Hoffmann im Revue-Theater. Stefan Herheim inszeniert Les Contes d‘Hoffmann bei den Bregenzer Festspielen

Nein, nicht auf der Seebühne (dort gibt’s Turandot), sondern auf der Bühne im Festspielhaus gibt es das große Spektakel, die große Show. Dort wird alles, was man von den so populären Hoffmanns Erzählungen zu kennen glaubt, durcheinander gewirbelt und neu gedeutet.

Wer ist denn noch  mal dieser Transvestit, der gleich zu Beginn die große Treppe herunter stürzt und vom Männerballett flankiert wird? Die Muse oder Hoffmanns alter Ego? Oder ist er/sie vielleicht die Sängerin Stella, die ihren Auftritt vermasselt hat? Aber die singt doch die Donna Anna in der Oper und ist keine Nightclub Sängerin? Und wer ist der selbstbewusste Herr aus dem Publikum, der schimpfend („Scheißschwulentheater“) auf die Bühne klettert? Den können wir schnell identifizieren. Der Herr ist natürlich kein verärgerter Opernbesucher, sondern der Opernbösewicht Lindorf, der gleich den Diener Andrès bestechen wird. Nein, der Diener, der ist ja von Kostüm und Maske her der Komponist Offenbach, der gleich von der Bühne herab dirigieren und in der Olympia Szene auch schon mal die Harfe spielen wird. Und wer ist in Luthers Bar und im Venedig Akt eigentlich Hoffmann?  Die Herren vom Männerballett/Männerchor sehen ja alle gleich aus, tragen die gleichen Masken und Kostüme. Hier macht es uns die Regie einfach. Der, der am besten und am meisten singt, der ist eben der Hoffmann.

Und wer ist Stella, Olympia, Antonia? Da hilft nur die Musik, und die kennen wir ja zu genüge.  Von Maske und Kostüm sind ja alle gleich: Korsage, schwarze Strümpfe, Straps, hochhackige Schuhe, gelblich-bleiche Schminke, Haarnetz.  Ein Outfit, in dem in manchen Szenen auch Hoffmann  und einmal sogar der Bösewicht auftreten. Sind die beiden vielleicht heimliche Transvestiten?

Auflösung aller Identitäten in Hoffmanns imaginierter Welt. Und nicht minder Auflösung aller Gattungsformen. Dies mag wohl die Grundkonzeption der Inszenierung sein. Spielen wir nun Revuetheater und Operette wie in den ersten Szenen? Spielen wir Grand-Opéra und Travestie der Grand-Opéra wie in den Olympia-Szenen? Parodieren wir die obsoleten Operngesten wie in den Hoffmann/Antonia Szenen? Spielen wir groteskes Traumtheater wie in dem berühmten Terzett  Crespel, Hoffmann, Miracle? Spielen wir Tod in Venedig mit Gondeln, die sich im Theaternebel in schwarze Särge verwandeln, denen gleich eine ganze Kohorte von Hoffmann Doppelgängern entsteigt und gleich noch dazu eine ganze Schar von Antonia und Olympia Wiedergängern? Spielen wir Metatheater, wenn wir im Finale alle Personen aus ihren Rollen heraustreten lassen und zum Schlussgesang an der Rampe versammeln?

Ganz einfach. Wir spielen alles, verbinden alles mit allem und verwirren und verblüffen die Zuschauer, zerstören deren gängige Erwartungen. Sie sollen ihre scheinbar so sentimentale Lieblingsoper nicht wieder erkennen, sollen erkennen, dass eigentlich alles ganz anders ist, dass der arme Hoffmann kein gescheiterter Liebhaber ist, der im Finale  notgedrungen für die Literatur statt für die Liebe optiert, sondern dass er…? Ja, was eigentlich ist? Eine Projektion unserer Wünsche und Träume und Alpträume? Vielleicht?

Und die Musik? Wunderschöne Ohrwürmer? Nein, nicht nur. Böse Parodien auf den Belcanto und die Operettenseligkeit im Olympia Akt. Böse Parodien auf den Herz- Schmerz Opernkitsch im Antonia Akt. Und die berühmte Barcarole? Sirenengesang, der zur Überfahrt über den Acheron einlädt.

Hoffmanns Erzählungen muss man nicht unbedingt mögen. Aber wenn Offenbach so grandios wie jetzt in Bregenz von Stefan Herheim inszeniert wird  und wenn die Rollen des Hoffmann (Daniel Johansson) und des Bösewichts  (Michael Volle)  und die der Damen mit Kerstin Avemo und Mandy Fredrich so brillant besetzt sind wie jetzt in Bregenz, dann faszinieren Les Contes d’Hoffmann.

Wir sahen die Vorstellung am 6. August 2015. Die Premiere war an 23. Juli 2015.