Zemlinsky – ein Zwerg ? Oder wie Alma und Donna Clara verliebte kleinwüchsige Künstler erledigen. Tobias Kratzer inszeniert an der Deutschen Oper Berlin Alexander Zemlinsky, Der Zwerg – und erfindet einen Prolog dazu

Der Pianist Zemlinsky – so erfahren wir im Prolog – hat es wirklich schwer. Legt er seinen Kopf in den Schoss der mütterlich-reifen Alma, seiner Klavierschülerin,  dann schubst ihn diese nicht nur robust vom Klavierhocker, sondern zerrt ihn noch dazu vor den Spiegel, auf dass   er seine mickrige Figur sehe. Und dann rauscht sie ab – wohl hin zum Hofoperndirektor Mahler, nach dem sie schon während der Klavierstunde Ausschau gehalten hat. Nicht genug damit. Die Regie hält noch eine weitere Demütigung für den armen Zemlinsky  bereit. Als Soundtrack zur Szene spielt das Orchester ein Stück von Schönberg. Kleinwüchsig ist der Alexander. Kleinwüchsig ist der Komponist Zemlinsly. Gleich doppelt benachteiligt (neudeutsch: diskriminiert). Dem Mann muss geholfen werden.

Oscar Wildes Antimärchen von der Prinzessin, die einen stimmgewaltigen Zwerg als Spielzeug zum Geburtstag geschenkt bekommt, die diesen mit ihrer Koketterie und ihrem Sadismus vernichtet, bietet vielleicht Identifikationsmöglichkeiten, spiegelt vielleicht das Geschick des Komponisten. Wollte dieser mit der Musik zum Antimärchen seine ’Komplexe‘ ‚sublimieren‘?

Es mag sein, dass eine biographische Deutung, eine Referenz auf das Leben des Komponisten, die Grundkonzeption der Inszenierung bestimmte. Doch im Laufe des Spiels verliert sich diese Referenz und wird erst im Schlussbild wieder aufgenommen: die Büste Zemlinskys findet ihren Platz unter den Büsten der großen Komponisten.… → weiterlesen

Die gescheiterte Integration oder blutige Geschichten aus den Südstaaten. Tobias Kratzer inszeniert La Forza del Destino an der Oper Frankfurt

Die Macht des Schicksals ist ein spanisches Stück aus romantischer Zeit, ein drama de honor, in dem es um Rache für den vermeintlichen Mord am Vater und die vermeintliche Verführung der Tochter geht. Der angebliche Mörder und Verführer ist ein Mestize, der nicht in die Familie eines spanischen Granden einheiraten darf. Er ist eben kein Spanier de ‚pura sangre‘. Da hilft auch nichts, dass dieser Mestize Sohn einer Inka Prinzessin und eines spanischen Adligen ist. Es fehlt ihm halt Entscheidendes. Die „Ehre“ gebietet es, dass der Sohn den  Tod des Vaters rächen und die Schwester und den Verführer töten muss. Und am Ende sind sie denn auch alle tot. Álvaro der edle Mestize, Carlo der rachsüchtige Bruder, Leonora die leidenschaftliche Schwester.

Ein schwer zu vermittelndes Stück. Schon der Titel führt in die Irre. Welches Schicksal ist denn da so übermächtig, das es alle Beteiligten in den Tod treibt. Tobias Kratzer schlägt eine originelle, wenn auch einseitige Lösung vor, entwickelt eine Grundkonzeption, die er überzeugend umsetzt. Das Schicksal ist hier die Rassendifferenz und das Unvermögen, diese vermeintliche Differenz zu überwinden. Mit anderen Worten: Kratzer entdeckt in dem scheinbar so antiquierten spanischen Drama ein ganz modernes Thema und verlegt zur Verdeutlichung des Geschehens die Handlung in die Südstaaten der USA und illustriert es an der –  nicht dort – seit mehr als einhundert Jahren ungelösten Rassenproblematik. So wird aus der privaten Geschichte von Álvaro, Carlo und Leonora ein Bilderbuch der amerikanischen Geschichte von Lincoln bis hin zu Obama. Álvaro ist für die Regie ein Farbiger, der, mag er auch eine Ausnahmeerscheinung sein, von Anfang an keine Chance hat, sich mit einer Weißen zu verbinden. Vor diesem Hintergrund ist Álvaro ein Opfer des Schicksals: konkret ein Opfer der Rassenpolitik der Weißen.… → weiterlesen

Die Komödie der Impotenten und Machtgeilen nebst Metatheater. Tobias Kratzer inszeniert Götterdämmerung am Badischen Staatstheater Karlsruhe

Ist die Götterdämmerung, die uns so gerne als schwerblütige Tragödie verkauft wird, nicht eigentlich und das trotz der Leichen, die am Ende auf der Bühne herumliegen, eine Komödie, eine zirkuläre Komödie, bei der Wagners Nornen nicht mehr weiter wissen und damit der Imagination der Theatermacher das Feld überlassen?

