Die Legendenparodie von Sünde und Verklärung eines Rockmusikers. Ein spektakulärer Tannhäuser in Zürich

Die Legendenparodie von Sünde und Verklärung eines Rockmusikers. Ein spektakulärer  Tannhäuser in Zürich

Auch Stars aus der Opernwelt von Gestern verstehen (meist) noch immer ihr Handwerk. Und dies gilt erst recht, wenn der Regiestar Harry Kupfer heißt: ein Theatermacher, der nicht nur sein Handwerk souverän beherrscht, sondern noch immer faszinierende, spannende und noch dazu unterhaltsame Inszenierungen zu erarbeiten weiß und das Publikum, wenn überhaupt, dann allenfalls mit ironischem Blinzeln an „das Theater als moralische Anstalt“ erinnert. Vor ein paar Monaten haben wir seine ungewöhnliche, mit Klischees des Metatheater spielende Ariadne auf Naxos im Theater an der Wien gesehen. Jetzt in Zürich hat uns seine ironisch gebrochene, parodistische und doch manchmal an das Tragische rührende Version des Tannhäuser beeindruckt.

In Zürich spielt man eine Mischform aus Pariser und Dresdner Fassung. Das bedeutet, dass der erste Akt stark erweitert ist: eine schöne Gelegenheit für die Regie sich im Venusberg auszutoben und ein bisschen den ideologischen Zeigefinger zu heben und auf die ach so korrupte und hypokrite ‚Gesellschaft’ zu zeigen – und diese zu verlachen. Keine Sorge. In Zürich ist man Exzessen abhold. Im Etablissement von Mama Venus da vergnügen sich die Bürger in ihren Abendanzügen, die Militärs in ihren Ausgehuniformen, die hohen Kleriker in ihren Soutanen, die Gays und die Girls im Strandlook bei dämmrigen Rotlicht so behäbig und so bemüht, so als rausche Wagners glitzernde und erotisierende Venusmusik so einfach an ihnen vorbei. Und wenn dann der abgetakelte Rockstar Tannhäuser zu seiner elektrischen Gitarre greift und mit Mama Venus einen Ehestreit beginnt und unbedingt zu einer gewissen Maria will („Mein Heil liegt in Maria“), dann sind  wir schon recht nahe bei Nestroy und  erst recht dann, wenn unser armer Rocker nicht in „einem schönen Tal“, sondern in der Entzugsklinik aufwacht, nicht „ein junger Hirt“, sondern die Krankenschwester ihm etwas vorsingt und die Kapuzenmänner von der Semana Santa durchs Fenster lugen. Ein Glück, dass die Klinik gleich neben einem Golfplatz liegt und die Mitglieder von Tannhäusers ehemaliger Band gerade vom Platz zurückkommen. So kann man gleich zusammen singen, ein paar Bier trinken und von einer gewissen Elisabeth träumen. Ein erster Akt voller Witz und Ironie und Parodie. Bei dieser Konzeption nimmt es nicht wunder, dass die  Damen und Herren der Wartburggesellschaft, die sich zum Konzert in einer Art Fernsehstudio einfinden, allesamt Karikaturen sind: die hypokrite Gesellschaft, die sich bei Mama Venus des Nachts vergnügt, hat sich fein gemacht und will jetzt von ihren angebeteten Rockstars ein paar Liedchen über „der Liebe Wesen“ hören.  Schon viele Male habe ich den Wettstreit der Sänger, ihre Differenzen, ihre Aggressionen aufeinander, die Versuche zur Beschwichtigung, die erst zustimmenden, dann immer ängstlicheren Reaktionen der Elisabeth, die Feindseligkeit der in ihrer Heuchelei ertappten Zuhörer, den Rausch, in den sich die Tannhäuser Figur immer mehr steigert, die Katastrophe, die ihn erteilt – schon viele Male habe ich dies alles auf der Bühne gesehen. Doch eine so feinsinnige, so kluge Personenregie, die sich immer mehr bis zum Desaster hin steigernde Spannung, mit der all dies in Szene gesetzt wird, dies habe ich in dieser Perfektion sehr selten gesehen. Kupfer ist halt noch immer ein grandioser Theatermacher. Im dritten Akt tritt – zunächst  –  die so sehr auf das Parodistische zielende Grundstimmung zu Gunsten einer das Tragische streifenden Gestimmtheit zurück. Eine Gestimmtheit, die die Regie an der Figur der Elisabeth festmacht. Die Zürcher Elisabeth, die bei ihrem ersten Auftritt etwas komisch Altjüngferliches ausstrahlte, bevor sie sich im Finale des zweiten Akts zur Rettungs- und Erlösungshyäne wandelt, diese Elisabeth hat im dritten Akt entgegen dem Wagner Text alles Vertrauen in das Göttliche verloren. In einer tristen Bahnhofshalle wartet Elisabeth vergeblich auf die Rückkehr des Geliebten. Als Ausweg  – und dies wird nicht plakativ gezeigt, sondern dem Zuschauer gleichsam suggeriert, bleibt ihr nur der Selbstmord auf den Schienen. Erlösung – ja das wissen wir schon von so vielen Wagner Inszenierungen – gibt es nicht. Und wenn es sie gibt, dann gibt es sie nur als Parodie. „Heinrich, du bist erlöst“ – Irrtum. Du bist nur mausetot. Und den toten Mann, den scheinbar erlösten Sünder requirieren  die Kleriker gleich für sich und machen ihn zum Heiligen –  beinahe wie in der ersten Novelle des Decamerone. So schließt sich der Kreis. Der Züricher Tannhäuser beginnt und endet in der Parodie – als Parodie der „bösen Lust“ zu Beginn, als Parodie des Heiligen im Finale. – Unnötig zu sagen, dass in Zürich die Rollen der Elisabeth mit Nina Stemme, die des Tannhäuser mit Robert Dean Smith und die des Wolfram mit Michael Volle mehr als brillant besetzt waren.  Der Zürcher Tannhäuser ist eine Reise wert. Wir sahen die Vorstellung am 20. Februar 2011. Die Premiere war am 30. Januar 2011.