Häuslebauer Elsa vergrault den Zimmermann. Lohengrin (oder was davon übrig blieb) in der Bayerischen Staatsoper

Gestern Abend haben wir im Nationaltheater anlässlich der diesjährigen Münchner Opernfestspiele die zweite Vorstellung des mit so viel Vorschusslorbeeren  bedachten neuen Münchner Lohengrin gesehen, gehört (und erlitten). „Ein ärgerlich misslungener Lohengrin […]Was für eine Besetzung! Was für eine konzeptgläubig vertane Chance“, so resümiert Joachim Kaiser in der Süddeutschen Zeitung (7.7., Nr. 153, S.11) – und da  hat er wohl Recht. Mit Anja Harteros und Jonas Kaufmann stehen als Protagonisten zwei Superstars auf der Bühne, die zurzeit wohl kaum zu übertreffen sein dürften. Das Orchester spielt (meist) hinreißend schön. Ärgerlich war nur, dass an diesem Abend  in die ersten Takte des so leise und überirdisch anhebenden Vorspiels ein offensichtlich mangelhaft justiertes Mikrofon hineinquietschte. Das kann schon mal passieren, wenn die Aufführung aufgezeichnet wird. Doch letztlich war dieser Missklang geradezu ein unbeabsichtigtes Symbol des Münchner Lohengrin. In was für ein erbärmliches banales Ambiente stellt man doch  in München grandiose Sängerschauspieler. Wie leichtfertig reduziert man Wagners Musik  immer wieder zum Soundtrack  für pseudonaturalistisches Bauerntheater. Von „Schwachsinn“, von Auftritten, die „an vergangene DDR-Massenszenen“ erinnern, spricht Joachim Kaiser, von einer Inszenierung, die „die Leistungen der Sänger beklemmend minderte“. Ganz so schlimm war es vielleicht nicht.  Immerhin verfügt die Regie über ein  in sich stringentes Konzept – ein abwegiges. Man kann den Lohengrin Mythos halt auf verschiedene Art und Weise erzählen. Viele Male haben wir schon gelesen und gehört, dass der Mythos eben nur in seinen Varianten lebe und stets, je nach hermeneutischer Situation des jeweiligen Interpreten, neue Varianten produziere. Warum soll man den Lohengrin Mythos  nicht auch einmal als die Geschichte vom wandernden Zimmermann erzählen, der einer kleinen Häuslebauerin zu Hilfe eilt, die von einem mächtigen Bauunternehmer und dessen krimineller Gattin mit üblen Machenschaften darin gehindert wird, ihr schönes bayerisches Eigenheim zu bauen. Der Zimmermann wirft die beiden Bösewichter von der Baustelle – zur Freude der Maurer und Tischler, die jetzt erst richtig zulangen, und am Ende des zweiten Akts, wenn sich Zimmermann und Mägdelein vor dem Landrat (bei Wagner: ein gewisser König Heinrich) das Jawort geben, da ist, o Wunder, das Haus fertig (dank unserer tüchtigen Bühnentechnik, die im Finale noch schnell das Fertighausdach  mit einem Kran heranschwenkt). Ja, beim Münchner Lohengrin da gewinnt man so richtig  Einblick in die Tätigkeit und in die Intrigen des mittelständischen Gewerbes. Wie da unsere Elsa – in ihrer Latzhose  und den schwarzen Zöpfen  sieht sie wirklich allerliebst aus –  Steine schleppt und mauert, wie da unser Zimmermann hobelt und glättet, wie der böse Bauunternehmer, der sich nicht so einfach vom Markt verdrängen lassen will, intrigiert, das ist schon recht interessant anzusehen. Dass ihr Tun wenig oder gar nichts mit dem zu tun hat, was sie da singen, das darf einen nicht weiter stören. Im dritten Akt haben dann auch die Innenausstatter zu Ende gewerkelt. Wie die Geschichte ausgeht, das wissen wir noch von anderen Aufführungen. In München gibt es noch die Varianten, dass ein tieftrauriger, frustrierter Zimmermann Ehebett und Wiege und auch das Häusle anzündet und dass alle Handwerker im Finale  zu Sektenmitgliedern mutieren und nach dem Abgang des Zimmermanns, den sie wohl für den erwarteten neuen Guru gehalten haben, sich zum kollektiven Selbstmord entschließen, während Elsa und ihr Brüderchen diesem Treiben konsterniert zuschauen. So sieht die ‚Arbeit am Mythos’ in München aus. Ein Lohengrin, dem die Regie alle Verzauberung, alles Märchenhafte, alles Träumerische, alles Geheimnisvolle, mit einem Wort: alles Romantische gewaltsam ausgetrieben hat und die  zur Entschädigung noch nicht einmal Komik und Unterhaltung bietet, wie das Stefan Herheim bei seinem Berliner Lohengrin vermag, sondern nur Banalitäten produziert. Oder ist die Regie vielleicht so spitzfindig, dass sie mit dem Symbol des Hauses spielt, das Haus, in dem Symbolforscher ein Bild des Universums oder auch des „être intérier“ oder auch  das der Weiblichkeit allgemein sehen. Wollte uns die Regie unter banaler Verkleidung vielleicht sogar eine tiefenpsychologische Deutung suggerieren? Sollte unser süßes Latzhosen Girl vielleicht sogar das Symbol des ‚ Ewigweiblichen’ sein, das den stets ‚Unbehausten’ zu sich und in sich ziehen will? War das vielleicht die Grundidee Ihrer Inszenierung Mr. Jones? Ein bisschen sehr banal. War es das? Allein, was tut’s. Ein Teil des Publikums hat ein bisschen gebuht. Aber das braucht Sie nicht zu interessieren. Sie sind längst zu neuen Regietaten aufgebrochen und überlassen es dem Dirigenten Ihr Opus mehrmals zu sehen. Manchmal wünscht man sich, dass unsere Herren Generalmusikdirektoren ein bisschen mehr Mut vor Fürstenthronen zeigten und sich nicht so einfach zu Soundtracklieferanten reduzieren ließen. In Stuttgart, so munkelt man, habe der oberste Musiker beim Lohengrin auf dem Grundsatz bestanden: „Prima la musica, poi la messa in scena“. Wie wäre es Herr Generalmusikdirektor Nagano, wenn Sie uns Gelegenheit einmal einen konzertanten Lohengrin zelebrieren würden? So manche Wagnerianer – und  nicht nur die  verknöcherten – wären Ihnenwohl dankbar.

Wir sahen die Vorstellung  am 8. Juli. Die Premiere war am 5. Juli 2009.