Nachtmützen-Traum eines Spitzweg Poeten alias Hans Sachs. Die Meistersinger von Nürnberg an der Bastille Oper

In Paris ist eine Übernahme und Neueinstudierung der traumhaft schönen Stefan Herheim Inszenierung der Meistersinger von den Salzburger Festspielen 2013 zu sehen. Wer sich für die Inszenierung interessiert, möge unsere Glosse über die Salzburger Aufführung nachlesen.

Wir sahen die Pariser Aufführung am 5. März 2016, die zweite Vorstellung in dieser Inszenierung

 

 

Stephen Hawking der Doktor Faust des 21. Jahrhundert. La Damnation de Faust an der Opéra Bastille

Fast fünfhundert Inszenierungen habe ich in den letzten Jahren gesehen und   mir meine Impressionen  von der internationalen Opernszene notiert. Kritiken in den Feuilletons der großen Zeitungen und in den Magazinen habe ich, mal erstaunt, mal verärgert, mal zustimmend, zur Kenntnis genommen.  Eine Inszenierung, wenn sie gut gemacht ist, ist  eben  ein ‚offenes Kunstwerk‘, das zu unterschiedlichen Interpretationen einlädt.

Heute notiere ich zum ersten Mal nicht meine Impressionen, sondern wende mich  in Form eines fiktiven offenen Briefes an die Musikredaktion einer großen Tageszeitung gegen die dort erschienene Besprechung der Pariser Inszenierung von La Damnation de Faust. Diese Besprechung war nicht die Kritik einer Aufführung, sondern … Der Leser mag selber urteilen.… → weiterlesen

Das goldene Kalb ist ein müder Ochse. Romeo Castellucci inszeniert Moses und Aron an der Opéra National de Paris. Bastille

Arnold Schönberg macht heute niemandem mehr Angst. Ganz im Gegenteil. Seine Zwölftonmusik begeistert das Publikum, sorgt für ein volles Haus. Zumindest in Paris, wo der riesige Saal der Opéra Bastille bis zum letzten Platz ausverkauft war. Oder ist es vielleicht das biblische Thema, das  Schönbergs Oper so erfolgreich macht? Das ist ganz unwahrscheinlich, und  Romeo Castellucci, der in Personalunion für Regie, Ausstattung, Kostüme und Lichtdesign verantwortlich zeichnet, weist in seinen Vorbemerkungen zur Inszenierung ein mögliches Missverständnis auch gleich zurück: „ Der Moses, wie wir ihn hier zeigen, ist nicht der Moses der Bibel, sondern der Schönbergs, der Mensch Moses“.

In der Tat ist der Schönberg Moses kein Prophet, kein Heerführer, kein Handelnder, sondern ein Kontemplativer, ein introvertierter Logozentriker, der verzweifelt nach dem Wort, dem Logos sucht und dem sein Bruder und Gegenspieler Aron die Macht der Bilder entgegensetzt. In diesem Sinne ist die Regie nur konsequent, … → weiterlesen

La Musique, La Folie – und Märchenstunde für unsere Kleinen. Eine Wiederaufnahme von Rameaus Platée (Comédie lyrique, Ballet bouffon) im Palais Garnier.

Mit welcher Hingabe, welcher Passion und welchem Rhythmus Maestro Minkowski und seine Musiciens du Louvre Grenoble Rameau zelebrieren, wie sie all die raffinierten Feinheiten der Musik herausarbeiten und eine scheinbar so alte Musik zu einem modernen Musical machen, das ist schon ein Ereignis. Und wie aus der Figur der Folie die Allegorie der Musik wird (ihr Kostüm sind lauter Notenblätter) und wie damit die Musik und eben nicht Libretto oder Inszenierung in den Mittelpunkt der Aufführung gestellt wird, auch dies ist ein Ereignis.

Alles Übrige ist eher konventionell und kaum der Rede wert. Natürlich sind die Tanzeinlagen („das närrische Ballett“) hübsch anzusehen und bravourös angelegt. Natürlich gibt es gleich zu Anfang einen Metatheater-Gag. Die Szene ist der Zuschauerraum des Theaters, die Chorsänger mimen die Zuschauer und Thepsis ‚erfindet’ mit den Zuschauern das gleich zu spielende Stück. Die Verspottung der Menschen und der Götter. Doch was da als Satire angekündigt wird, das ist doch nur ein kreuzbraves Märchenspiel für unsere Kinder. … → weiterlesen

Vom qualvollen Sterben junger Frauen und von tölpelhaften Machos. Adriana Lecouvreur an der Opéra Bastille

