Ich sage es gleich, mag die professionelle Kritik die Produktion auch verreißen: uns im Publikum hat der Stuttgarter Lohengrin gefallen, ja, mehr noch: er hat uns begeistert. Wer vor gerade einmal zwei Wochen den erbärmlichen Lohengrin gesehen hat, den die Berliner Staatsoper unter den Linden präsentiert – eine witzig gemeinte überladene Revue aus Traditionsmüll und Berliner Tagespolitik mit (mit Ausnahme der Titelfigur) durchweg durchschnittlichen Sängern und einem Orchester und einem Dirigenten, die sich als Soundtrack Lieferanten für einen narzisstisch überdrehten Theatermacher gerierten – wer diesen erbärmlichen Berliner Lohengrin gesehen und gehört hat, für den ist der Stuttgarter Lohengrin, zumindest was den musikalischen Part betrifft, ein Ereignis. Hier in Stuttgart sind alle Rollen hervorragend und brillant besetzt. Hier spielt das Staatsorchester unter Maestro Honeck einen passionierten hinreißenden Wagner. Hier stehen Orchesterklang und Gesang, und eben nicht das grelle Spektakel auf der Szene, im Mittelpunkt des Interesses: Prima la musica e poi la messa in scena.
Über das Inszenierungskonzept mag man streiten. Dieser leicht japanische Touch (wohl eine Art Hommage an den Koproduzenten aus Tokio), der über allem liegt, mag nicht jedermann behagen. Und wenn zum Hochzeitsfest rote Rosenblätter aus dem Bühnenhimmel regnen und wie schon vorher silberne bei der Erscheinung des Gralsritters, dann fühlt man sich als Zuschauer nicht so recht wohl und glaubt sich einer Kitschorgie recht nahe. Auch die in dämmriges Licht gehüllte Szene mit ihren harten Schwarz-Weiß Kontrasten, die zugleich eine ethisch Unterscheidung markieren (die ‚Guten’ sind in weiß, die ‚Bösen“ in schwarz gekleidet) ist in ihrer plakativen Art gewöhnungsbedürftig. Alle Auftritte erfolgen aus der Unterbühne, d.h. die Handelnden steigen, sobald es die dramatische Situation verlangt, gleichsam aus der Unterwelt empor, sind Märchenfiguren, die je nach Bedarf gleichsam aus dem Nichts erscheinen. Befremdlich wirkt zunächst auch das Singen von der Rampe, bis man erfasst, dass wir im Publikum gleichsam mitspielen, dass wir das Volk von Brabant sind, an das sich die Akteure direkt wenden. Ein Versuch hin zum totalen Theater? Ein Versuch wiederum, der im Kontrast zu dem geradezu minimalistischen Spiel der sparsamen Gesten steht, auf das sich das Geschehen auf der Bühne reduziert, eine Konzentations- und Reduktionstechnik, die wohl auf den Robert Wilson Stil verweisen soll. Der Chor mimt keine kriegerischen „Männer von Brabant“. Er tritt überhaupt nicht in die Handlung ein, sondern verharrt – so im ersten Akt – ganz in statuarischer Position in einem Hell-Dunkel Kontrast, ganz wie es der ethischen Indifferenz des ‚Volkes’ zu Beginn der Handlung und wie es dem Schwarz/Weiß Kontrast entspricht – und wirkt wie ein Spiegelkabinet von Marionetten oder vielleicht auch von buddhistischen Priestern, die im Dunklen entschwinden und von denen nur die Köpfe sichtbar sind. Auch im zweiten Akt verharrt der Chor, der jetzt in weiße Kokons gehüllt ist (er hat ja für die ‚Guten’ Partei ergriffen) in statuarischer Haltung im Hintergrund, und erst im Finale, zur Gralserzählung, betritt er die Bühne und schart sich um Lohengrin. Dieses Zurückdrängung der ‚Masse’ bewirkt nicht nur ein Zurückdrängen alles Militärischen und den Verzicht auf das große Spektakel, sondern erlaubt eine absolute Konzentration auf die beiden antagonistischen Paare und die beiden kontrastierenden Frauenfiguren, die jetzt in einem geradezu kammerspielartigen Ambiente miteinander und gegeneinander agieren. Vielleicht liegt im Verzicht auf die Grand Opéra Relikte und in der Kunst der Reduktion sowie in der Konzentration auf das seelische Geschehen die Stärke der Inszenierung. Dieser Lohengrin in Stuttgart, wie er da in seinem weißen Anzug auf der Bühne steht, ist von Anfang an ein Unglücklicher, der um den Ausgang des Geschehens weiß, der im dritten Akt auf leerer Bühne stoisch eine exaltierte Elsa erwartet, und auf schwarzer Wand steht als Menetekel der falsche Schwur der Braut: „Nie, Herr, soll meine Frage kommen“. Alles Kitsch? Alles anspruchsloses Kunstgewerbe? Wie dem auch sei. Uns jedenfalls hat es gut gefallen. Den Stuttgarter Lohengrin höre und schaue ich mir noch einmal an. Und mir ist es auch gleich, ob es – wie man im Publikum munkelte – zu einem Streit zwischen dem Dirigenten und dem Regisseur gekommen ist und letzterer seine Arbeit vor der Premiere einfach hingeschmissen hat. Im Programmheft liest man: „Regie: Stanislas Norday“. Auf dem Besetzungszettel heißt es: „Regie, Bühne und Licht nach der Konzeption von Stanislas Norday, Emmanuel Clolus, Philippe Berthomé“.
Die Premiere war am 29. März 2009. Wir sahen die 5. Vorstellung.