Der Tannhäuser, den Neuenfels vor knapp vier Jahren in Essen in Szene gesetzt hat und der jetzt dort wiederaufgenommen wurde, hat nicht eine Spur von Patina angesetzt, ist so effektvoll und spektakulär wie am ersten Tag. Und was ich mir damals zur Inszenierung notiert und in meinem Buch veröffentlicht habe, das kann ich auch heute noch unterschreiben (Vgl. „Die schöne Musik! […] Da muß ma weinen“. Blätter aus Zerlinas Opern-Tagebuch (2005-2008). München – Zürich – Salzburg – Wien – und die Provinz. München 2008. Meidenbauer Verlagsbuchhandlung, S.28-30). So zitiere ich mich im Blog selber und füge das eine oder andere hinzu, was mir in der Aufführung am 30. Dezember 2011 noch aufgefallen ist.… → weiterlesen
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Im ‚Atelier des Malers’. Tannhäuser an der Opéra Bastille. Eine Wiederaufnahme der Robert Carsen Inszenierung vom Jahre 2007
Im ‚Atelier des Malers’. Tannhäuser an der Opéra Bastille. Eine Wiederaufnahme der Robert Carsen Inszenierung vom Jahre 2007
Sagen wir es gleich ohne alle Umschweife. Dieser Pariser Tannhäuser ist alle Male eine Reise wert: eine brillante Inszenierung, brillante Sänger und auch ein Orchester, das anders als beim Ring, den wir im vorigen Jahr in der Bastille Oper gehört haben, dieses Mal wohl den spezifischen Wagner Klang zu treffen weiß. Vielleicht sind die „concupiscenses de la chair“, von denen einstens Baudelaire schwärmte, ein wenig zu verhalten geraten. Wenn dem so war, dann entspricht diese Deutung ganz den Intentionen der Inszenierung, die von Sinnlichkeit und Sündenlust nur wenig wissen wollte und den Tannhäuser als Künstlerdrama verstand. … → weiterlesen
Die Legendenparodie von Sünde und Verklärung eines Rockmusikers. Ein spektakulärer Tannhäuser in Zürich
Die Legendenparodie von Sünde und Verklärung eines Rockmusikers. Ein spektakulärer Tannhäuser in Zürich
Auch Stars aus der Opernwelt von Gestern verstehen (meist) noch immer ihr Handwerk. Und dies gilt erst recht, wenn der Regiestar Harry Kupfer heißt: ein Theatermacher, der nicht nur sein Handwerk souverän beherrscht, sondern noch immer faszinierende, spannende und noch dazu unterhaltsame Inszenierungen zu erarbeiten weiß und das Publikum, wenn überhaupt, dann allenfalls mit ironischem Blinzeln an „das Theater als moralische Anstalt“ erinnert. Vor ein paar Monaten haben wir seine ungewöhnliche, mit Klischees des Metatheater spielende Ariadne auf Naxos im Theater an der Wien gesehen. Jetzt in Zürich hat uns seine ironisch gebrochene, parodistische und doch manchmal an das Tragische rührende Version des Tannhäuser beeindruckt.
