Das Zürcher Musiktheater ist eigentlich ein Garant für Aufführungen auf höchstem Niveau und dies auch wenn die eine oder andere Inszenierung schon ein wenig in die Jahre gekommen ist. In Zürich sind eine Le Nozze di Figaro, eine Ariadne, ein Tristan und kürzlich eine Frau ohne Schatten und ein Idomeneo zu sehen: allesamt Aufführungen, wie man sie sich besser kaum vorstellen kann. Doch jetzt mit Les Contes d’Hoffmann da sind wir wieder wie vor ein paar Jahren mit Tiefland und Fidelio im Stadttheater gelandet. Und da hilft auch der musikwissenschaftliche Ehrgeiz nicht weiter, mit dem man alles Konventionelle verschmäht und sich an der neuesten Edition der Oper orientiert, der Ausgabe von Kaye und Keck vom Jahre 2005. Das Konventionelle, das die Musiker verschmähten, tobte sich auf der Szene umso mehr aus. Natürlich kann auch ein so renommiertes Haus wie das Zürcher nicht immer nur Exquisites und Elitäres bieten. Es muss auch dem Unterhaltungsbedürfnis eines breiten Publikums entgegen kommen. Und Hoffmanns Erzählungen, die landläufige Mär vom versoffenen und frustrierten Lover und Literaten, ist da gerade richtig. Doch, so fragt sich enttäuscht und ärgerlich die Opernbesucherin, warum macht man in Zürich aus der so populären Vorlage nicht großes Theater. In Köln hat vor Jahren schon Krämer aus dem Hoffmann ein grandioses Fest des Märchen- und Metatheaters gemacht. Und im braven Genf hat man sich sogar getraut, Les Contes d’Hoffmann zu einer Melange aus Sex Revue und Totentanz anzurichten. Und jetzt in Zürich? Da präsentiert man biederes Stadttheater zum Einschlafen. Zum Prolog eine alemannische Weinstube, wohl mit Zugang zum Opernhaus, in der noch nicht das Rauchverbot gilt (steht wohl alles so im Libretto), in der Herren im Abendanzug, die aus einer langweiligen Opernaufführung geflüchtet sind, ein bisschen saufen, rauchen und streiten wollen und vor allem lüsterne Geschichten von den Liebschaften eines Literaten namens Hoffmann hören wollen. Und der erzählt ihnen dann auch bereitwillig Grotesken, Nachtstücke und Phantasiestücke, und die Regie macht daraus Realitätsstücke mit phantastischen Einsprengseln. Das ist immerhin etwas: meist anspruchslos unterhaltsam, manchmal langatmig zäh. Wer Erzählungen von E. T. A. Hoffmann und wenn sie auch nur in einer verdünnten Librettoversion erscheinen, in Szene setzen will, der braucht viel Sinn für das Phantastische, für das Groteske, für das Sublime, und nicht zuletzt braucht er viel Sinn für Ironie. Von all dem zeigt sich in Zürich wenig, zu wenig, als dass daraus ein großer Opernabend würde. Hier setzt man, ohne es zu karikieren, auf das Spießige – so in den Szenen in der Weinstube. Hier setzt man auf das anrührend Kitschige, auf das, was einstens die morbide Zärtlichkeit und Lebensgier schwindsüchtiger junger Damen hieß – so im Antonia Akt. Hier setzt man auf das langweilig Seichte, auf die Kleinbürger Phantasien vom verruchten Leben der Demi Monde – so im Giulietta Akt. Wie immer oder wie fast immer stehen in Zürich Sänger der ersten Garnitur auf der Bühne. Doch ob unbedingt ein Latinlover wie aus dem Bilderbuch die Idealbesetzung für den zwischen Schreiblust und Sexlust changierenden Hoffmann ist? Ich weiß es nicht.
Les Contes d’Hoffmann in Zürich. Da hat der Arme nicht nur Schatten und Spiegelbild verloren. Da ist er verloren. Und ich als Publikum verlier mich nicht noch einmal zu den Zürcher Hoffmanns Erzählungen. Ein Vorschlag an die Intendanz: schenken Sie Ihrem Produktionsteam doch als Bonus eine Kopie von Krämers Regiebuch zum Hoffmann. Auch aus Populärem lässt sich Hochkultur machen: schlagt nach bei Krämer. Wir sahen die Vorstellung am 16. März, die zweite Aufführung nach der Premiere am 13. März 2010.