Im ‚Atelier des Malers’. Tannhäuser an der Opéra Bastille. Eine Wiederaufnahme der Robert Carsen Inszenierung vom Jahre 2007

© Juan Luis SotilloIm ‚Atelier des Malers’. Tannhäuser an der Opéra Bastille. Eine Wiederaufnahme der Robert Carsen Inszenierung vom Jahre 2007

Sagen wir es gleich ohne alle Umschweife. Dieser Pariser Tannhäuser ist alle Male eine Reise wert: eine brillante Inszenierung, brillante Sänger und auch ein Orchester, das anders als beim Ring, den wir im vorigen Jahr in der Bastille Oper gehört haben,  dieses Mal wohl den spezifischen Wagner Klang zu treffen weiß. Vielleicht sind die „concupiscenses de la chair“, von denen einstens Baudelaire schwärmte, ein wenig zu verhalten geraten. Wenn dem so war, dann entspricht diese Deutung ganz den Intentionen der Inszenierung, die von Sinnlichkeit und Sündenlust nur wenig wissen wollte und den Tannhäuser als Künstlerdrama verstand. 

Dass der Tannhäuser Mythos auch  die Mär vom genialischen, vom von seinen Zeitgenossen nicht verstandenen  Künstler erzählt, ist eine Variante des Mythos, die schon viele Male in Szene gesetzt wurde. Robert Carsen nimmt in seiner Version des Tannhäuser diese Variante auf, ohne sich indes an den nahe liegenden Interpretationen  zu orientieren. Für ihn ist Tannhäuser nicht der Literat, der einen neuen Diskurs erfunden hat oder gar der provokante Tonsetzer. Für Carson ist Tannhäuser der genialische Maler, der einen innovativen Stil durchsetzen will. Eine Variante innerhalb der Variante des Mythos, die an sich nicht sonderlich originell wäre, wenn sie nicht an einem konkreten Fall fest gemacht  und historisch in das Jahrzehnt situiert würde, in dem sich mit Gustave Courbet ein neuer Malstil in Paris durchsetzte – und Wagner sich ebenda als ‚innovativer’ Komponist zu etablieren versuchte. Konsequent im Sinne dieser Konzeption ist es, dass aus dem Venusberg des Libretto das Atelier des Malers wird, dass das Bühnenbild Courbets berühmtes gleichnamiges Tableau  fragmentarisch zitiert, Tannhäuser zu Gustave Courbet wird, der hinter seiner Staffelei steht und mit großen Gesten  ein Werk zu schaffen sucht, eine Arbeit, die der Zuschauer, wenngleich sie Tannhäuser drei Akte lang mit sich herumträgt, nie zu sehen bekommt. Vermuten darf man wohl, dass das unbekannte Bild einen Frauenakt darstellt, für den ein Modell posiert, das sich als Wagners Venus entpuppt und  die doch zugleich, wenn sie sich in das weite Tuch hüllt, das sich  Courbets Modell in scheinbarer Lässigkeit übergeworfen hat, eine Bildfigur bleibt. In diesem Atelier gibt es keine „Jünglinge“ und „Nymphen“, die sich miteinander vergnügen. Die Bewunderer und Adepten des Malers, die sich auf dem Tableau um ihn scharen, werden bei Carsen zu einer Horde dunkel gekleideter Maler, die dem Modell hinterher hecheln und es vergeblich als Porträt auf ihren Staffeleien und Skizzenblättern festhalten möchten. In diesem Kontext verwundert es nicht, dass der Landgraf zum schwerreichen Galeristen wird, der den zögernden Tannhäuser für eine geplante Vernissage gewinnen will, dass ein oberflächliches und dünkelhaftes Vernissage Publikum („die Edlen meiner Lande“)  sich mehr für Champagner und Lachshäppchen als für die ‚hohe Kunst’ interessiert, dass diese Besucher der Vernissage mit Tannhäusers neuem Stil überhaupt nichts anzufangen wissen, ihn zum Studium nach Rom davonjagen und nach seiner Rückkehr aus Rom enthusiastisch feiern, wenn er sein Bild zu den Arbeiten der großen Künstler (von Botticelli bis Delvaux), zu deren Frauenakten, hängt. „Frau Venus“  und „Fürstin“ Elisabeth sind in dieser Version natürlich nicht in die Hölle oder in den Himmel entschwunden. Einträglich und versöhnt, keusch drapiert in das weite Tuch, das Courbets Modell trägt, präsentieren sie sich im Finale als des Künstlers ach so konträre Musen: die ‚Femme fatale’ und das verklemmte Hascherl, das auch so gerne Modell  gespielt hätte und sich zu diesem Zwecke schon einmal in Erwartung der Rückkehr des Malers  aus Rom auf seiner Matratze im Atelier rekeln durfte.  Und die Pilger? Die angeblich frommen Maler mit ihren vermutlich klassizistischen oder romantischen Bildchen? Sie kommen mit leeren Rahmen aus Rom zurück nach Paris. Vermutlich, um dort das Malen zu erlernen.

Eine, wenn man so will, etwas gewaltsame, doch in sich konsequente und effektvolle Umdeutung des Wagnerschen Erlösungsgeschwafel. Aus Wagners Tragödie des Künstlers wird die Komödie vom zunächst verkannten und  umstrittenen, doch sich am Ende durchsetzenden  genialen Künstlers und – nicht zuletzt ein Hommage an Wagner in Paris. Wir sahen die Vorstellung am 9. Oktober 2011 (weitere Aufführungen am: 17., 20., 23., 26. und 29. Oktober.