Der Karneval der Banker nebst der Mär von der karrierebewussten Gutmenschin. La Cenerentola an der Oper Stuttgart

Da hat doch der jüngst verstorbene Großaktionär den Aufsichtsrat unserer Privatbank in eine schwierige Lage gebracht. Nur wenn sein Sohn und Erbe, der bisher dem anderen Geschlecht nicht sonderlich zugetan war, auf die Schnelle heirate, bliebe das Kapital in der Bank. Eine heikle Situation. Doch der Spinndoktor und der Sekretär (im Libretto  ein Philosoph und ein Kammerdiener) werden das Problem schon lösen. Und der Rest geht (beinahe) so, wie wir das vom Aschenbrödel Märchen  und den heutigen Erzählungen von den verkommenen Bankern kennen. Letztere sind in Kostüm und Maske und Verhaltensweise auch genauso, wie wir das erwarten: primitiv, geldgierig, hemmungslos. Und der Erbe, ein naiver junger Mann auf der Suche nach der großen Liebe, Wachs in der Hand seines Spinndoktors – ganz wie es halt im Märchen zugeht. Nur ist – anders als im Märchen – das brave Mägdelein, das der Prinz sich ausgesucht hat, mag es auch noch so wunderschön seine Koloraturen zwitschern, auf dem besten Weg, sich vom ach so bescheidenen Mädchen in eine tyrannische Gutmenschin zu verwandeln, die den Prinzen, mag er auch noch so ein brillanter Belcanto Tenor sein,  an die Wand drücken wird.

So kriegt das Aschenbrödel Märchen in der Regie von Andrea Moses in Stuttgart gleich zwei böse Spitzen verpasst: zur Satire auf die Banker, die geradezu bis zum Exzess ausgespielt  wird, kommt im Finale  die allerdings nur angedeutete Satire auf die Gutmenschen. All dies wird mit leichter Hand, durchweg mit dem Tempo, das die Komödien verlangen, mit Witz und Ironie in Szene gesetzt. Mag die eine oder andere Szene  vielleicht auch schon der Klamotte gefährlich nahe kommen wie z.B. die Auftritte der weinseligen Banker  oder die Parodie auf den italienischen Papa und seine  beiden Zicken. Aber vielleicht sind die Auftritte des bankrotten  Papa auch nur eine ferne Referenz an die neapolitanische Komödie eines Eduardo De Filippo und die Auftritte der Banker, zumal die Quotenfrauen auch von Männern gespielt werden, ein Verweis auf Cäcilia Wolkenburg. Wer will das schon so genau wissen.

Die Oper Stuttgart bietet mit ihrer Cenerentola einen höchst amüsanten Rossini Abend, bei dem überdies ein neuer junger Star zu bewundern ist: Diana Haller in der Titelrolle. Zu Recht feierte ein aufgekratztes Publikum  alle Mitwirkenden. Eine Rossini Buffa, die mögen halt alle.

Wir sahen die Premiere am 30. Juni 2013.

 

 

Das Nachspiel wird Vorspiel. „Will man sich über uns lustig machen? Sind die Leute wahnsinnig? Ich muss augenblicklich den Grafen sprechen!“ Jossi Wieler inszeniert Ariadne auf Naxos in Stuttgart

Nein, ich muss nicht augenblicklich den Intendanten sprechen – dieser skurrile, doch letztlich belanglose Einfall,  das Stück in umgekehrter Reihenfolge zu spielen, lohnt nicht der Diskussion – trotz all der gelehrten Verrenkungen, mit denen die Dramaturgie werkgeschichtliche, literatur- und gesellschaftsgeschichtliche und nicht zuletzt psychopathologische Gründe anführt, um diese Umstellung zu rechtfertigen. Ein Gag, und noch nicht einmal ein besonders origineller.

