4. 4. 09 Von der Tragödie zur Komödie ist es nur ein Schritt – zur Klamotte nur ein halber. Von Glanz und Elend eines Regiestars. Offener Brief an Stefan Herheim anläßlich der Premiere seines Lohengrin in der Staatsoper unter den Linden

Sehr geehrter Theatermacher, lieber Stefan Herheim,

zunächst herzlichen Glückwunsch zu Ihrem großen Erfolg am vergangenen Samstag in der Staatsoper. Allgemeine Begeisterung bei einem (mit Verlaub gesagt) unkritischen Premierenpublikum, das sich wie immer erst einmal selber feiert. Ich habe, obwohl vielleicht der eine oder andere Altwagnerianer ein bisschen irritiert war, keine einzige Missfallsbekundung gehört. Dass in der „hauptstädtischen“ Presse an Ihrem Konzept herumgemäkelt wurde, das wird Sie nicht weiter stören. Gestatten Sie einer Dilettantin, die beruflich überhaupt nichts mit dem Musiktheater zu tun hat, die einfach nur gern in die Oper geht, die schon Ihre Neuerfindung der Entführung  in Salzburg goutiert hat und die in den letzten drei bis vier Jahren wohl mehr als zweihundert Inszenierungen in den unterschiedlichsten Häusern gesehen hat, ein paar kritische Anmerkungen zu Ihrem Lohengrin.

„Ach, (!) der  junge Mann sprüht ja geradezu vor Ideen“, hörte ich eine Emma Bovary, die an diesem Abend zufällig in meiner Nähe saß, sagen, und die Dame konnte sich  beim Schlussbeifall vor lauter Klatschen und Bravo Rufen gar nicht mehr beruhigen. So viel Enthusiasmus bei einer literarischen Freundin, die sich, so hat es mir neulich Monsieur Flaubert noch einmal erzählt, nicht gerade durch Sachkenntnis auszeichnet und die sich in die Sänger und weniger in die Theatermacher zu verlieben pflegt, ist eher ein vergiftetes Lob, das Ihnen kaum gefallen haben dürfte. Für diese Emmas im Publikum, die so lieb, so enthusiastisch, so naiv sind, für die machen sie kein Theater. Die lachen Sie genauso aus, wie Sie sich am heutigen Abend über einen gewissen Herrn Wagner amüsiert haben. Und mehr noch  und noch ein bisschen böser als dessen zeitweiliger Freund und Bewunderer, ein gewisser  Professor Nietzsche,  haben Sie den kleinen Sachsen mit seinem literarischen und musikalischen Erlösungsgeschwafel  und seinem Hang zu träumerischen und hysterischen Weibern heute in der Staatsoper erledigt und  im Finale ihn ( oder war es sein Ritter Lohengrin? Oder  war es vielleicht  Ikarus?) in einem grandiosen Stupore-Effekt kopfüber vom Olymp auf den Bühnenboden gestürzt. Und Ihr für den Soundtrack zuständiger Kollege hat Sie bei Ihrer Wagner Dekonstruktion, bei Ihre Wagner Persiflage, bei Ihrer Wagner Komödie  mit seiner Staatskapelle kräftig (nein falsch: kraftlos und lahm) unterstützt. Bloß keinen  Wagnerrausch! Bloß keine Wagnerdroge! Nicht auf der Bühne, und schon gar nicht im Orchestergraben. Wer Weihespiele sehen will, der gehe zu Robert Wilson. Wer Liebestragödien sehen will, der gehe zu Claus Guth. Wer einen rauschhaften Wagner hören will, der gehe zu Metha, zu Stenz, zu Jordan und wie sie alle heißen. Bei uns in der Staatsoper, da machen wir auf Wagner-Komödie und auf Wagner-Soundtrack. Und damit es über unsere Konzeption auch nicht den geringsten Zweifel gibt, machen wir unseren Titelhelden von Anfang an zum Popanz und zur lächerlichen Figur. Dazu brauchen wir ihn ja nur in das Kostüm der Uraufführung oder in so etwas Ähnliches zu stecken, dann sieht er so weibisch oder zumindest so androgyn aus, dass der armen Elsa in der Hochzeitsnacht  wirklich Zweifel kommen müssen. Lassen wir die Musiker. Wenn die nur die zweite Geige spielen wollen und mit dem Grundsatz: prima la messa in scena e poi la musica einverstanden sind, dann ist das deren Sache. Reden wir lieber noch ein bisschen von Ihrem Spektakel. (Ehe ich es vergesse: eine Frage. Haben Sie bei Ihrer Performance eigentlich Teile des Publikums miteinbezogen und dieses Wagner Figuren oder auch Wagner Interpreten darstellen lassen? Vor mir saß Adorno. Weiter rechts belegte eine ganze Kohorte  von Wotans Heldensöhnen die Plätze. Seitlich hinter mir saß eine blonde, üppige Isolde. König Marke war gleich viele Male vertreten. Meine Freundin Emma Bovary kennt  zwar nur die Lucia di Lammermoor. Aber warum sollten  ihre Reinkarnationen nicht zum Lohengrin gehen). Entschuldigen Sie bitte, wenn ich noch einmal auf meine  Freundin Emma zurückkomme. Vielleicht hat sie mit ihrer spontanen Bemerkung: „Der sprüht ja geradezu vor Ideen“ doch nicht so ganz unrecht. Wie Sie da den ersten Akt zu einer Mischung aus Opernprobe für Choristen und Solisten, Marionettentheater und einer Demonstration gegen des Bürgermeisters Opernpläne  machen und dazu den König Heinrich in eine Wowereit Maske stecken, der den Berliner Bären ständig in den Hintern tritt, dass er nur mit dünnem Stimmchen die Presserklärungen seines Meisters verlesen kann, wie Sie den Telramund  zu einem von Wowereits intriganten Senatoren machen, der doch nur von einem  machtlüsternen Parteiweib gesteuert wird, das ist sehr amüsant. Und wenn wir dann zum Finale allesamt als Nackedeis in den Venusberg einziehen, das ist schon sehr spektakulär. Ja, unser König, Bürgermeister und Tannhäuser führt uns wahrhaft herrlichen Zeiten entgegen. So haben Sie dann gleich im ersten Akt Berliner Lokalpolitik, Berliner Politgrößen, Wagner und die Wagnerrezeption gleichsam mit einem Trompetenstoß erledigt und Kleists Marionettentheater und die preußische Militärtradition gleich mit dazu (Das Eichenlaub mit Schwertern trägt der deutsche Mann an der einzigen Waffe, die ihm noch verblieben ist: am Schwanz). Was Sie da alles und wie Sie da alles in einer Stunde lachend niedermachen, das ist schon eine Leistung. Und das ist ja nicht alles. „Die heilige Kunst“ (gemeint ist die surrealistische bildende Kunst), die zitieren Sie ja auch noch dazu. Ihr Wagnerzwerg darf sich unter Magrittes Gralskelch lagern und von seinen Opern träumen, und Ihre Nackedeis verweisen in ihrer Bemalung  auf das bekannte Frauenbild des belgischen Surrealisten. Und damit das auch die Unbedarften mitkriegen, zitieren Sie Magritte im Programmheft. Dass Sie in Ihrem großen Wagner Spektakel an Witz und Ironie und Zitatengemenge im zweiten Akt noch einmal zulegen, das übersteigt all unsere Erwartungen. Da werden zum Gaudi (oder vielleicht auch zum Entsetzen?) der Wagnerianer die Saufszenen aus dem Fliegenden Holländer und aus der Götterdämmerung von lauter kleinen Ricci Wagner Choristen nachgestellt, da werden Elsas Hochzeitszug und das Gezänke der beiden Zicken,  die eine im Uta von Nauenburg Dress, die andere als Femme fatale Verschnitt, als mittelalterliches Jahrmarktpuppenspiel vor einer Pappmasche Kathedrale gespielt. Und der Puppenspieler Wagner zieht – im Wortverstande – alle Fäden. Bilder über Bilder. Zitate über Zitate. Ein Theatermacher trumpft auf. Und ein berühmter Dirigent sieht verdammt alt aus.

