespielten Versionen abgespeist. Ein Vorurteil, das für die beiden Frankfurter Wiederaufnahmen nicht zutrifft.
Nels witzige und parodistische Inszenierung, in der er den Hofmannstal Schwulst, dieses Gemenge aus fernöstlicher Märchenwelt, Ehedrama und Dr. Freud-Klischees auf deren Kern reduziert und in die Alltagswelt zweier Paare verlegt, zweier Paare, die offensichtlich mit ihrer Sexualität nicht zurechtkommen, hat kaum Staub angesetzt. Eine Inszenierung, die offensichtlich dem ironisch-parodistischem Motto folgt: nur das Spießerglück im trauten Heim heilt die Impotenz (bei Kaiser und Färber), die Frigidität (bei der Kaiserin) und die nur mühsam unterdrückte Sexgier (bei der Färberin). Zu dieser Freud-Verballhornung gesellt sich die Karikierung der Personen zu grotesken Gestalten: die Färberin ist ein Punk, die Kaiserin eine Käthe Kruse-Puppe, der Kaiser ist ein dekadenter Habsburger, Gutmensch Färber ein Pantoffelheld, und der Falke schließlich ist ein Jüngling mit langer Nase (!), der auf dem Bett der Kaiserin hockt. Mit anderen Worten: Nels Inszenierung setzt auf Parodie als durchgängige Grundkonzeption – und vielleicht wirkt sie deswegen nicht verstaubt.
Und die Musik? Maestro Weigle setzt wohl nicht so sehr wie Petrenko in München auf das selige Pianissimo, ein Pianissimo, das bei der Münchner Frau ohne Schatten bis zum Exzess ausgekostet wird und auf die Zuhörer eine geradezu hypnotisierende Wirkung ausübt. In Frankfurt nimmt man es etwas weniger manieriert. Die so berüchtigte rauschhafte Klangfarbenpracht der Strauss Musik zelebriert man selbstverständlich auch hier.
Ob die Frankfurter Frau ohne Schatten mit der Münchner mithalten könne? Eine Frage, über die sich in der Pause zwei junge Männer fast zerstritten hätten. Ich könnte mich nicht entscheiden. Vielleicht ist die Münchner im musikalischen Part noch eingängiger. In der Inszenierung, die auch beim Freud-Thema ansetzt, ist sie wohl konsequenter. Dort steckt Theatermacher Warlikomski die beiden psychisch gestörten Paare gleich in die Klinik des Dr. Freud – eine Klinik mit angeschlossenem Waisenhaus. Und damit ist für Nachwuchs so oder so gesorgt.
Und Loys Deutung der Entführung? Ich bin seit vielen Jahren ’bekennender Loy-Fan‘. Und dies schon seit Düsseldorfer Zeiten, als Loy mit der Manon, der Lucia, der Finta Giardiniera, um nur ein paar Beispiele zu nennen, sein Publikum begeisterte. Und auch in Frankfurt gelingt ihm dies scheinbar mühelos und so faszinierend, dass die zahlreichen Schulklassen, die im Hause waren (vierzehn bis fünfzehnjährige Jungen und Mädels), noch nicht einmal einen Huster wagten.
Theatermacher Loy inszeniert kein orientalisches Märchen, keine Türkenoper, keine Entführung aus dem Asylantenheim und keine missglückte Flucht aus der Türkenenklave Neukölln. Er braucht auch keine opulente Ausstattung. Ihm genügen zwei Stühle, zwei Tische, zwei Vorhänge. Minimalismus ist auch in der Entführung Loys Stil, um nicht zu sagen Loys Markenzeichen.
Nichts soll von den Personen, vom inneren Drama, das diese erleiden, ablenken. Und damit dieses Drama sich nicht nur in der Musik, sondern auch in der Sprache ereigne – so die Konzeption der Inszenierung – werden die in den landläufigen Aufführungen so gern zusammengestrichenen Dialoge fast ungekürzt gesprochen. Die Entführung ist eben nicht nur ein Reigen von wunderschöner Arien, Duetten und Quartetten, die wir alle zu kennen meinen, sondern auch ein Kammerspiel, in dem es um Liebe (um enttäuschte Liebe und um konventionelle Liebe), um ein Beziehungsgeflecht und vor allem um Todesängste geht. Erst angesichts eines scheinbar sicheren qualvollen Todes entdecken die Paare einander, bekennt Konstanze sich zu Belmonte, der ihr beim Widersehn wie ein unbedarfter in die Liebe verliebter Gimpel vorkam. (Die Personenregie macht dies überdeutlich: während Belmonte vom „Schmerz der Trennung“ singt oder besser: jammert, schaut Konstanze ihn noch nicht einmal an, setzt sich an den Tisch, an dem sie zuvor mit Bassa Selim zu Abend gegessen und gestritten hatte – Und träumt von Selim?). Die Entführung ein letztlich zeitloses Schauspiel um Eros und Thanatos mit der Musik von Mozart.
Dass in Der Entführung und nicht minder in Der Frau ohne Schatten brillant gesungen und gespielt wird – ganz wie es dem hohen Niveau des Hauses entspricht – das versteht sich von selber.
Soll man sich scheinbar betagte Wiederaufnahmen ansehen? An der Oper Frankfurt – so bestätigen es die beiden Aufführungen – kann man dies ohne Gefahr tun.
Wir sahen Die Entführung aus dem Serail am 7. November 2014 – die 51. Vorstellung seit der Premiere am 19. Oktober 2003. Die Frau ohne Schatten am 6. November 2014 – die 28. Vorstellung seit der Premiere am 2. Februar 2003.
