Seiltänzer Lohengrin bei den Karlsruher Sportfreunden. Eine verunglückte Inszenierung im Badischen Staatstheater

Badisches Staatstheater, Karlsruhe

Die Oper in Karlsruhe ist für mich ein Geheimtipp. Weiß man dort doch Wagner und Berlioz auf ungewöhnlich hohem Niveau zu spielen. In Orchesterklang und Gesang gelingen dort immer wieder herausragende Aufführungen. Und das gilt auch  – was den musikalischen Part angeht – für die Lohengrin Aufführung, die wir  am Karfreitag in Karlsruhe besuchten. Heidi Melton als Elsa singt geradezu berückend schön, und Lance Ryan – mag er zu Anfang auch ein bisschen wie Siegfried klingen –  ist ein überragender Lohengrin, einfach ein Wagner Sänger par excellence. Da auch alle anderen Rollen überdurchschnittlich gut besetzt sind und die Badische Staatskapelle unter Maestro Justin Brown auch dieses Mal einen höchst brillanten Wagner spielt, blieben eigentlich keine Wünsche offen. Ja, wäre da nicht die so dürftige und einfallslose Inszenierung.… → weiterlesen

Gutmensch L. in der Bibliothek von Babel und bei den Sektenbrüdern: Lohengrin am Theater Freiburg

Es müssen ja nicht immer gleich  die großen Staatstheater in München, Wien oder Berlin sein. Auch in kleineren Häusern – eine Erfahrung, die wir zuletzt in Frankfurt, in  Karlsruhe, in Lübeck und jetzt in Freiburg im Breisgau  machen konnten, gelingen hervorragende Wagner Aufführungen, werden wie jetzt in Freiburg eigenwillige Inszenierungen vorgestellt. In Freiburg hat Wagners Gralsritter alles Geheimnisvolle, alles Mythische, jegliche Aura verloren.… → weiterlesen

„Ein Märchen aus uralten Zeiten…“. Lohengrin an der Deutschen Oper Berlin

Im Opernhaus auf der Bismarckstrasse hat man Wagnerfestwochen ausgerufen. Und alle, alle kamen. Nietzsches nervenschwache Jünglinge –„erstarrt, blass, atemlos“ – , die Zombies aus unseliger deutscher Zeit, die ewig schwatzenden lustigen Witwen – Wagner „ist verhängnisvoll für das Weib“, die sportlichen, bürgerlichen Habitus verachtenden Pseudointellektuellen, mit einem Wort:  „die Wagnerianer: das versteht nichts von Musik – und trotzdem wird Wagner über sie Herr…“.  Die Deutsche Oper Berlin feiert Wagnerwochen, eine willkommene Gelegenheit, eine angestaubte Inszenierung aus dem Jahre 1990 noch einmal aus der Mottenkiste zu holen, ein Spektakel, das ein einstens berühmter und mächtiger Theatermann erarbeitet hat. De mortuis nil sine bene. So sagen wir denn ohne alle Häme: es war eine klassische Inszenierung zu sehen, eine Beruhigungspille für die noch von Herheims Lohengrin Parodie in der Staatsoper schockierten Wagnerianer. Ganz anders als im Haus Unter den Linden versucht man sich  an der Bismarckstrasse erst gar nicht an einer Neuerzählung des Mythos. Hier ist alles so, wie es schon immer war: eine Bühne voller mittelalterlicher Krieger mit flachen Helmen und langen Spießen, Messdiener, Kommunionkinder, Kleriker in vorkonziliären liturgischen Gewändern, ein Bischoff mit Mitra, ein korpulenter König, den man seltsamerweise (vielleicht als Zugeständnis an die „Wendezeit“?) in eine ostdeutsche Offiziersuniform gesteckt hat, eine blond gelockte Elsa im weißen lange Kleide, die Hexe rothaarig und dunkel gekleidet, der böse Graf in schwarzem Leder. Und natürlich Lohengrin im silbernen Gewande. Nichts von beißender Ironie, nichts von böser Parodie, dafür ein Märchenspiel für kindlich gebliebene Erwachsene. Ja, und wenn der frustrierte Traummann, gestützt auf sein Schwert, seine Gralserzählung vorträgt, Elsa „entseelt“ zu Boden sinkt, die friesische Hexe den kleinen Prinzen zum Schlussakkord schon wieder einzufangen sucht, ja dann wir alle gerührt, ergriffen und begeistert, nicht ob des naiven Märchenspiels, das wir sahen, sondern ob der grandiosen Sänger, die man für diesen Abend engagiert hatte. Zwar sind sie allesamt nicht mehr die Jüngsten, und die drei Herren in den Hauptrollen agieren manchmal wie tapsige Bären. Allein tut’s. Brillant singen, das können sie alle noch. Unnötig zu sagen dass der Star des Abends Waltraud Meier hieß. In Gesang und Spiel übertrifft sie noch immer all ihre Mitspieler. Wir sahen die Vorstellung am 6. Februar 2010. Es war laut Programmheft die 54. Aufführung seit der Premiere am 23. 6. 1990.