In Zürich spielt man eine Mischform aus Pariser und Dresdner Fassung. Das bedeutet, dass der erste Akt stark erweitert ist: eine schöne Gelegenheit für die Regie sich im Venusberg auszutoben und ein bisschen den ideologischen Zeigefinger zu heben und auf die ach so korrupte und hypokrite ‚Gesellschaft’ zu zeigen – und diese zu verlachen. Keine Sorge. In Zürich ist man Exzessen abhold. Im Etablissement von Mama Venus da vergnügen sich die Bürger in ihren Abendanzügen, die Militärs in ihren Ausgehuniformen, die hohen Kleriker in ihren Soutanen, die Gays und die Girls im Strandlook bei dämmrigen Rotlicht so behäbig und so bemüht, so als rausche Wagners glitzernde und erotisierende Venusmusik so einfach an ihnen vorbei. Und wenn dann der abgetakelte Rockstar Tannhäuser zu seiner elektrischen Gitarre greift und mit Mama Venus einen Ehestreit beginnt und unbedingt zu einer gewissen Maria will („Mein Heil liegt in Maria“), dann sind wir schon recht nahe bei Nestroy und erst recht dann, wenn unser armer Rocker nicht in „einem schönen Tal“, sondern in der Entzugsklinik aufwacht, nicht „ein junger Hirt“, sondern die Krankenschwester ihm etwas vorsingt und die Kapuzenmänner von der Semana Santa durchs Fenster lugen. Ein Glück, dass die Klinik gleich neben einem Golfplatz liegt und die Mitglieder von Tannhäusers ehemaliger Band gerade vom Platz zurückkommen. So kann man gleich zusammen singen, ein paar Bier trinken und von einer gewissen Elisabeth träumen. Ein erster Akt voller Witz und Ironie und Parodie. Bei dieser Konzeption nimmt es nicht wunder, dass die Damen und Herren der Wartburggesellschaft, die sich zum Konzert in einer Art Fernsehstudio einfinden, allesamt Karikaturen sind: die hypokrite Gesellschaft, die sich bei Mama Venus des Nachts vergnügt, hat sich fein gemacht und will jetzt von ihren angebeteten Rockstars ein paar Liedchen über „der Liebe Wesen“ hören. Schon viele Male habe ich den Wettstreit der Sänger, ihre Differenzen, ihre Aggressionen aufeinander, die Versuche zur Beschwichtigung, die erst zustimmenden, dann immer ängstlicheren Reaktionen der Elisabeth, die Feindseligkeit der in ihrer Heuchelei ertappten Zuhörer, den Rausch, in den sich die Tannhäuser Figur immer mehr steigert, die Katastrophe, die ihn erteilt – schon viele Male habe ich dies alles auf der Bühne gesehen. Doch eine so feinsinnige, so kluge Personenregie, die sich immer mehr bis zum Desaster hin steigernde Spannung, mit der all dies in Szene gesetzt wird, dies habe ich in dieser Perfektion sehr selten gesehen. Kupfer ist halt noch immer ein grandioser Theatermacher. Im dritten Akt tritt – zunächst – die so sehr auf das Parodistische zielende Grundstimmung zu Gunsten einer das Tragische streifenden Gestimmtheit zurück. Eine Gestimmtheit, die die Regie an der Figur der Elisabeth festmacht. Die Zürcher Elisabeth, die bei ihrem ersten Auftritt etwas komisch Altjüngferliches ausstrahlte, bevor sie sich im Finale des zweiten Akts zur Rettungs- und Erlösungshyäne wandelt, diese Elisabeth hat im dritten Akt entgegen dem Wagner Text alles Vertrauen in das Göttliche verloren. In einer tristen Bahnhofshalle wartet Elisabeth vergeblich auf die Rückkehr des Geliebten. Als Ausweg – und dies wird nicht plakativ gezeigt, sondern dem Zuschauer gleichsam suggeriert, bleibt ihr nur der Selbstmord auf den Schienen. Erlösung – ja das wissen wir schon von so vielen Wagner Inszenierungen – gibt es nicht. Und wenn es sie gibt, dann gibt es sie nur als Parodie. „Heinrich, du bist erlöst“ – Irrtum. Du bist nur mausetot. Und den toten Mann, den scheinbar erlösten Sünder requirieren die Kleriker gleich für sich und machen ihn zum Heiligen – beinahe wie in der ersten Novelle des Decamerone. So schließt sich der Kreis. Der Züricher Tannhäuser beginnt und endet in der Parodie – als Parodie der „bösen Lust“ zu Beginn, als Parodie des Heiligen im Finale. – Unnötig zu sagen, dass in Zürich die Rollen der Elisabeth mit Nina Stemme, die des Tannhäuser mit Robert Dean Smith und die des Wolfram mit Michael Volle mehr als brillant besetzt waren. Der Zürcher Tannhäuser ist eine Reise wert. Wir sahen die Vorstellung am 20. Februar 2011. Die Premiere war am 30. Januar 2011.