Spiel mir die Oper vom Tod. Don Giovanni als barockes Vanitas-Theater an der Oper Frankfurt
Wenn Christof Loy inszeniert und ein so berühmter Liedersänger wie Christian Gerhaher sein Debut als Don Giovanni gibt, dann sind die Erwartungen hoch, und, sagen wir es gleich, sie werden nicht enttäuscht. Loy hat einen ungewöhnlichen, einen Don Giovanni gegen den Strich in Szene gesetzt. Dieser Don Giovanni liebt nicht die Frauen, diesen Giovanni lieben nicht die Frauen, dieser Don Giovanni liebt einzig den Tod und sich selber und das Theater, in dem er das alte Stück vom Burlador de Sevilla noch einmal, ein letztes Mal spielt und spielen lässt. Die Bühne ein ausgeräumter Theatersaal in einem verfallenen Palast, vielleicht im Palast des Komturs, vielleicht im Palast des Burlador. Zu Beginn, zur Ouvertüre öffnet sich nicht der Vorhang, nein er fällt einfach herab, wird zur Kulisse, in dem die Toten vergraben werden und hinter und in dem sich die Lebenden verstecken können. Ein ältlicher, müder Don Giovanni ist schon auf der Szene, ersticht den herbei eilenden Komtur, schaut dem Sterbenden in die Augen, zu lange in die Augen, und ist von nun an dem Tode verfallen, verfallen wie ein Liebender seinem Objekt der Begierde.
Was im Folgenden geschieht, sind Fetzen der Erinnerung, die bekannten Episoden, in denen Don Giovanni, ganz wie es das Libretto will, agiert und doch, ganz wie es die Regie will, seltsam unbeteiligt ist. Die einzige Szene, in der der aristokratische Verführungsdiskurs ihm scheinbar noch einmal gelingen wird, endet für ihn im Desaster. Nicht, oder nicht primär, weil Elvira interveniert, sondern weil ihn einzig der Diskurs, das Gerede von der Liebe interessiert, die Aktion ist nur eine ferne Erinnerung. Während Zerlina erwartungsvoll davon eilt, bleibt Don Giovanni einfach stehen: uninteressiert, in Gedanken verloren, müde und matt. Und das gleiche gilt für sein Verhältnis zu Elvira. Hier interessiert ihn noch nicht einmal mehr die Erinnerung an den Verführungsdiskurs, wie ihn die Dame aus Burgos vorträgt und ihm nachträgt. Elvira, die – ganz wie es den Klischees eines spanischen Barockstücks entspricht – sich als junger Mann verkleidet hat, um in diesem Kostüm den entsprungenen Liebhaber wieder einzufangen, hat von der Todesverfallenheit ihres scheinbaren Liebhabers nichts begriffen. Einzig Donna Anna kommt Don Giovanni in der Empathie zum Tode nahe. Nicht weil er ihre sexuellen Sehnsüchte erweckt hat – diese gängigen Deutungen interessieren die Regie nicht –, sondern weil er sie mit dem Tode konfrontiert hat, sie gleichsam mit dem Todesgedanken infiziert hat. Von dieser ‚Krankheit zum Tode‘ wird sie kein Ottavio befreien. Dieser Tod ist kein romantischer Tod und auch keine dekadente Todessehnsucht. Dieser Tod ist ein barocker Tod, das Bewusstsein von der Vanitas, von der Vergänglichkeit und Nichtigkeit aller Pracht. Und in diesem Kontext ist es nur folgerichtig, dass Ort des Geschehens ein maroder, verfallener Palast ist, dass Don Giovanni kein Liebhaber und kein Empörer gegen eine wie auch immer geartete Ordnung ist, sondern ein müder älterer Mann, der zum Fest im Palazzo und zur Bravourarie „Fin ch’han dal vino calda la testa“ von Leporello auf jugendlich geschminkt werden muss. Alles ist – ganz im barocken Sinne – nur Trug und Schein. So ist es wiederum nur konsequent, dass das Fest im Finale des ersten Akts kein ausgelassenes Fest oder gar eine Orgie ist, sondern ein Totentanz. Die Musiker, die zum Tanz aufspielen, tragen Totenmasken. Der Tod lässt aufspielen.
Das Todesthema, wie sehr es auch die Regiekonzeption bestimmt, ist nicht der einzige Träger, der einzige ‚générateur‘ der Inszenierung. Hinzu kommt als Komplementärthema der Narzissmus des Protagonisten. Nicht nur, dass er alle Akteure auf sich ausgerichtet sieht. Auch der Tod in der Person des Komturs ist nur sein Spiegelbild, und die höllischen Geister, die im Finale erscheinen, sind allesamt nichts anderes als geklonte Don Giovanni.
Don Giovanni als todessüchtiger Narziss in einem barocken Ambiente, der noch seinen eigenen Tod als Selbstinszenierung gestaltet. Dies mag wohl die Variante, die schlüssige und überzeugende Variante des Don Giovanni-Mythos sein, die Christof Loy in Frankfurt vorschlägt.
Keine Frage, dass eine solch subtile und anspruchsvolle Inszenierung nur gelingen kann, wenn der Regie wie hier in Frankfurt ein hochkarätiges, spielfreudiges Ensemble zur Verfügung steht. Ob der berühmte Mahler-Sänger der ideale Don Giovanni ist, darüber mag man vielleicht geteilter Meinung sein. Hier in der Christof Loy Inszenierung ist er von Stimme, Spiel, Kostüm und Maske der ideale Don Giovanni. Dass auch alle anderen Rollen höchst brillant besetzt sind, dass musiziert wird, wie es dem hohen Niveau des Hauses entspricht, all das versteht sich an der Frankfurter Oper gleichsam von selber. Ein großer Opernabend, der in Musik und Szene fasziniert.
Wir sahen die Aufführung am 25. Mai, die fünfte Vorstellung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 11. Mai 2014.