Verstehen Sie, sehr geehrter Herr Herheim, meine Anmerkungen zu Ihrem Lohengrin nicht falsch. Wir im Publikum haben an diesem langen Abend in der Staatsoper so richtig Spaß mit Ihnen gehabt und auf den Soundtrack gar nicht mehr geachtet. Sie haben uns (frei nach Bachtin) die große Karnevalisierung Wagners geboten, den Komponisten und seinen Protagonisten so richtig auf den Kopf gestellt, auf dass von beiden nichts mehr bleibe – außer Gelächter. „Was aber bleibet, das stiften die Herheim“. Nein, diesen Anspruch haben Sie natürlich (noch?) nicht. Sie wollen nur „Neues“ schaffen. Doch, pardon verehrter Theatermacher, so weit sind Sie noch nicht. Wenn, um einen mehr beiläufig geäußerten Gedanken Juan Goytisilos aufzunehmen, (der natürlich seinen Bachtin kennt), ein „neuer“ Künstler auf die Szene tritt, dann hat er drei Möglichkeiten: er kann so weitermachen wie alle anderen, und dann ist er ein Epigone. Und das sind Sie fürwahr nicht. Er kann – und dies wäre die zweite Möglichkeit – aus der Kenntnis der Traditionen (und diese kennen Sie fürwahr) diese pervertieren und parodieren. Auf diesem Gebiet sind Sie unschlagbar. Da übertreffen Sie sogar die Herren Neuenfels und Konwitschny, die vielleicht einmal Ihre Vorbilder waren. Der dritte Weg, der frei nach Goytisolo dem Künstler offen steht, ist der schwierigste: er kann versuchen, „Neues“ zu schaffen, einen eigenen Diskurs, einen autonomen Stil zu kreieren. Ich wünsche Ihnen, wenn Sie sich auf dem  zweiten Weg bald erschöpft verlaufen haben, dass Sie dann den neuen Weg nicht verfehlen. Postmoderne Beliebigkeit, postmodernes Spielen und Ironisieren, so viel Spaß es auch noch immer macht, ist eigentlich schon „out“. „Kinder schafft Neues“. Wagners Motto, das Sie so schön programmatisch im Finale zitieren, sollte auch das Ihre sein.

Was ist Ihre nächste Produktion? Ich werde sie mir sicherlich ansehen. Schon, wie man im Rheinland sagt, „aus Spaß an der Freud“.

Es grüßt Sie herzlich Ihre Zerlina von Faninal.

Wir sahen die Premiere am 4. April 2009.