Im Habsburger Opernmuseum. Capriccio und Samson et Dalila an der Wiener Staatsoper

„Karajan hat gesagt – so wird kolportiert -, es gibt 40 großartige Abende (von den 240 im Jahr), und über den Rest breitet man den Mantel des Schweigens“. Mit Ariodante, Händels Oper, die wir am 8. März 2018 in der Staatsoper besuchten, war wohl unserer Kontingent an „großartigen Abenden“ für das erste Halbjahr schon erschöpft, und so breiten wir am besten „den Mantel des Schweigens“ über Capriccio aus und erinnern  uns lieber an die „großartigen Abende“ wie sie in Frankfurt, Paris und Brüssel mit Capriccio zu erleben waren.

Und wie war’s mit Samson et Dalila? Über diese Aufführung braucht man nicht „den Mantel des Schweigens“ zu breiten. Doch „großartig“ war dieser Abend auch nicht unbedingt. Anders ausgedrückt: zwei Starsänger haben den Abend gerettet. Mit  Roberto Alagna als Samson und Elina Garanca als Dalila waren die beiden Hauptrollen exzellent besetzt: die kühle Schöne mit der verführerisch gurrenden Stimme, der von Anfang an stimmlich so mächtig auftrumpfende ‚Held‘, den die femme fatale, ganz wie es dem Schema entspricht, zum Jammerlappen macht und der seine große Rache, die ihm das Libretto verspricht, nur in der Imagination erlebt.

Samson et Dalila ist ein hybrides Opus, eine Melange aus Oratorium, Operette (sic!) und Bacchanal – und entsprechend schwer hat es die Regie. So setzt Theatermacherin  Alexandra Liedtke auf eine vorsichtige Aktualisierung des biblischen Plots, ohne sich auf eine nahe liegende Politisierung des Geschehens einzulassen. So wird halt im ersten Akt mit den konventionellen Operngesten gejammert und geklagt, Jahwe um Hilfe angerufen und gemeuchelt. Nein, nicht nur. Im Finale tritt Dalila als Frühlingsgöttin auf, betört den Helden mit ihrem verführerischen Gesang („Printenps qui commence“) und reicht ihm eine Schale mit einem Getränk. Ist es Wein oder ist es Circes Zaubertrank? Letzteres wohl. Unser Held hat vom Weibergift genossen – und es wirkt.

Im zweiten Akt empfängt die kühle Blonde im weiten Bademantel einer keuschen Hausfrau den unbedarften Helden im großbürgerlichen Badezimmer. Eine Szene, die in ihrer Spießigkeit nicht der Operetten-Komik entbehrt. Nein, sie plantscht nicht mit ihm in der Badewanne. Sie bespritzt ihn nur vorsichtig mit Wasser. Als Sirene weiß  sie um die Macht ihrer erotischen Stimme: “Mon coeur s’ouvre à ta voix“  und schneidet dem Möchte-Gern-Liebhaber ein Löckchen ab. Wer dabei an Kastration denkt –  „Honi soit qui mal y pense“ -, der hat halt einen postfreudianischen Schaden. Vor so einem Übel wollte unsere  Theatermacherin, indem sie die komödiantischen Züge der Szene betont, ihr Publikum ganz bestimmt bewahren.

Im dritten Akt kommen dann doch noch die Voyeurs auf ihre Kosten. Zur französischen Oper gehört traditionell das Ballett. So darf denn die Tanzgruppe ein Bacchanal veranstalten und den armen Samson malträtieren (Pardon, das Double von Samson. Der richtige Samson konnte sich noch rechtzeitig vor den Souffleurkasten retten). Ehe ich es vergesse: einen Stuntman, der für uns Zuschauer den Palast der Feinde des Samson im Feuer untergehen lässt, den gibt es auch. Für Samson ereignet sich diese schöne Zirkuseinlage nur in der Imagination. Die Stärke, die ihm Jahwe – so wollte es der biblische Plot –  noch einmal verleiht, ist der Wunschtraum eines körperlich und seelisch vernichteten Mannes. Eine durchaus schlüssige Variante des Samson-Mythos. Eine Pointe indes, die es nicht mit dem Finale aufnehmen kann, für das sich Damiano Michieletto in  seiner Pariser Inszenierung entschieden hat. In Paris erschlägt Michieletto Saint-Saens mit der Wagner-Keule. Als Brünnhilde der Götterdämmerung zündet Dalila den Palast an und macht Samson glauben, Jahwe habe zu seinen Gunsten interveniert.