Mainz wie es singt und verschläft. Ein szenisch bemühter doch langweiliger Tannhäuser im Staatstheater Mainz
Auch in den Staatstheatern in deutscher Provinz kann man mit einem bisschen Glück recht respektable Wagneraufführungen erleben. In Hannover, in Karlsruhe und sogar (dort hatten wir etwas weniger Glück) im verschlafenen Mainz – verschlafen in dem Sinne, dass dort das Produktionsteam wohl noch nicht ganz mitbekommen hat, dass bei Wagner Rausch und Erotik aus der Musik kommen, sich in der Imagination der Zuhörer ereignen und dass man dafür, so hübsch sie auch anzuschauen sind, keine barbusigen Statistinnen braucht. Wenn man natürlich, wie in Mainz geschehen, nur einen recht müden Wagner erklingen lässt, über weite Strecken nur einen recht schlaffen und langweiligen Sound zum Bühnengeschehen beizusteuern vermag, dann muss man halt zumindest in den Anfangsszenen an die Voyeurinstinkte des Publikums appellieren, auf dass es nicht schon in der ersten halben Stunde einschläft. Später gibt es dann nicht mehr viel zu gucken. Da klettern die Sänger nur noch auf Tischen und Stühlen herum, die ein sparsamer Ausstatter auf dem Speermüll gefunden hat. Verschlafen ist die Musik. Verschlafen ist auch die Regie – verschlafen in dem Sinne, dass sie Neueres noch nicht ganz mitgekriegt hat. Da wird die gute alte Gesellschaftskritik noch einmal aufgewärmt. Ja, ja, wir wissen schon: der Wagner war ein Revolutionär. Da wird das gute alte Traumtheater wieder aktiviert. Ja, ja, wir wissen schon. Strindberg, García Lorca, Calderón. In Mainz ist Tannhäuser ein etwas in die Jahre gekommener Jüngling von heute, der sich im Wahn, in einem Albtraum, in eine Biedermeier Tischgesellschaft versetzt sieht und dem im Traum Tannhäusers Geschick widerfährt. Nicht genug damit. Die Damen, mit denen er es zu tun bekommt, sind in ihrem Outfit so eine Art Cosima Wagner Verschnitt. Die Herren? Sind sie vielleicht Komponisten aus der Wagnerzeit? Oder vielleicht doch nur „Mainzer Hofsänger“, die bei einer biederen Karnevalssitzung aus der Bütt ihre Liedchen vortragen? Und der Tannhäuser, das ist es so eine Art Störenfried im Publikum, der sich einbildet, bei einer Karnevalsitzung unflätige Lieder vortragen zu können und der den geballten Zorn der Mainzer Karnevalsgesellschaft zu spüren bekommt. Warum der Arme sich vor lauter Schreck gleich die Augen ausstechen muss, das haben wir im Publikum nicht verstanden. An einem Ödipuskomplex leidet er doch nun wirklich nicht. Und Elisabeth? Das ist das brave Mädchen aus der Nachbarschaft, das irgendwo gelesen haben muss, dass Liebe irgendetwas mit verbotener Passion zu tun haben muss und die zur Buße im dritten Akt an der Bütt den Gekreuzigten mimen oder vielleicht sogar parodieren darf. War es das? Im Programmheft liest man, dass die für die Regie verantwortliche Dame eine preisgekrönte Theatermacherin sei, die unter andern bei Neuenfels und Konwitschny gelernt habe. Das mag schon sein. Doch Neuenfels weiß noch immer zu provozieren, weiß mit ganz unerwarteten Interpretationen verborgene Schichten eines Werkes sichtbar zu machen – wie zum Beispiel bei seinem Essener Tannhäuser. Und Konwitschnys Tannhäuser in Dresden? Da wird Wagners Erlösungsmythos als Erlösungsgeschwafel entlarvt. Da endet Elisabeth nicht als Heilige, sondern als Selbstmörderin. Da wird – mit einem Wort – Tannhäuser gegen den Strich gelesen. Nichts von alledem in Mainz. Dort wird allenfalls ein Zitatensalat angerichtet. Dort ist pure Langeweile angesagt – Wagner fürs Beckländle. Brav und bieder und weiter nichts. Schade um die durchweg so respektablen Sänger. Wir sahen die Aufführung am 12. November 2010. Die Premiere war am 17.September 2010.