 Viel effektiver, weit theaterwirksamer ist die Konzeption,  den opera seria Teil als „Traumtheater“  zu spielen, als Visionen einer trauernden Verstörten, einer am Lektüreschaden leidenden und vom Aquavit benommenen Dame mittleren Alters, die im Foyer des Opernhauses eingenickt ist und sich  in die Rolle der Protagonistin des Hofmannsthal Libretto, das  sie wohl gerade gelesen hat, hineinsteigert. Da erscheinen ihr nun Kolumbine-Zerbinetta und ihre Partner – letztere nutzen wohl die Pause zwischen zwei  Auftritten, um aus ihren Rollen zu fallen und ihre privaten Scharmützel mit ihrer Partnerin auszutragen. Über die schwarz gekleidete Dame, die im  Sessel hockt, können sie sich nur wundern. Immerhin lässt sich diese von Zerbinetta aufheitern, so sehr, dass die beiden ein paar Gläser Aquavit zusammen trinken. In diesem Kontext überrascht es nicht, dass die drei Nymphen alte Jungfern sind, die  wohl schon seit Jahrzehnten ein Opernabo haben und sich zum Stricken und Häkeln im Theater treffen, dass Bacchus in Unterwäsche und mit einem Saunatuch über der Schulter hereinstürzt. Er hat wohl die Tür zur Künstlergarderobe mit dem Eingang zum Foyer verwechselt und  begreift überhaupt nicht,  was diese aufgekratzte Dame von ihm will. Erst als sie ihm das Libretto vor die Nase hält, tut er, was die Dame von ihm verlangt. Und singt und spielt  mit gezielt falschem und hohlem Pathos die Rolle, die die Dame ihm zugedacht und versucht sich so schnell wie möglich davon zu machen. Die  Dame, die inzwischen die Rolle der Ariadne und deren Todessehnsucht gänzlich interiorisiert hat, macht sich auch davon. Ob sie sich in selbstmörderischer Absicht aus dem Fenster stürzt oder den Weg durchs Fenster nimmt, weil sie ihre Eintrittskarte für die Oper  nicht bezahlt hat, das bleibt der Imagination der Zuschauer überlassen.

Theater auf dem Theater. Nein, Theater im Theaterfoyer. Eine ironisch und komödiantisch gebrochene Ariadne auf Naxos. Degradierung der opera seria und Banalisierung des Mythos. Das ist als Grundkonzeption nicht sonderlich originell. Aber unterhaltsam  ist es alle Male. Keine Frage, dass ein Theatermacher wie Jossi Wieler eine solche  Konzeption routiniert und gekonnt, phantasievoll und voller Witz in Szene zu setzen weiß, dass  erstklassige Sänger, allen voran  Christiane Iven in der Titelrolle, in Stuttgart auf der Bühne stehen, dass  brillant musiziert wird.

 Schade nur, dass alle Ironie, aller Esprit, die das „Nachspiel“ so sehr auszeichnen,  im nachgereichten „Vorspiel“  in langweilig obsoleter ‚Gesellschaftskritik‘ versanden. Ja, wir wissen schon,  die armen Künstler haben es zu allen Zeiten schwer, „die Kunst geht nach Brot“. Sie spielen in ausgeräumten Fabrikhallen, schleppen die Stühle für die Zuschauer selber herbei, selbst die Rentner aus dem Sängeraltenheim müssen sie aktivieren, und die arme Zerbinetta wird darüber so  depressiv und apathisch, dass sie nur noch in der Ecke hocken kann … Tristezza allerorten.

So gelungen der erste Teil, so misslungen  der zweite.  Überdetermination der Message (vulgo: Holzhammermethode), das mögen wir nicht. Und das ist eigentlich auch unter dem Niveau eines Jossi Wieler.

Wir sahen die Aufführung am 29. Juni 2013, die  8. Vorstellung. Die Premiere war am 20. Mai 2013.

Iphigenie im Pferdestall und unter der Guillotine. Eine szenisch misslungene Iphigénie en Aulide an der Oper Stuttgart

Glucks Iphigenie in Aulis hatten wir kürzlich im Theater an der Wien gesehen und einen enttäuschenden Abend erlebt. Und kaum anders erging es uns jetzt in Stuttgart. Zwar ist hier wenigstens der musikalische Part gelungen: alle tragenden Rollen sind glänzend  besetzt, und aus dem Graben tönt es  feierlich und erhaben – manchmal ein bisschen langweilend und einschläfernd, eben Musik vom Ritter Gluck. Aber dafür ist dann auch die szenische Umsetzung  gänzlich misslungen, und die Regiekonzeption ist – freundlich gesagt – abwegig.

Der Mythos lebt nur in seinen Varianten. Man kann ihn aktualisieren, parodieren, verzerren, nach Belieben transformieren, so lange nur sein Kern nicht zerstört oder zum Nebenmotiv reduziert wird. Doch jegliche Transformation sollte mit Sinn und Verstand geschehen und dazu ein Minimum an Plausibilität und Stringenz aufweisen. Eine Binsenwahrheit, die die viel beschäftigte Stuttgarter Hausregisseurin anders als bei ihrem Don Giovanni bei ihrer Iphigenie kaum beachtet hat. Der Konflikt zwischen tyrannischer Willkür und menschlicher Ohnmacht oder einfacher gesagt: der Konflikt zwischen klerikalem Machtanspruch und Menschlichkeit versandet in Stuttgart in den ersten beiden Akten in einer platten Komödie, um nicht zu sagen im Komödienstadel, und im dritten Akt im kruden Realismus. Der Kern des Mythos wird  dabei zum Nebenmotiv, zur quantité négligeable.