Ist sie nun vergiftet worden – von einer eifersüchtigen Nebenbuhlerin – oder starb der französische Bühnenstar des 18. Jahrhunderts, Adrienne Lecouvreur, eines frühen natürlichen Todes? Eine Frage, die Historiker beunruhigt und die sich für einen Literaten wie Eugène Scribe, den unbestrittenen Meister der „pièce bien faite“, erst gar nicht stellt. Natürlich hat die eifersüchtige und rachsüchtige Duchesse de Bouillon Adrienne vergiftet, die Schauspielerin, die ihr den Liebhaber, den hohen Militär Maurice, abspenstig gemacht und sie noch dazu von der Bühne herab implizit als neue Phèdre niedergemacht hat. Zum Mélodrame gehören nun mal Klischees wie Eifersucht, Intrige, Dreiecksgeschichte, Totschlag, ‚Liebe als Passion‘ und, nicht zu vergessen, einfältige Machos, die auf ihren erotischen Vorteil bedacht sind und von Weiberherzen nichts verstehen. All dies findet sich bei Scribe in Fülle und dem entsprechend auch bei den Librettisten, die Scribes Schauspiel für die Oper eingerichtet haben.

In der Bastille Oper weiß eine routinierte Regie dies alles als Dekorations- und Ausstattungstheater gekonnt in Szene zu setzen. Sie schwelgt noch dazu in den Prachtroben des 18. Jahrhunderts – und macht sich ansonsten nicht viel Gedanken. Das braucht sie auch gar nicht. Hat sie doch mit Angela Gheorghiu einen Star zur Verfügung, der von Bühnenerscheinung, Spiel und Gesang die Szene dominiert und alles andere – Solisten wie Regie und Dekor zweitrangig werden lässt. Das soll nicht heißen, dass die übrigen Partien nicht hervorragend besetzt wären – eben ganz wie es dem hohen Niveau des Hauses entspricht – oder dass in Ausstattung, Kostümen und Masken nicht die Welt des 18. Jahrhunderts – eine museale Welt – gekonnt evoziert worden sei. Keine Frage, das ist alles sehr schön anzusehen: die Bühne auf der Bühne, auf der vor unsichtbaren Zuschauern Racine gespielt wird, das Foyer der Comédie Française, der Festsaal im Schloss des Herzogs usw. Doch was in Erinnerung bleibt, das ist primär die Protagonistin: von der Bühnenerscheinung her eine ‚femme fragile‘, von der Stimme, um es jetzt respektlos zu sagen, eine Melange aus Violetta, Manon Lescaut und Mimi.

Und damit sind wir bei der Musik. Ich hatte Ariana Lecouvreur, die einst so berühmte Oper von Francesco Cilèa aus dem Jahre 1902, nie zuvor gehört, und nicht nur mein erster Eindruck war: „Mon Dieu, c’est Puccini, Puccini“. Mögen die Musikhistoriker den Komponisten Cilèa einordnen und vielleicht auch hoch schätzen. Mir ist das alles – mit Verlaub gesagt – zu zuckrig, zu süß, zu schön. Aber warum auch nicht. Manchmal braucht und genießt man auch das Süße, zumal wenn es so hervorragend aufbereitet wird wie jetzt in der Bastille. Allgemeine Begeisterung im Publikum. Sachertorte mögen wir halt alle.

Wir sahen die Aufführung am 26. Juni 2015, die zweite Vorstellung in der Inszenierung von David Mc Vicar.

Bettgeflüster mit Rusalka – ein Traumspiel mit Filmzitaten. Eine Wiederaufnahme der Robert Carsen Inszenierung an der Bastille Oper

Der Undine Mythos – hier im konkreten Fall die Rusalka – ist offensichtlich eine Herausforderung für unsere Theatermacher. In Salzburg hatte vor ein paar Jahren Jossi Wieler eine spät-postmoderne Variante gewählt und damit für jeden im Publikum etwas parat: das Kindermärchen für Erwachsene im ersten Akt, die wohlfeile Gesellschaftskritik  im zweiten, das  Luxusbordell im  dritten Akt und das Zitat aus einem Gangsterfilm im Finale. Stefan Herheim erzählt in Brüssel und Graz den Undine Mythos in einem grandiosen Karnevalsspektakel als Wassermanns Nightmare und macht Rusalka zu einer Art Irma La Douce, zur kleinen Hure, die inmitten einer grotesken Welt von der großen Liebe träumt. Und wo sind wir in Zürich? Da sind wir bei den Reichen und Schönen von der Zürcher Goldküste, die sich in ihre Villa mit Blick auf die Stadt zur Unterhaltung – ein extravaganter Einfall des jungen Hausherrn – ein stummes Blumenmädchen eingeladen haben. Leider erweist sich das kleine Blumenmädchen als eine femme fatale, die den schönen jungen Mann um Verstand und Leben bringt, obwohl sie das doch eigentlich gar nicht so will. Und in München da hat Theatermacher Kusej mit seiner Rusalka sogar einen kleinen Skandal provoziert, als er Rusalka als Kinderschänder- und Spaßgesellschafts-Groteske aus einem verkommenen Österreich inszenierte.… → weiterlesen