 

Häuslebauer Elsa vergrault den Zimmermann. Lohengrin (oder was davon übrig blieb) in der Bayerischen Staatsoper

Gestern Abend haben wir im Nationaltheater anlässlich der diesjährigen Münchner Opernfestspiele die zweite Vorstellung des mit so viel Vorschusslorbeeren  bedachten neuen Münchner Lohengrin gesehen, gehört (und erlitten). „Ein ärgerlich misslungener Lohengrin […]Was für eine Besetzung! Was für eine konzeptgläubig vertane Chance“, so resümiert Joachim Kaiser in der Süddeutschen Zeitung (7.7., Nr. 153, S.11) – und da  hat er wohl Recht. Mit Anja Harteros und Jonas Kaufmann stehen als Protagonisten zwei Superstars auf der Bühne, die zurzeit wohl kaum zu übertreffen sein dürften. Das Orchester spielt (meist) hinreißend schön. Ärgerlich war nur, dass an diesem Abend  in die ersten Takte des so leise und überirdisch anhebenden Vorspiels ein offensichtlich mangelhaft justiertes Mikrofon hineinquietschte. Das kann schon mal passieren, wenn die Aufführung aufgezeichnet wird. Doch letztlich war dieser Missklang geradezu ein unbeabsichtigtes Symbol des Münchner Lohengrin. In was für ein erbärmliches banales Ambiente stellt man doch  in München grandiose Sängerschauspieler. Wie leichtfertig reduziert man Wagners Musik  immer wieder zum Soundtrack  für pseudonaturalistisches Bauerntheater. Von „Schwachsinn“, von Auftritten, die „an vergangene DDR-Massenszenen“ erinnern, spricht Joachim Kaiser, von einer Inszenierung, die „die Leistungen der Sänger beklemmend minderte“. Ganz so schlimm war es vielleicht nicht.  Immerhin verfügt die Regie über ein  in sich stringentes Konzept – ein abwegiges. Man kann den Lohengrin Mythos halt auf verschiedene Art und Weise erzählen. Viele Male haben wir schon gelesen und gehört, dass der Mythos eben nur in seinen Varianten lebe und stets, je nach hermeneutischer Situation des jeweiligen Interpreten, neue Varianten produziere. Warum soll man den Lohengrin Mythos  nicht auch einmal als die Geschichte vom wandernden Zimmermann erzählen, der einer kleinen Häuslebauerin zu Hilfe eilt, die von einem mächtigen Bauunternehmer und dessen krimineller Gattin mit üblen Machenschaften darin gehindert wird, ihr schönes bayerisches Eigenheim zu bauen. Der Zimmermann wirft die beiden Bösewichter von der Baustelle – zur Freude der Maurer und Tischler, die jetzt erst richtig zulangen, und am Ende des zweiten Akts, wenn sich Zimmermann und Mägdelein vor dem Landrat (bei Wagner: ein gewisser König Heinrich) das Jawort geben, da ist, o Wunder, das Haus fertig (dank unserer tüchtigen Bühnentechnik, die im Finale noch schnell das Fertighausdach  mit einem Kran heranschwenkt). Ja, beim Münchner Lohengrin da gewinnt man so richtig  Einblick in die Tätigkeit und in die Intrigen des mittelständischen Gewerbes. Wie da unsere Elsa – in ihrer Latzhose  und den schwarzen Zöpfen  sieht sie wirklich allerliebst aus –  Steine schleppt und mauert, wie da unser Zimmermann hobelt und glättet, wie der böse Bauunternehmer, der sich nicht so einfach vom Markt verdrängen lassen will, intrigiert, das ist schon recht interessant anzusehen. Dass ihr Tun wenig oder gar nichts mit dem zu tun hat, was sie da singen, das darf einen nicht weiter stören. Im dritten Akt haben dann auch die Innenausstatter zu Ende gewerkelt. Wie die Geschichte ausgeht, das wissen wir noch von anderen Aufführungen. In München gibt es noch die Varianten, dass ein tieftrauriger, frustrierter Zimmermann Ehebett und Wiege und auch das Häusle anzündet und dass alle Handwerker im Finale  zu Sektenmitgliedern mutieren und nach dem Abgang des Zimmermanns, den sie wohl für den erwarteten neuen Guru gehalten haben, sich zum kollektiven Selbstmord entschließen, während Elsa und ihr Brüderchen diesem Treiben konsterniert zuschauen. So sieht die ‚Arbeit am Mythos’ in München aus. Ein Lohengrin, dem die Regie alle Verzauberung, alles Märchenhafte, alles Träumerische, alles Geheimnisvolle, mit einem Wort: alles Romantische gewaltsam ausgetrieben hat und die  zur Entschädigung noch nicht einmal Komik und Unterhaltung bietet, wie das Stefan Herheim bei seinem Berliner Lohengrin vermag, sondern nur Banalitäten produziert. Oder ist die Regie vielleicht so spitzfindig, dass sie mit dem Symbol des Hauses spielt, das Haus, in dem Symbolforscher ein Bild des Universums oder auch des „être intérier“ oder auch  das der Weiblichkeit allgemein sehen. Wollte uns die Regie unter banaler Verkleidung vielleicht sogar eine tiefenpsychologische Deutung suggerieren? Sollte unser süßes Latzhosen Girl vielleicht sogar das Symbol des ‚ Ewigweiblichen’ sein, das den stets ‚Unbehausten’ zu sich und in sich ziehen will? War das vielleicht die Grundidee Ihrer Inszenierung Mr. Jones? Ein bisschen sehr banal. War es das? Allein, was tut’s. Ein Teil des Publikums hat ein bisschen gebuht. Aber das braucht Sie nicht zu interessieren. Sie sind längst zu neuen Regietaten aufgebrochen und überlassen es dem Dirigenten Ihr Opus mehrmals zu sehen. Manchmal wünscht man sich, dass unsere Herren Generalmusikdirektoren ein bisschen mehr Mut vor Fürstenthronen zeigten und sich nicht so einfach zu Soundtracklieferanten reduzieren ließen. In Stuttgart, so munkelt man, habe der oberste Musiker beim Lohengrin auf dem Grundsatz bestanden: „Prima la musica, poi la messa in scena“. Wie wäre es Herr Generalmusikdirektor Nagano, wenn Sie uns Gelegenheit einmal einen konzertanten Lohengrin zelebrieren würden? So manche Wagnerianer – und  nicht nur die  verknöcherten – wären Ihnenwohl dankbar.