So präsentiert uns denn die Regie einen Agamemnon  als Jammerlappen, der sich unter der Knute seines Imam windet, eine Iphigenie als Modepüppchen und dümmliches Blondchen, einen Achill als schwules Großmaul, der eigentlich lieber mit seinem Herzensbruder Patroklos als mit der ihm zugedachten Braut schäkert, eine  Klytämnestra als Schwiegermutter Zicke und das „Volk“ als eine Art Anstreicher-Kolonne auf Betriebsausflug. Sie alle feiern (mit Ausnahme von Papa Agamemnon und des finsteren Klerikers Kalchas) in einer Art ausgeräumten Pferdestall die Hochzeit von Achill und Iphigenie, zu der sich, o Wunder der Bühnentechnik, aus dem Sand des Pferdestalls  die Andeutung eines Schiffsdecks erhebt – zum munteren Treiben der Hochzeitsgesellschaft. Komödienstadel mit erhabenem Gluck Sound – und das sogar noch im Finale des zweiten Akts, beim Streit zwischen Achill und  Agamemnon, als Schwiegersohn und Schwiegervater aufeinander losgehen und handgreiflich werden.

Ja, und im dritten Akt, da sind wir so richtig in der Tragödie. Da wird der Pferdestall zum Tribunal, da fordert das Volk den Kopf der Iphigenie. Diese legt auch schon mal, ganz braves Töchterchen, das Papas Konflikt versteht, ihr Engelsköpfchen unter die Guillotine. Mama Klytämnestra wandelt sich  ob dieser fatalen Situation von der Zicke zur großen Tragödin, Achill vom Großmaul zum Cowboy, der gleich mit zwei Colts herumballert, und der  machtlüsterne Kleriker  wird  angesichts des  wütenden Achill zum um sein Leben fürchtenden Angsthasen – und schon sind wir beim lieto fine. Nur nicht so ganz. Die kleine Iphigenie behält zwar ihren Kopf. Doch viele andere werden ihre Köpfe verlieren:  zum Militärmarsch ruft der Imam zum Krieg auf. Und das Volk marschiert.

In Stuttgart – man spielt dort die erste Fassung  vom Jahre 1774 – hat man dem Mythos seine metaphysische Referenz gänzlich ausgetrieben und dies zu Recht. Allein etwas Aufklärerisches oder Rationales ist dabei nicht herausgekommen. Eher ein Stück, das im dritten Akt  mit seinem kruden Realismus und seiner Karikierung der Personen der Tragödienklamotte gefährlich nahe kommt und  das in den ersten beiden Akten  aus der Komödienklamotte erst gar nicht mehr herausfindet.

Gluck zu inszenieren, wenn man ihn noch dazu aktualisieren möchte, das ist wohl eine Crux für unsere Theatermacher. Wenn selbst ein Großmeister des Regietheaters  wie Konwitschny  mit einer Gluck Oper  seine Mühe hat – wie vor einigen Jahren an seiner Alceste Version in Leipzig zu sehen war, dann darf auch Andrea Moses in Stuttgart an einer Gluck Oper scheitern. Dass ein Scheitern an einer Gluck Oper indes nicht unbedingt vorprogrammiert ist, das hat vor Jahren schon Jossi Wieler in Stuttgart gezeigt, als er dort Alceste inszenierte und  diese stringent und überzeugend als Zoff im protestantischen Pfarrhaus deutete.

Wir sahen die Aufführung am 19. Januar 2013, die elfte Vorstellung dieser Inszenierung. Die Premiere war am 1. November 2012.

 

 

 

 

 

 

 

Don Giovanni. Dramma giocoso oder die Don Giovanni Operette an der Oper Stuttgart

