L’imagination: „la reine des facultés“ – Johannes Erath inszeniert Les Contes d’Hoffmann als Fest der Phantasie, des Traums und des Theaterzaubers an der Semper Oper

So viele Male haben wir Hoffmanns Erzählungen nun schon gesehen. In Berlin, in der Komischen Oper, da drehte sich alles um den genialischen Trunkenbold  und seine phantastisch-groteske Welt. Im Alkoholdelirium eines fast vergreisten Hoffmann werden dessen jugendliche Doppelgänger und deren Geschichten wieder lebendig, und vergeblich sucht der alte Hoffmann, seine Wiedergänger, sein Alter Ego, vor der Katastrophe zu bewahren. In Bregenz waren Hoffmanns Erzählungen zum Revuetheater, in dem sich  alle Identitäten und alle Gattungsformen auflösen, geworden. In München macht man es sich ganz einfach. Da engagiert man zwei Stars der internationalen Opernszene für die Hauptrollen und macht von der Inszenierung nicht viel Aufhebens – das gängige Rezept, mit den sich ein großes Haus immer füllen lässt.

Eigentlich kann ich diese spätromantische Gefühlsduselei, den süßen Kitsch, die so zahlreichen Ohrwürmer nicht mehr ertragen – und gehe trotzdem immer wieder hin. Die Offenbach Musik ist halt so schön und so eingängig. Ein glücklicher Zufall wollte es, dass wir im Abstand von nur wenigen Tagen gleich zwei Werke von Offenbach sehen durften – in Inszenierungen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können: in der Oper Stuttgart einen musikalisch und szenisch drögen und langweiligen Orpheus und in der Semper Oper Les Contes d’Hoffmann als Fest der Stimmen, der überbordenden Phantasie und des Theaters auf dem Theater.… → weiterlesen

Dadaisten Happening im Círculo de Bellas Artes. Christoph Marthaler inszeniert Les Contes d’Hoffmann an der Oper Stuttgart

Intelligent, beziehungsreich, witzig, von edler Langeweile angekränkelt – eben ein typischer Marthaler. So die gängigen Erwartungen.

Ganz so langweilig wie befürchtet wird es nun nicht. Es zieht sich allenfalls ein bisschen, und die Gags wiederholen sich. Ansonsten: großes Theater. Die Regie gibt sich intermedial und hat für Madrid-Freunde und für Anhänger der Surrealismus- und Dadaismus-Szene ein Rate- und Wiedererkennungsspiel ersonnen. Ein Who is Who, das ist der schwierige Teil, und ein Wo-sind- wir-denn, das ist der einfache Teil. Wer in Madrid über die Gran Via oder die Calle de Alcalá in Richtung des Museumsviertels spaziert, der findet gleich neben der spanischen Zentralbank einen Palacio, der sich kaum von den anderen Palacios der Umgebung abhebt und der doch eine Institution in Madrid ist: der Círculo de Bellas Artes. Ein Restaurant mit Terrasse zur Straße hin und im Inneren ein Museum, eine Kunstakademie, ein  Theater, Vortragssäle, Zeichensäle, Salons, ein Treffpunkt für Literaten und Künstler und solche, die sich dafür halten.

Anna Viebrock, die für Bühnenbild und Kostüme verantwortlich zeichnet, greift  all diese Teilbereiche auf, vermengt sie miteinander und schafft ein Einheitsbühnenbild, einen idealisierten und konzentrierten Círculo de Bellas Artes. Hier wird getanzt und gefeiert, hier setzen sich die Künstler selber in Szene, hier posieren die Modelle für die Aktzeichner, hier wird geplaudert und getrunken, posiert und integriert, hier erzählt Hoffmann seine Geschichten.… → weiterlesen

Der genialische Trunkenbold und seine phantastisch-groteske Welt. Les Contes d’Hoffmann an der Komischen Oper

La Bohème in Zürich. Hoffmanns Erzählungen in Berlin. Ohrwurm auf Ohrwurm. Hält man das denn aus? So unendliche Sentimentalität, so viel Herz und Schmerz. Ja, das hält man nicht nur aus. Das genießt man. Das macht süchtig. Da lässt man sich von all der Süße treiben, einlullen. Ertrinken, Versinken – wenn so stupend gesungen, musiziert und gespielt, so grandios inszeniert wird wie jetzt in den beiden Häusern. Mag es in Zürich mit der etwas abgegriffenen Konzeption vom Theater auf dem Theater noch relativ konventionell zugehen, so zieht in Berlin Barrie Kosky alle Register des ‚Regietheaters‘, eines Regietheaters im besten Sinne des Wortes. Ein Theater, das mit seiner überbordenden Phantasie und der Fülle seiner Einfälle  und Verweise verblüfft und fasziniert.… → weiterlesen

Hoffmann im Revue-Theater. Stefan Herheim inszeniert Les Contes d‘Hoffmann bei den Bregenzer Festspielen

Nein, nicht auf der Seebühne (dort gibt’s Turandot), sondern auf der Bühne im Festspielhaus gibt es das große Spektakel, die große Show. Dort wird alles, was man von den so populären Hoffmanns Erzählungen zu kennen glaubt, durcheinander gewirbelt und neu gedeutet.