Samson et Dalila, wie es in Wien zu hören und zu sehen ist, ist das nun, wie einst Julius Korngold meinte (so zitiert ihn das Programmheft auf Seite 80)  Musik, „die auf der Zunge zergeht – feinste Himbeercreme in Des – und die doch auch die Linie der Empfindung überzeugend nachzeichnet“? Oder ist diese Musik vielleicht doch nur der überaus eingängige Soundtrack zu einer femme fatale Variante, die hier in Wien zur Story von der Badezimmersirene und dem unbedarften Macho reduziert wurde?

Wie dem auch sei. Schön und brillant gesungen wurde alle Male. Die Inszenierung ist nur konventionell. Wer Musiktheater in anspruchsvollen modernen Inszenierungen erleben will, der geht in Wien zum Theater an der Wien und nicht zur Staatsoper.

Wir besuchten Samson et Dalila am 18. Mai 2018, die „3. Aufführung in dieser Inszenierung“.

 

 

 

Von scheinbar großen und scheinbar kleinen Musiktheatern. Anmerkungen zum Berliner Samson und zum Lübecker Ring

Von scheinbar großen und scheinbar kleinen Musiktheatern. Anmerkungen zum Berliner Samson und zum Lübecker Ring

Manchmal frage ich mich, ob nicht die Musiktheater in der ‚Provinz’ die eigentlichen großen Bühnen sind und ob man sich den Besuch der renommierten Staatstheater nicht besser ersparen sollte. Eine Erfahrung, die wir zuletzt beim Lübecker Ring machen mussten. Ein paar Tage zuvor hatten wir eine reichlich dürftige Samson et Dalila Inszenierung an der Deutschen Oper in Berlin gesehen. Das Haus hatte zwar die üblichen Sängerstars und einen bekannten Ausstatter, der in Personalunion gleich auch noch die Regie übernommen hatte, engagiert. Doch eine halbwegs interessante Aufführung kam nicht zustande. Zwar sang die berühmte bulgarische Mezzosopranistin  von der Zürcher Oper durchaus brillant (dass sie nicht schauspielern kann und  vor allem bei den Femme fatale Rollen ziemlich hilflos wirkt, das müssen wohl inzwischen auch ihre Fans zugeben), und der berühmte Bayreuth Sänger sang auch einen beachtlichen Samson, und ein paar hübsche Bühnenbilder waren auch zu sehen. Die Regiekonzeption, wenn es denn eine gab, war, um es vorsichtig zu sagen, heterogen und versuchte das Geschehen in der Zeit des deutsch-französischen Krieges von 1870 (also mehr oder weniger in der Entstehungszeit der Oper) zu verorten. Ein hübscher, wenn auch antiquierter Ansatz, der nur ein obsoletes Opernspektakel entstehen ließ, das mit der beklemmenden Aktualität, die zum Beispiel die Nürnberger Samson und Dalila Inszenierung auszeichnet, nicht im geringsten mithalten kann. Ein weiteres Beispiel dafür, wie ein Musiktheater in einer mittelgroßen Stadt die hauptstädtischen Bühnen klein aussehen lässt. Doch wir wollen nicht von der Berliner Musiktheater Szene sprechen (zum Berliner Ring im Schillertheater finden sich bereits zwei Artikel in unserem Blog), sondern vom großartigen Lübecker Ring. Beim Lübecker Ring im kleinen Jugendstil Theater, da stimmt nahezu alles. Vom rauschhaften Wagner Klang, den Maestro Brogli-Sacher  mit dem „Philharmonischen Orchester der Hansestadt Lübeck“ produziert, über die mit nur ganz wenigen Ausnahmen