Alle Jahre wieder kommt der Santo Spirito zum Pfingstfest hernieder. Alle Jahre wieder wallfahren viele tausend junge Leute nach Salzburg. Alle Jahre wieder sammeln sich zu Pfingsten die internationalen Kohorten der Luxusrentner und jubeln ihrer Diva, der Sängerin, Komödiantin und Prinzipalin Bartoli zu.
Und dies, obwohl es Cecilia ihren Jüngern nicht leicht macht. Das Programm ist stets ambitiös und fordernd. Für Populäres gibt es wenig Raum. Als Mitwirkende sind nur Musiker, Sänger und Sängerinnen und Theatermacher de Extraklasse eingeladen. Beim diesjährigen Galakonzert waren gleich ein Dutzend Stars der internationalen Opernszene präsent, die Arien von Händel und Hasse, von Porpora und Broschi , von Leo und Rameau vortrugen. Und natürlich ist die Prinzipalin in ihrer Rolle als Opernstar mit dabei.
Die Bartoli – auch dies ist an ihr zu bewundern – schont sich nicht. Nicht nur beim Galakonzert und bei Pergolesis Stabat Mater tritt sie als Solistin auf. Die große Rolle der Alcina übernimmt sie gleich in beiden Aufführungen. Dass sie in dieser Rolle brilliert, erstaunt ihre Fans nicht. Sie erwarten gar nichts anderes. Und in der Tat singt sie die berühmten Melancholie Arien geradezu ergreifend schön: im Finale „Mi restano le lagrime“ und im ersten Akt „Si, son quella, non più bella“. Die Klagen einer alternden Frau, die weiß, dass sie ihren jugendlichen Liebhaber nicht länger halten kann.
Für die Fans der „lodernden Kolaraturen“ und der Arie della smania gibt’s auch Vieles, und dies nicht nur bei den Szenen der Bartoli, sondern auch bei Sandrine Piau in der Rolle der Morgana.
Sagen wir einfach: die Salzburger Alcina Produktion ist ein Fest der Stimmen. Und wenn dann noch Philippe Jaroussky den Ruggiero singt, dann brauchen wir gar nicht auf den Highlight „Verdi prati“ zu warten, dann sind die Freunde der Händel Musik und der .voci celesti“ von Anfang an hingerissen und sagen sich nur: besser geht es nicht. Irgendwo habe ich gelesen, die begeisterte Rezeption der Gesangsstimmen, sei ein “ Orgasmus in der Opernloge“. Vielleicht ist es so.
Die Begeisterung für die „voci celesti“, dieser Stimmfetischismus ließ sich auch bei Porporas Polifemo erleben, einem dramma per musica, das Max Emanuel Cencic und seine Sängerinnen und Sänger in einer sogenannten „halbszenischen Aufführung“ präsentierten. Wie einst in London das Publikum die beiden Konkurrenten Porpora und Händel miteinander vergleichen konnte, hatte jetzt das Salzburger Publikum die gleiche Gelegenheit. Ich gestehe, ich weiß nicht, für wen ich mich entscheiden würde.
Julia Lezhneva als Galatea, Yuriy Mynenko als Aci, Cencic als Ulisse, eine Sopranistin und zwei Counter, und der Bass Pavel Kudinov in der Rolle des Zyklopen Polifemo singen so phantastisch schön, natürlich allen voran die Lezhneva, dass man nur noch denkt, ja so muß es wohl ei Farinelli und seinem Ensemble geklungen haben. Und vielleicht ist die Anekdote, dass Farinelli dem spanischen König Abend für Abend „Alto Giove, ė tua grazia“ vorgesungen haben soll, nicht ganz falsch. Bei dieser Musik und bei diesen Stimmen braucht es in der Tat nur ein minimalistisches Dekor oder auch gar keins. Porpora in der Salzburger Besetzung zu hören, das ist ein ästhetisches Vergnügen.
Doch zurück zu Alcina – zu Alcina der Zauberin, der Ikone der Liebe, der Ikone der Scheinwelt des Theaters, die auf Tassos Armida und auf die Kirke der Odyssee verweist. In der Inszenierung von Damiano Michieletto spielt die Komponente der Scheinwelt des Theaters, die in der Zürcher Alcina, die ( auch mit der Bartoli und Jaroussky in den Hauptrollen), die dort vor ein paar Jahren zu sehen war, allenfalls eine untergeordnete Rolle. Michielettos Alcina bewegt sich zwischen zwei Welten: einer ‚realen‘ Welt, die durch eine Glaswand von einer Märchenwelt, einer Scheinwelt , getrennt ist. Die Märchenwelt ist der Ort bleicher Gestalten und auch der Ort, in dem Alcina als Greisin erscheint. Als die Welt der ‚ Realen‘ in den Personen der Bradamante und des ‚bekehrten‘ oder auch umgepolten Ruggiero die Märchen- und Geisterwelt zerschlägt, da zerstören sie auch Alcina. Am Boden liegt eine alte weißhaarige Frau.
Eine Deutung, die mir etwas zu flach erscheint. Der Alcina Mythos in seiner Variante als Ikone der Scheinwelt des Theaters ist unsterblich. Der Einbruch des ‚ Realen‘ kann Alcina nur vordergründig zerstören. So hat, wenn ich mich recht erinnere, Christof Loy in seinen Inszenierungen den Alcina Mythos begriffen.
Wie dem auch sei. Die Salzburger Alcina ist in Musik, Stimmen und Szene großes, brillantes Theater. Die Produktion, die im Sommer bei den Festspielen noch mehrfach zu sehen sein wird, sollte man nicht versäumen.
Wir besuchten die Premiere am 7. Juni 2019