„Dramma giocoso“ – ein heiteres Stück, eine Komödie, eine Buffa,  so lautet der (selten beachtete) Untertitel  von Da Pontes Libretto. In Stuttgart hat Andrea Moser, die in Personalunion für Regie, Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnet, das Attribut ‚giocoso‘ im Wortverstande  genommen und aus der angeblichen „Oper aller Opern“ eine  Buffa, eine amerikanische Operette gemacht, die in einem Motel spielt, ein Stück, in dem alle Figuren ‚lustige Personen‘ sind, in dem zum Gaudi des Publikums immer wieder die konventionellen Theaterillusionen zerstört werden, (der Sänger des Don Giovanni tritt aus seiner Bühnenrolle heraus und küsst den Damen in der ersten Parkettreihe die Hand („Non si picca se sia rica, se sia brutta, se sia bella“), ein Stück, in dem alle Personen ‚dekonstruiert‘ werden, d.h. (in diesem konkreten Falle),  dass alle ‚ komischen‘ Anlagen, über die diese gemäß dem Libretto verfügen, auf die Spitze getrieben werden, noch stärker parodiert und ins Komische verzerrt werden. Aus dem angeblichen Rebellen und Verführer Don Giovanni   ist ein reicher Geschäftsmann geworden, der mit Dollarscheinen nur so um sich wirft und der sich mit den Damen, die er im Motel trifft, amüsieren will. Donna Anna ist eine unbefriedigte  reife Dame, die von ihrem Methodistenprediger  nie das bekommt, was sie sich erhofft, die dem Signor Giovanni in der Bar hinter dem Rücken des Predigers ein Zeichen gibt, auf dass er sie im Hotelzimmer besuche und  die diesem wohl nur deswegen eine Szene macht, weil er sich zu früh aus ihrem Bett davon gemacht hat. Donna Elvira ist eine hysterische, magersüchtige Alkoholikerin, die nach Sex giert, und Zerlina ist ein Flittchen aus der Unterschicht, die in der Garage und auf dem Vorplatz des Motels eine Grillparty  organisiert. Leporello ist ein mediterraner Prolet, der Komtur ist ein älterer Hotelgast, der mitnichten zu Beginn verscheidet, sondern im Streit mit Giovanni nur einen Stich abkriegt.  Die Friedhofsszene hat er wohl mit Leporello ausgeheckt , und im Finale droht er –  wegen seiner Verletzung noch ein bisschen wackelig auf den Beinen –  diesem ein wenig mit der Pistole (Schusswaffen, das wissen wir inzwischen alle aus den Zeitungen, tragen die Amerikaner ja ständig mit sich herum). Ins Jenseits befördert sich Giovanni ganz alleine. Statt sich von den Freunden Masettos, die im Finale mit Knüppeln auf ihn eindringen,  erschlagen zu lassen, erschießt er sich mit theatralischer Geste gleich  selber. Und damit wir im Publikum trotz der Leiche auf der Bühne nicht vergessen, dass wir in der Operette sind, dürfen  zu Don Ottavios Gejammer, (der sich beim Rondo der Donna Anna auch schon mal mit zittriger Hand aus lauter Frust erschießen wollte) und zur verlogenen Schlusskanzone die Damen sich um den Sommerhut Giovannis als Souvenir balgen.… → weiterlesen

Eine Bühne voller Narren. Calixto Bieito inszeniert Rameau: Platée, Ballet Bouffon, als Transvestiten Show an der Oper Stuttgart, und Thomas Walker triumphiert als in Jupiter verliebte „Sumpfnymphe“ Platée und mit ihm Chor und Ensemble

Rameau weiß nicht nur mit Pomp und Prunk zu beeindrucken. Rameau weiß auch zu  unterhalten und zu amüsieren – und beides auf höchstem Niveau. Und beides erlebten wir im Abstand  von wenigen Wochen. Das eine in Paris, das andere in Stuttgart.
In Paris, im Palais Garnier, beeindruckte eine höchst artifizielle, eine manierierte  Inszenierung von Hippolyte et Aricie, die Rekonstruktion einer Aufführung im 18.Jahrhundert, eine Inszenierung, die ganz im Sinne der barocken Ästhetik mit aufwendigem  Dekor, kostbaren Kostümen und  raffinierter Bühnenmaschinerie Erstaunen und Bewunderung beim Publikum erregen will. Eine historisierend Aufführung, der alle Ironie und alle Parodie fern liegt.
Ganz anders geht es in der Oper Stuttgart zu. Hier nimmt man den Untertitel des Stücks: “ Ballet bouffon“ im Wortverstande als „närrisches Ballett“,… → weiterlesen

Belcanto in Vollendung. Catherine Naglestad triumphiert als Norma an der Oper Stuttgart

Eigentlich bin ich nur nach Stuttgart gefahren, weil ich Jossi Wielers Norma Inszenierung, die  ich zuletzt vor sechs Jahren gesehen hatte und die mir damals mit ihrer Transponierung der Handlung in den italienischen Neorealismo so gut gefallen hatte, noch einmal sehen wollte. Und auch dieses Mal, mag sie inzwischen auch bald zehn Jahre alt sein und auch ein bisschen Patina angesetzt  haben, hat mich Wielers Interpretation der Norma  beeindruckt  – und amüsiert. Allein in der Aufführung, die wir am Ostermontag sahen, hatte sie einen schweren Stand. In Belcanto Opern – eine Erfahrung, die wir schon mehrfach machen konnten – braucht man eigentlich nur zwei oder drei herausragende Sänger, und alles andere ist Nebensache, reduziert sich  zu Contorni. So wurde  auch in Stuttgart angesichts einer alle und alles überragenden Catherine Naglestad  in der Titelrolle die Inszenierung, so anspruchsvoll sie auch ist, letztlich zur quantité négligeable… → weiterlesen