brillanten Sängerschauspieler bis hin zu einer geistreichen und literarisch beschlagenen Regie, die mit Thomas Mann Figuren spielt und diese ironisch verfremdet – mit  einem Blinzeln hin zum Publikum, das zur Mitwirkung im literarischen Spiel eingeladen ist, das die Übermalungen der Wagner Figuren erkennen  und  Wagner gleichsam als Thomas Mann Leser sehen soll. Eine anachronistische Lesart, die neues Bedeutungspotential erschließt. Da wird aus dem Walküre Wotan ein gebrochener Thomas Buddenbrook, ein Wotan, den wie sein Bruder im Geiste das Ende nicht mehr schreckt, seit er es selber will. Gunther präsentiert sich bei seinem ersten Auftritt als schwuler Clown Christian Buddenbrook, und die zickige Gutrune verweist auf die naiv durchtriebene Tony. Natürlich fehlen nicht die Wälsungenblut Geschwister, denen allerdings von Glanz und Dekadenz und Reichtum nichts mehr geblieben ist: der geliebte Bruder kehrt als Borcherts Kriegsheimkehrer Beckmann zurück, und Sieglinde ist zur verhuschten kleinen Hausfrau geworden und das Spottobjekt der Geschwister, der Sieglinde zugedachte Ehemann, ist  in seiner Rolle als Hunding zur Shylock  Karikatur mutiert. Im Siegfried sind wir dann wieder ganz bei Thomas Mann: in der Zauberberg Klinik, dem ausschließlichen Ort der Handlung. Mime, der „weise Zwerg“ hat es zum  Chefarzt gebracht, Alberich zum debilen Militär, der im Rollstuhl von der Weltherrschaft träumt, Fasolt ist ein übergewichtiger, misslauniger alter Mann, der in einem riesigen Bett in einem Extrazimmer thront. Wotan ist ein in die Jahre gekommener Rocker, der wohl der heimliche Boss der Klinik ist und dem  die aufreizende Oberschwester (bei Wagner das Waldvöglein) zu Diensten ist. Siegfried ist so eine Art Hausfaktotum, das durch die Klinikräume stürmt, ein kräftiger Zauberberg Bediensteter, der mit seinem Ungestüm allerlei Unheil anrichtet – sanft geleitet von der Oberschwester.  Brünnhilde schläft im Turmzimmer der Klinik und träumt wohl von der inzestuösen Liebe zu Vater Wotan: kaum hat das Enfant terrible Siegfried  sie‚erweckt’, da steckt sie diesen gleich in Papas Generalsmantel und setzt ihm dessen Mütze auf, dem armen Siegfried, der gelangweilt herumsteht und endlich zur ’Sache kommen’ will. Das berühmte Finale: eine ironisch verzerrte Liebesszene – vielleicht eine Parodie auf den ‚Höhepunkt’ im Wälsungenblut. Natürlich gelingen die Verweise nicht immer oder sind für literarisch Unbedarfte nicht zu erkennen. „Allein, was tut’s“. Der Lübecker Ring ist ein Kabinettsstück der literarischen Verweise, geistreich, unterhaltsam,  ironisch gebrochen und berauschend alle Male. Wagner liest Thomas Mann und Borchert und… – Wir sahen das Rheingold am 20. Mai. Die Walküre am 22. Mai. Siegfried am 27. und Götterdämmerung  am 29. Mai.

 

 

Gaza gestern, heute, morgen. Die Parabel von Aufstieg und Fall des Staates Israel. Eine beklemmende Samson und Dalila Inszenierung am Staatstheater Nürnberg

Gaza gestern, heute, morgen. Die Parabel von Aufstieg und Fall des Staates Israel. Eine beklemmende Samson und Dalila Inszenierung am Staatstheater Nürnberg

