Vom qualvollen Sterben junger Frauen und von tölpelhaften Machos. Adriana Lecouvreur an der Opéra Bastille

Ist sie nun vergiftet worden – von einer eifersüchtigen Nebenbuhlerin – oder starb der französische Bühnenstar des 18. Jahrhunderts, Adrienne Lecouvreur, eines frühen natürlichen Todes? Eine Frage, die Historiker beunruhigt und die sich für einen Literaten wie Eugène Scribe, den unbestrittenen Meister der „pièce bien faite“, erst gar nicht stellt. Natürlich hat die eifersüchtige und rachsüchtige Duchesse de Bouillon Adrienne vergiftet, die Schauspielerin, die ihr den Liebhaber, den hohen Militär Maurice, abspenstig gemacht und sie noch dazu von der Bühne herab implizit als neue Phèdre niedergemacht hat. Zum Mélodrame gehören nun mal Klischees wie Eifersucht, Intrige, Dreiecksgeschichte, Totschlag, ‚Liebe als Passion‘ und, nicht zu vergessen, einfältige Machos, die auf ihren erotischen Vorteil bedacht sind und von Weiberherzen nichts verstehen. All dies findet sich bei Scribe in Fülle und dem entsprechend auch bei den Librettisten, die Scribes Schauspiel für die Oper eingerichtet haben.

In der Bastille Oper weiß eine routinierte Regie dies alles als Dekorations- und Ausstattungstheater gekonnt in Szene zu setzen. Sie schwelgt noch dazu in den Prachtroben des 18. Jahrhunderts – und macht sich ansonsten nicht viel Gedanken. Das braucht sie auch gar nicht. Hat sie doch mit Angela Gheorghiu einen Star zur Verfügung, der von Bühnenerscheinung, Spiel und Gesang die Szene dominiert und alles andere – Solisten wie Regie und Dekor zweitrangig werden lässt. Das soll nicht heißen, dass die übrigen Partien nicht hervorragend besetzt wären – eben ganz wie es dem hohen Niveau des Hauses entspricht – oder dass in Ausstattung, Kostümen und Masken nicht die Welt des 18. Jahrhunderts – eine museale Welt – gekonnt evoziert worden sei. Keine Frage, das ist alles sehr schön anzusehen: die Bühne auf der Bühne, auf der vor unsichtbaren Zuschauern Racine gespielt wird, das Foyer der Comédie Française, der Festsaal im Schloss des Herzogs usw. Doch was in Erinnerung bleibt, das ist primär die Protagonistin: von der Bühnenerscheinung her eine ‚femme fragile‘, von der Stimme, um es jetzt respektlos zu sagen, eine Melange aus Violetta, Manon Lescaut und Mimi.

Und damit sind wir bei der Musik. Ich hatte Ariana Lecouvreur, die einst so berühmte Oper von Francesco Cilèa aus dem Jahre 1902, nie zuvor gehört, und nicht nur mein erster Eindruck war: „Mon Dieu, c’est Puccini, Puccini“. Mögen die Musikhistoriker den Komponisten Cilèa einordnen und vielleicht auch hoch schätzen. Mir ist das alles – mit Verlaub gesagt – zu zuckrig, zu süß, zu schön. Aber warum auch nicht. Manchmal braucht und genießt man auch das Süße, zumal wenn es so hervorragend aufbereitet wird wie jetzt in der Bastille. Allgemeine Begeisterung im Publikum. Sachertorte mögen wir halt alle.

Wir sahen die Aufführung am 26. Juni 2015, die zweite Vorstellung in der Inszenierung von David Mc Vicar.