Bei Tobias Kratzer gibt es keine Nornen, keine Parzen mehr. Ihre Rollen haben  drei Theatermacher übernommen – wohl die drei Regisseure, die in Karlsruhe Das Rheingold, Walküre und Siegfried in  Szene gesetzt hatten, wobei jeder einzelne ein Stück verantwortete.

Jetzt hocken sie da zu Beginn der Götterdämmerung erschöpft und schlaftrunken auf ihren Regiestühlen vor dem Vorhang, der in großen Lettern „The End“ verkündet und wissen nicht weiter, schauen in die Partitur und ins Libretto –  und probieren es mal. Soll es dieser gemütliche, übergewichtige Siegfried, der sich in Unterhosen und Socken  aus dem Designer Schlafzimmer einer attraktiven Brünnhilde davon machen will und von dieser – zumindest vorläufig – wieder  eingefangen wird, soll es der ‚bringen‘? Ist das „der stärkste Held“, der nur mühsam Grane, das Roß, das ihm Brünnhilde überlassen hat, am Zügel halten kann ?  Die Nornen/Regisseure schicken ihn erstmal auf die Rheinfahrt.

Mit diesem tumben Kraftmeier, dem das „wild wütende Weib“  das „Fürchten gelehrt hat“, hat Hagen, eine Karikatur des geschniegelten Machtpolitikers von heute, leichtes Spiel. Und erst recht gilt dies für das gerade aus dem Schlafzimmer gekrochene Geschwisterpaar Gunther und Gutrune, zumal Gunther nicht so genau weiß, ob er sich nun zur „Felsenfrau“ oder zu kräftigen Männern wie Siegfried hingezogen fühlt. So wird er denn im Finale des ersten Aufzugs verzweifelt aus dem „Gemach“ der Walküre stürzen, seinen Unterleib schützen und Hilfe bei Siegfried suchen. Das ist bei Wagner der Anfang vom Ende für den armen Siegfried. Bei Kratzer wird diese Szene zur Komödie -, zur Komödienstadl-Szene: der impotente Liebhaber, die starke Frau, der Freund, der das Geschäft übernehmen muss usw.

Die Inszenierung nimmt den Wagner-Helden jeglichen Anflug von Tragik, macht sie zu Unterhosenhelden in einer Boulevardkomödie.… → weiterlesen

Giacomo Meyerbeer, Le Prophète. Eine aktualisierte Reality-Show am Badischen Staatstheater Karlsruhe

Revolte in der Banlieue, ein Fanatiker als Muttersöhnchen und Tyrann nebst Belcanto in der Tiefgarage. Spannend und (manchmal) unterhaltsam ist das Spektakel, das Theatermacher Tobias Kratzer in Karlsruhe in Szene setzt, alle Male.

Die Regie transponiert die Geschichte vom Aufstieg, Terror und Untergang der Wiedertäufer und deren Propheten  aus der Reformationszeit in die Pariser Vorstädte von heute, hängt dem scheinbar so charismatischen Anführer der Sektierer und Revoluzzer einen Ödipuskomplex an – und lässt doch Belcanto zu. Und dies nicht nur beim scheinbar so idyllischen Beginn, sondern vor allem im vorletzten Bild, wenn Fidès, die Mutter des Propheten (in der Person der Ewa Wolak), auf der Ladefläche eines Kleinlasters in der Tiefgarage hocken muss und trotz dieser für die Sängerin mehr als unbequemen Lage einfach grandios singt. Le sublime et le grotesque, das Schöne und Hässliche, verschränken, überlagern sich – ganz wie es sich für eine Grand opéra aus romantischer Zeit gehört.

Ob der sublime Belcanto all die Hässlichkeit, als dieses Hyperreale, in dem die Inszenierung schwelgt, als Kontrastprogramm  braucht? … → weiterlesen