Von tumben Kraftmeiern und besessenen Femmes fatales will Regisseur Mouchtar-Samorai nichts mehr wissen. Und noch weniger interessiert ihn die Erzählung vom bärenstarken Hebräer Samson und  der verführerischen Philisterin Dalila, wie sie sich im Alten Testament, im Buch der Richter, findet. Diese Varianten des Dalila Mythos gehören für ihn offensichtlich auf den Müllhaufen der Literaturgeschichte. Aktuell indes wie eh und je ist der ewige Nahostkonflikt. Mögen die Kontrahenten nun biblisch Philister und Hebräer oder politisch aktuell Israelis und Palästinenser heißen. Und in diesen aktuellen Konflikt fügt sich für die Regie die Geschichte von Dalila und Samson, eine Variante des Mythos, die sich mit der Geschichte von Aufstieg und Hybris und der Vision vom Untergang des Staates Israel verbindet, der mit seinem Fall die gesamte Region in die Katastrophe reißt. Ganz im Sinne dieser Konzeption ist der junge Samson der charismatische Anführer der Israelis  bei der Gründung des Staates im Kampf gegen die Palästinenser und bei deren Vertreibung. Und nicht minder konsequent  im Sinne der Regiekonzeption ist es, dass der Kriegsheld ( und wohl mit ihm auch sein ‚Volk’) nach dem Sieg über die Palästinenser der Hybris und der Arroganz verfallen, im Nightclub sich über die Orientalen amüsieren, Samson zum gelangweilten Latinlover degeneriert und so ein leichtes Opfer der Nachtclubsängerin und palästinensischen Agentin Dalila wird. Die moralisierende Parabel mit Thriller Einlagen, wie sie die ersten beiden Akte bestimmt, weitet sich im dritten Akt zur apokalyptischen Vision: mit der Gefangennahme seines ‚Kriegshelden’  ist Israel vernichtet: Samson bleibt allein  zurück und beklagt sein Geschick. Reste des Volkes klagen aus der Ferne. Gefangene tanzen beim Siegesfest der Palästinenser in Schweinsmasken. Samson, nunmehr Objekt des Spotts und der Verachtung der vermeintlichen Sieger, der in der biblischen Variante im Selbstmord  die Tempel der Philister zum Einsturz bringt und Tausende mit sich in den Tod reißt, entscheidet sich in der aktuellen Variante des Mythos für den „Samsons Choise“: „Samsons Wahl, das ist der Name der israelischen Atombombe. Israels letzte Wahl, wenn es keinen anderen Ausweg mehr gibt, die Zerstörung […]“ (David Mouchtar-Samorai). Eine Variante des Mythos von Samson und Dalila  wie sie  beklemmender nicht  sein könnte – eine Variante, die allerdings nicht unbedingt im Einklang mit der Musik steht,  einer oft betörend girrenden  Musik, die allenfalls bei  den choralähnlichen Klagegesängen der Regiekonzeption entgegen kommt. Ansonsten ‚Regietheater’ im besten Sinne des Wortes. Wir sahen die Vorstellung am 29. März. Die Premiere war am 15. Januar 2011.

Unterammergau ohne Stückl. Oder wie ein bekannter Tenor sich als Hauptdarsteller, Regisseur und Ausstatter in Personalunion versucht: Samson und Dalila im Badischen Staatstheater Karlsruhe

Die Mär von der niederträchtigen femme fatale und dem tölpelhaften Kraftmeier Samson ist halt eine schlimme Geschichte. Doch ganz schlimm wird sie, wenn sie jemand in Szene setzt, der weder über eine tragfähige Konzeption noch über die handwerklichen Fähigkeiten verfügt, die man eigentlich von einem Theatermacher erwartet.

In Köln hatte im vergangenen Jahr Tilman Knabe  die biblische Erzählung vom Krieg der Israeliten mit den Philistern und von der schönen Dalila, die den einfältigen Muskelprotz der Israeliten erledigt, als aktuelle Variante vom ewigen Hass und von permanenten Gewaltexzessen zwischen verfeindeten Völkern oder Stämmen oder Gruppen neu erzählt. In Köln geschieht dies mit den Mitteln des Films: mit Zitaten aus den Genres des Kriegsfilms und des französischen Gangsterfilms. Und die heikle Schlussszene – ein wieder zu Kräften gekommener Samson reißt den Tempel der Feinde ein – wird erst gar nicht realisiert.

Die größten Gewaltexzesse  ereignen sich in der Phantasie, in der perversen Gewaltphantasie, in der von der medialen Gewalt infizierten Phantasie des Zuschauers. Nicht so anspruchsvoll war man in  St. Gallen. Dort beim sommerlichen Festspektakel auf der Freilichtbühne vor dem Dom  hatte man Samson und Dalila als bunten Bilderbogen aus den Märchen von Tausend und einer Nacht verstanden. Und in Karlsruhe? Da weiß man nicht so recht, was man will. Ein bisschen alttestamentarischer „Krippenspielrealismus“? Ein bisschen Sadismus? Ein bisschen Kastrationsangst des armen Macho? Ein bisschen Traumtheater? Ein bisschen Nazi Perversionen? War es das?  Ort der Handlung ist ein  Konzentrationslager. Oder vielleicht auch ein Auffanglager für Latinos in Arizona, die von einem machtlüsternen Sheriff drangsaliert werden?  Oder vielleicht auch eine Bohrinsel, die zum Konzentrationslager umfunktioniert wurde? Die drei Stahlkonstrukte, die herumstehen, erinnern an Wachttürme oder auch an Bohrtürme. Alte, Frauen und Kinder – letztere dürfen zwischendurch ein bisschen fangen spielen – liegen jammernd am Boden, und ein wohlgenährter langhaariger Samson stachelt zum Aufstand an und erledigt schon mal den schwarz gekleideten Kommandanten. Den SS-Offizier? Eine Aktion, die den Oberkommanten – im Libretto der Oberpriester der Philister –  beträchtlich in Rage bringt.