Ein brüchiges Walhall entlässt die Lemuren. Tannhäuser bei den Münchner Opernfestspielen
Gestern, zum Finale der jährlichen Opernfestspiele, die traditionsgemäß mit einem großen Wagner Spektakel enden, hatte man statt der so dürftigen einfallslosen Meistersinger, die der geduldige Wagnerianer in den letzten Jahren erleiden musste, David Aldens Tannhäuser noch einmal ausgegraben. (im Theaterdeutsch: „Neueinstudierung nach einer Inszenierung von David Alden“). Ich hatte die Inszenierung vor mehr als fünf Jahren schon einmal gesehen – und damals hatte mich die Aufführung fasziniert. Und heute – lässt sie mich eher kalt. Vielleicht weil ich vor ein paar Wochen Claus Guths Wiener Tannhäuser gesehen habe? Vielleicht weil die Konzeption und ihre Mittel nach den vielen Jahren ein bisschen obsolet wirken? Der Metatheatertrick (ein in einen langen weiten Mantel gekleideter Literat Tannhäuser schleicht mit einem Koffer voller Manuskripte durch ein zerbrochnes Walhall und erlebt seine Geschichte noch einmal als Vision) kommt einem inzwischen etwas altbacken vor. Natürlich ist es noch immer spektakulär, wenn der Venusberg eine Art Hieronymus Bosch Inferno ist, in dem sich abgetakelte Wagner Figuren tummeln, wenn die Wartburgsänger als Lemuren aus deutscher Geschichte von Luther bis zu den Braunen auftreten und der Landgraf in seiner Kostümierung an Luther oder Melanchthon erinnert, Wolfram als Biedermeierfigur erscheint und die Venus als Zitat aus einem Rita Hayworth Film. Doch irgendwo und irgendwie hat man das alles schon einmal gesehen, und man nimmt das alles als postmodernes Zitaten Kabinett und amüsiert sich. Keine Frage, dass in allen Rollen brillant gesungen wurde und dass Sänger wie Christian Gerhaher als Wolfram und Peter Seiffert in der Titelrolle, der eine als verklemmter Intellektueller, der es doch lieber mit dem ungefährlichen ‚diskursiven Begehren’ hält und der anderer als kraftstrotzender Literat, der zwar ständig seine Manuskripte mit sich herumträgt, aber der Literatur allemal die handfeste Lust vorzieht, keine Frage, dass solch brillante Sängerdarsteller, die sich noch dazu selbstironisch zurückzunehmen wissen, die Aufführung tragen und zu Recht gefeiert werden. Doch was da aus dem Orchestergraben tönte, verdiente das wirklich so stürmischen Beifall? Ich weiß nicht. Ich bin keine Musikerin, nur eine Dilettantin, die in den letzten Jahren vielleicht ein bisschen zu viel Wagner gehört hat, und verbiete mir jegliche Kritik an der Interpretation. Ich sage nur in aller Laienhaftigkeit und zitiere dazu meine Freundin Ariadne, die keine Scheu vor befrackten Pultgöttern hat: „Warum will der Tannhäuser eigentlich zur Frau Venus zurück? Von der glitzernden Erotik, von dem angeblich Lasziven, das die Venusbergmusik auszeichnen soll, da war doch kaum etwas zu hören. Von der religiösen Gegenmacht eigentlich auch Nichts. Es war weder das Eine noch das Andere, weder Fisch noch Fleisch, weder Lust noch Askese. Ein sanfter, neutraler, entscheidungsloser Wagner war an diesem Abend in München zu hören. Eine zweifellos noble Interpretation. Doch der rauschhafte, meinetwegen der kitschige Wagner ist mir allemal lieber“. Sei’s drum. Ein festlich gekleidetes Publikum feierte begeistert den Maestro und alle Mitwirkenden und sich selber – frei nach Goethe: „Und Ihr könnt sagen. Ihr seid dabei gewesen“. In München friert Venus. Wir sahen die Vorstellung am 31. Juli 2010.