Wir sahen die Vorstellung  am 8. Juli. Die Premiere war am 5. Juli 2009.

19. 04.09 Das Märchen vom unglücklichen Lohengrin – leicht fernöstlich verzerrt an der Staatsoper Stuttgart

Ich sage es gleich, mag die professionelle Kritik die Produktion auch verreißen: uns im Publikum hat der Stuttgarter Lohengrin gefallen, ja, mehr noch: er hat uns begeistert. Wer vor gerade einmal zwei Wochen den erbärmlichen Lohengrin gesehen hat, den die Berliner Staatsoper unter den Linden präsentiert  – eine witzig gemeinte überladene Revue aus Traditionsmüll und Berliner Tagespolitik mit (mit Ausnahme der Titelfigur) durchweg durchschnittlichen Sängern und einem Orchester und einem Dirigenten, die sich als Soundtrack Lieferanten für einen narzisstisch überdrehten Theatermacher gerierten – wer diesen erbärmlichen Berliner Lohengrin gesehen und gehört hat, für den ist der Stuttgarter Lohengrin, zumindest was den musikalischen Part betrifft, ein Ereignis. Hier in Stuttgart sind alle Rollen hervorragend und brillant besetzt. Hier spielt das Staatsorchester unter Maestro Honeck einen passionierten hinreißenden Wagner. Hier stehen  Orchesterklang und Gesang, und eben nicht das grelle Spektakel auf der Szene, im Mittelpunkt des Interesses: Prima la musica e poi la messa in scena.

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4. 4. 09 Von der Tragödie zur Komödie ist es nur ein Schritt – zur Klamotte nur ein halber. Von Glanz und Elend eines Regiestars. Offener Brief an Stefan Herheim anläßlich der Premiere seines Lohengrin in der Staatsoper unter den Linden

Sehr geehrter Theatermacher, lieber Stefan Herheim,

zunächst herzlichen Glückwunsch zu Ihrem großen Erfolg am vergangenen Samstag in der Staatsoper. Allgemeine Begeisterung bei einem (mit Verlaub gesagt) unkritischen Premierenpublikum, das sich wie immer erst einmal selber feiert. Ich habe, obwohl vielleicht der eine oder andere Altwagnerianer ein bisschen irritiert war, keine einzige Missfallsbekundung gehört. Dass in der „hauptstädtischen“ Presse an Ihrem Konzept herumgemäkelt wurde, das wird Sie nicht weiter stören. Gestatten Sie einer Dilettantin, die beruflich überhaupt nichts mit dem Musiktheater zu tun hat, die einfach nur gern in die Oper geht, die schon Ihre Neuerfindung der Entführung  in Salzburg goutiert hat und die in den letzten drei bis vier Jahren wohl mehr als zweihundert Inszenierungen in den unterschiedlichsten Häusern gesehen hat, ein paar kritische Anmerkungen zu Ihrem Lohengrin.

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