Keine Sorge, liebes Publikum. Gleich kehrt Ruhe ein. Gleich dürfen die matten Krieger träumen. Da kommt auch schon eine Schar weiß gekleideter blonder Mädchen (Priesterinnen der Aphrodite? Schülerinnen eines Mädcheninternats, einer Waldorfschule, die sich alle in weiße Gewänder gehüllt haben?) und kümmert sich um die müden Männer. Samson stört das nicht weiter. Er ist erschöpft von der Treibjagd auf die Feinde. Die Anführerin der Mädchenschar (die Oberpriesterin der Aphroditejüngerinnen?, die Direktorin der Waldorfschule?) – eine blonde Dame in Schwarz – macht dem Helden gewisse Avancen  und singt ihm und uns Zuschauern (leider ein wenig hölzern) das berühmte Frühlingslied – einen Hit aus der Oper, den wir alle kennen.

Im zweiten Akt hat sich auch Dalila in Weiß geworfen  und räkelt sich mit ihren Mädchen  in weißen Tüchern und Schleiern auf der Vorderbühne.  Sind wir im Harem  oder vielleicht in einer Versammlung von zärtlich miteinander spielenden Lesben? Der sehnsüchtig erwartete Samson, als er denn endlich erscheint, ist von dieser Situation völlig überfordert und steht erstmal nur so herum (der viel beschäftigte Sänger-Regisseur hatte offensichtlich nicht die Muße, sich auch noch mit der Personenregie zu beschäftigen. Sei’s drum). Immerhin kriegt die böse Dalila, die den verführerischen Charme einer frustrierten Hausfrau ausstrahlt und die der Oberkommandant  zuvor so richtig heiß gemacht hat, den Trottel von Samson schließlich doch noch herum. Im dritten Akt sind wir dann so richtig im KZ. Eine sadistische Wachmannschaft treibt ihre Spielchen mit dem jammernden Samson und seinen Gefährten. Dalila ist zur Domina mutiert und macht zwischendurch auch mal die Hilfspriesterin für den Oberpriester.

Und zum Finale  darf der geschundene Samson an den Türmen wackeln, die aber mitnichten zusammenbrechen, sondern sich nur ein wenig zur Seite neigen. Immerhin ein plausibler Grund dafür, dass die Vielzahl der Choristen und Statisten, nicht zu vergessen die große Schar der Kinder, die alle auf der Bühne versammelt sind,  mausetot  spielen dürfen und dass das sowieso schon dämmrige Licht ganz ausgeht. Und wenn es dann gleich wieder angeht, dann sind alle im Opernhaus, die auf der Bühne und die im Zuschauerraum, mehr als begeistert. Welch grandioses Spektakel hat uns doch unser Tenor aus Argentinien bereitet. Perdón, muy estimado Senor  Cura: Sie sind zweifellos ein sehr guter Sänger. Doch bevor Sie sich das nächste Mal als Theatermacher versuchen, schauen Sie sich doch bitte ein paar Videos von Konwitschny, von Loy und von Guth an. Oder noch besser: nehmen sie ein paar Nachhilfestunden bei diesen Herren.

Wir sahen die Premiere am 15. Oktober 2010.

Eine orientalische Kostümshow. Samson et Dalila bei den St. Galler Festspielen 2009

Wer eine anspruchsvolle Samson et Dalila  Aufführung, wie sie in der Kölner Oper zur Zeit zu sehen ist, nicht mag, der sollte zu den St. Galler Festspielen fahren. Dort gerät vor der barocken Kulisse des Doms Samson et Dalila zum infantilen Bilderbogen aus 1000 und eine Nacht, zu einem kitschigen Spektakel in knallbunten Kostümen, das immer wieder – vor allem bei den Auftritten des beleibten Oberpriesters und den betulichen Verführungsszenen – in unfreiwillige Komik umzukippen droht. Eigentlich könnte man das Ganze nur belächeln, und wenn in den beiden Hauptpartien nicht so schön gesungen worden wäre, hätte ich es wohl nicht bis  zum Schluss ausgehalten.