„Wo weilet ihr so lang?“ bei Dr.Schnitzler und bei Dr. Freud. Claus Guth inszeniert einen faszinierenden Tannhäuser an der Wiener Staatsoper
Wo weilet ihr so lange?“ – bei Dr. Schnitzler und bei Dr. Freud. Claus Guth inszeniert einen faszinierenden Tannhäuser an der Wiener Staatsoper
Regisseur Guth weiß stets die alten Geschichten neu zu erzählen und neu zu verorten. Nicht immer gelingt ihm dies. Nicht in Salzburg, wo er aus dem Don Giovanni einen moribunden Waldschrat aus dem Salzkammergut machte – und seine Fans mehr als enttäuschte. Anderenorts gelingen ihm grandiose Neudeutungen wie in Zürich mit der Ariadne und dem Tristan, die er in die Kronenhalle bzw. in die Villa Wesendonck verlegt. Auch jetzt in Wien gelingt ihm mit seinem Tannhäuser Großartiges. Wie schon in Zürich so nutzt Guth auch hier den genius loci, wenn er den ersten Akt vor dem Entree eines Stundenhotels der Luxusklasse, den zweiten im Foyer der Staatsoper und den dritten in einer psychiatrischen Klinik spielen lässt. Dass die Klinik das Otto Wagner-Spital, das Etablissement das Hotel Orient nachstellen, in dem „sich Beamte aus den Ministerien mit ihren Sekretärinnen schnell ein Zimmer mieten, bevor sie in die S-Bahn steigen und wieder in ihr bürgerliches Leben eintauchen“, diese Verweise verstehen die Zugereisten allerdings nur über das Programmheft. Doch die Inszenierung ist weit davon entfernt, „die Fortsetzung des Programmhefts mit anderen Mitteln zu sein“ (Stadelmaier). Ihre Bilder und ihre Grundkonzeption sprechen für sich und lassen sich auch unschwer ohne Sekundärinformationen verstehen. Zeitlicher Rahmen des Wiener Tannhäuser ist ‚die Welt von Gestern’, die späte Habsburgerzeit mit ihren Neurosen, ihrer Verklemmtheit, ihrer Doppelmoral und zugleich ihrer Eleganz und ihrer Kultiviertheit, eben die Welt wie wir sie von Schnitzler und im späten verklärenden Rückblick von Stefan Zweig her kennen. In dieser Welt gibt es keinen Venusberg. Hier kann es allenfalls einen hinter einem Zwischenvorhang verborgenen Lustort, allenfalls verdrängte Lust geben. So ist es nur konsequent, dass Tannhäuser vor dem Zwischenvorhang steht oder hin und wieder mal unruhig auf und ab geht, dass er wohl niemals am Ort der Lust war und dass die Direktorin des Etablissements (bei Wagner eine gewisse Frau Venus) ihn vergeblich drängt hinein zu kommen. Nicht minder konsequent ist, dass die Wartburgsänger, eine leicht angetrunkene Gesellschaft wohl situierter Bürger, die bald „der Liebe reinstes Wesen“ preisen werden, allesamt gerade mit ihren Grisetten aus dem Stundenhotel treten, wenn sie im Finale des ersten Akts den Kollegen Tannhäuser treffen. Konsequent im Sinne der Doppelmoral, des Verdrängens und der Verklemmung wird auch das große Fest im zweiten Akt gestaltet. Die Festgesellschaft hüllt sich in lange schwarze Mäntel und trägt schwarze Masken, so als wolle sie sich wie in Schnitzlers Traumnovelle zu einer geheimen Orgie versammeln. Doch mit den Verweisen auf Freud und Schnitzler, obwohl sie alleine schon eine ganze Inszenierung tragen könnten, lässt Guth es nicht genug sein. Tannhäuser bleibt für ihn trotz der Verlegung in ein Fin de Siècle Ambiente noch immer eine „große romantische Oper“, und da ergeben sich die Verweise auf die romantische Literatur