Wer ist denn noch  mal dieser Transvestit, der gleich zu Beginn die große Treppe herunter stürzt und vom Männerballett flankiert wird? Die Muse oder Hoffmanns alter Ego? Oder ist er/sie vielleicht die Sängerin Stella, die ihren Auftritt vermasselt hat? Aber die singt doch die Donna Anna in der Oper und ist keine Nightclub Sängerin? Und wer ist der selbstbewusste Herr aus dem Publikum, der schimpfend („Scheißschwulentheater“) auf die Bühne klettert?… → weiterlesen

Und wieder im Pariser Opernmuseum: Le Nozze di Figaro in der Inszenierung von Giorgio Strehler. Capriccio und Les Contes d’Hoffmann inszeniert von Robert Carsen

Es mag ja sein, dass es Inszenierungen gibt, die so herausragend und so spektakulär sind, dass sie auch noch nach Jahrzehnten nichts von ihrer Faszination eingebüßt haben: Inszenierungen wie Wernickes Rosenkavalier, La Clemenza di Tito in der Version der Hermanns oder Bob Wilsons Pelléas et Mélisande. Ob das auch für die angeblich legendären Le Nozze di Figaro des einst so gefeierten Theatermachers Strehler gilt, da habe ich – mit Verlaub gesagt – doch meine Zweifel. Wir sahen jetzt im großen Haus der Bastille Oper die 183. (sic) Aufführung der Inszenierung vom Jahre 1973.… → weiterlesen

Une réputation s’envole….Ein spießig seichter Hoffmann am Opernhaus Zürich

Das Zürcher Musiktheater ist eigentlich ein Garant für Aufführungen auf höchstem Niveau und dies auch wenn die eine oder andere Inszenierung schon ein wenig in die Jahre gekommen ist. In Zürich sind eine Le Nozze di Figaro, eine Ariadne, ein Tristan und kürzlich eine Frau ohne Schatten und ein Idomeneo zu sehen: allesamt Aufführungen, wie man sie sich besser kaum vorstellen kann. Doch jetzt mit Les Contes d’Hoffmann da sind wir wieder wie vor ein paar Jahren mit Tiefland und Fidelio im Stadttheater gelandet. Und da hilft auch der musikwissenschaftliche Ehrgeiz nicht weiter, mit dem man alles Konventionelle verschmäht und sich an der neuesten Edition der Oper orientiert, der Ausgabe von Kaye und Keck vom Jahre 2005. Das Konventionelle, das die Musiker verschmähten, tobte sich auf der Szene umso mehr aus. Natürlich kann auch ein so renommiertes Haus wie das Zürcher nicht immer nur Exquisites und Elitäres bieten. Es muss auch dem Unterhaltungsbedürfnis eines breiten Publikums entgegen kommen. Und Hoffmanns Erzählungen, die landläufige Mär vom versoffenen und frustrierten Lover und Literaten, ist da gerade richtig. Doch, so fragt sich enttäuscht und ärgerlich die Opernbesucherin, warum macht man in Zürich aus der so populären Vorlage nicht großes Theater. In Köln hat vor Jahren schon Krämer aus dem Hoffmann ein grandioses Fest des Märchen- und Metatheaters gemacht. Und im braven Genf hat man sich sogar getraut, Les Contes d’Hoffmann zu einer Melange aus Sex Revue und Totentanz anzurichten. Und jetzt in Zürich? Da präsentiert man biederes Stadttheater zum Einschlafen. Zum Prolog eine alemannische Weinstube, wohl mit Zugang zum Opernhaus, in der noch nicht das Rauchverbot gilt (steht wohl alles so im Libretto), in der Herren im Abendanzug, die aus einer langweiligen Opernaufführung geflüchtet sind, ein bisschen saufen, rauchen und streiten wollen und vor allem lüsterne Geschichten von den Liebschaften eines Literaten namens Hoffmann hören wollen. Und der erzählt ihnen dann auch bereitwillig Grotesken, Nachtstücke und Phantasiestücke, und die Regie macht daraus Realitätsstücke mit phantastischen Einsprengseln. Das ist immerhin etwas: meist anspruchslos unterhaltsam, manchmal langatmig zäh. Wer Erzählungen von E. T. A. Hoffmann und wenn sie auch nur in einer verdünnten Librettoversion erscheinen, in Szene setzen will, der braucht viel Sinn für das Phantastische, für das Groteske, für das Sublime, und nicht zuletzt braucht er viel Sinn für Ironie. Von all dem zeigt sich in Zürich wenig, zu wenig, als dass daraus ein großer Opernabend würde. Hier setzt man, ohne es zu karikieren, auf das Spießige – so in den Szenen in der Weinstube. Hier setzt man auf das anrührend Kitschige, auf das, was einstens die morbide Zärtlichkeit und Lebensgier schwindsüchtiger junger Damen hieß – so im Antonia Akt. Hier setzt man auf das langweilig Seichte, auf die Kleinbürger Phantasien vom verruchten Leben der Demi Monde  – so im  Giulietta Akt. Wie immer oder wie fast immer stehen in Zürich Sänger der ersten Garnitur auf der Bühne. Doch ob unbedingt ein Latinlover wie aus dem Bilderbuch die Idealbesetzung für den zwischen Schreiblust und Sexlust changierenden Hoffmann ist? Ich weiß es nicht.

Les Contes d’Hoffmann in Zürich. Da hat der Arme nicht nur Schatten und Spiegelbild verloren. Da ist er verloren. Und ich als Publikum verlier mich nicht noch einmal zu den Zürcher Hoffmanns Erzählungen. Ein Vorschlag an die Intendanz: schenken Sie Ihrem Produktionsteam doch als Bonus eine Kopie von Krämers Regiebuch zum Hoffmann. Auch aus Populärem lässt sich Hochkultur machen: schlagt nach bei Krämer. Wir sahen die Vorstellung am 16. März, die zweite Aufführung nach der Premiere am 13. März 2010.