geradezu von selber. Guths Tannhäuser ist ein psychischer Kranker oder um es besser in der Sprache der Literatur zu sagen: er ist eine E.T.A. Hoffmann Figur, die von einem Wahn geschlagen ist, der ‚Realität’ und Imagination ineinander übergehen, die aus ihren Wahnwelten nicht mehr herausfindet, eine gespaltene Persönlichkeit, der Guth ganz konsequent einen Doppelgänger zur Seite stellt, eine Figur, die sich mit ihrem eigenen Spiegelbild konfrontiert sieht. Es sind nicht Lust und Leidenschaft, es ist nicht die „Göttin der Liebe“, die Tannhäuser in Bedrängnis bringen. Es ist ein unheilbarer Wahn, der ihn, wird er von der Liebe berührt, überfällt und der ihn schließlich zerstört. Eine Konzeption, die im zweiten Akt im Geschehen und im Bühnenbild überdeutlich wird. Vor dem Erscheinen der Gäste begegnen sich noch einmal Tannhäuser und Elisabeth: eine pantomimische Liebesszene, die den Wahn ganz konkret ausbrechen lässt: die Kulissen brechen auseinander und statt der vornehmen Festgesellschaft ziehen dunkle Gestalten ein, für Tannhäuser Lemuren aus der Unterwelt, die ihn bedrohen, und aus Elisabeth wird, wenn er sein Lied auf die „Göttin der Liebe“ singt, eine sich lasziv im Sessel rekelnde Venus. Zwar schickt die scheinbar entsetzte Festgesellschaft den Tabubrecher zur Buße nach Rom – ganz wie es Richard Wagner will. Doch Rom ist die Wiener Irrenanstalt des Dr. Otto Wagner, hinter deren vergitterten Fenstern die Irren beim Hofgang den Gesang der frommen Pilger anstimmen, ein Ort, wo Tannhäuser regungslos im Krankenbett legt, wo Elisabeth zur Krankenschwester geworden ist, eine verzweifelte Elisabeth, die angesichts einer aussichtslosen Situation zur tödlichen Dosis Schlaftabletten greift und wo ein heruntergekommener, Selbstmord gefährdeter Wolfram schon mit der Pistole spielt. Und die berühmten Phrasen: „Er kehret nicht zurück“ – „Elisabeth, dürft’ ich Dich nicht geleiten“ – „Wie Todesahnung Dämmrung deckt die Lande“ gewinnen mit einmal eine ganz andere Bedeutung, eine tödliche. Erlösung – mag sie auch das Orchester mit seinem protestantischen Posaunengetöse intonieren, mag sie auch das Choralgeschmetter der „Pilger“ verkünden, gibt es nicht. Sie ist nur ein Wahn. Rettung bietet vielleicht (?)Venus, und auch sie ist nur eine Wahnvorstellung – so zitiert Guth im Finale Konwitschnys Dresdner Tannhäuser.
Eine zu Recht gefeierte Inszenierung, die sicher mit dazu beitragen wird, dass das berühmte Haus am Ring sich endlich vom Opernmuseum zum Haus des modernen Musiktheaters wandelt. Das Publikum, so möchte man der neuen Direktion des Hauses zurufen, möchte nicht nur die Stars der internationalen Opernszene auf der Bühne hören und sehen, möchte sich nicht nur von dem angeblich unnachahmlichen Klang der Wiener Philharmoniker bezaubern lassen. Es erwartet auch intelligente, durchdachte, vieldeutige Inszenierungen, Neuerzählungen der alten bekannten Geschichten, eben ‚Varianten des Mythos’ wie sie Claus Guth mit seinem Tannhäuser bietet. Ein großer Opernabend in Wien. Unnötig zu sagen, dass brillant und auf höchstem Niveau gesungen und musiziert wurde – ganz wie man es von der Wiener Staatsoper erwartet. Wir sahen die Vorstellung am 27. Juni 2010, „die 4. Aufführung in dieser Inszenierung“. Die Premiere war am 16. Juni 2010.