Allein was tut’s. Dem Publikum hat das Freiluftspektakel allemal gefallen. Es ist ja auch so schön romantisch und manchmal auch ein bisschen gruselig, wenn über der bläulich-grau angestrahlten Kathedrale der Mond und die Sterne leuchten, wenn der arme Samson auf den girren Gesang der verräterischen Sirene Dalila hereinfällt und dann nur noch herumjammern kann. Und wenn sich dann zum Finale das Ballett an einem keuschen Bacchanale versucht, die Tempelwand einen Riss bekommt und sich die Hundertschaft von Choristen vor Schreck  auf den Boden wirft und Held Samson drohend die Faust reckt, ja dann weiß man wirklich, was Oper ist: ein streckenweise unterhaltsames, sonst aber nur langweiliges  Spektakel mit Soundtrack, in dem böse Weiber gutwillige kräftige Männer, die doch auch mal ein Recht auf Entspannung haben, ruinieren, und lüsterne Kleriker dabei übel mitmischen. Und kalte Füße, da kann der Sommerabend noch so lau sein, kriegt man spätestens im dritten Akt.

Wir sahen die Vorstellung am 30. Juni 2009.

Pulp Fiction nebst Femme fatale: Camille Saint- Saens, Samson et Dalila in der Oper Köln

20. Juni 2009

Das einstens so renommierte Kölner Haus, das in letzter Zeit jegliche Brillanz vermissen ließ und das man nach dem in weiten Teilen so erbärmlichen Tristan auf einem Tiefpunkt angelangt glaubte, ist gleichsam wie der Phönix aus der Asche noch einmal auferstanden und hat zum Schluss der Spielzeit mit zwei brillanten Inszenierungen, mit Samson und Dalila und dem Capriccio, den provinziellen Stadttheater Mief, der ihm schon anzuhaften schien, vergessen lassen. Von der Samson Inszenierung, für die Tilman Knabe verantwortlich zeichnet, hatte man im Vorfeld Schlimmes gelesen: von  armen Choristen, die Sex und Crime mimen müssten und solche Exzesse angeblich gar nicht mochten, von einer Sängerin, die die Hauptrolle einfach hingeschmissen habe. Ein Theaterskandal im katholischen Köln schien sich anzukündigen, und man erwartete geradezu, dass Regisseur Knabe  der nächste Anwärter auf den Ehrentitel des „Unterleibhaftigen“ sei, den Gerhard Stadelmaier gerade in der FAZ (22. 06.) Calixto  Bieito verliehen hat. Nichts von alle dem. Tilman Knabe, der unlängst in Essen das Rheingold  zum Trash zerdeppert  und in guter Bieito Manier sein Publikum mit Sex in allen Spielarten unterhalten hatte, ist doch nicht der Gott-sei-bei-uns, als den ihn die Vorberichte zu verkaufen suchten. Natürlich gibt es auch in seinem Kölner Samson Sex und Crime, Gewalt und Nackedeis zu besichtigen. Aber anders als bei der Essener Rheingold Komödie sind Gewalt und Sex nicht Selbstzweck, sondern ergeben  sich mit Notwendigkeit aus der Handlung und dem Ort des Geschehens. Ort der Handlung ist Gaza – so steht es einfach im Libretto. Und da braucht es keiner wohlfeilen tagespolitischen Aktualisierung  (diese ergibt sich von selber), um die alte Erzählung vom Krieg der Israeliten mit den Philistern und von der schönen Dalila, die den einfältigen Muskelprotz der Israeliten erledigt, als aktuelle Variante vom ewigen Hass und von permanenten Gewaltexzessen zwischen verfeindeten Völkern oder Stämmen oder Gruppen neu zu erzählen. In Köln geschieht dies mit den Mitteln des Films: mit Zitaten aus den Genres des Kriegsfilms und des französischen Gangsterfilms. Da vernichten im ersten Akt die Partisanen (die Israelis?) die scheinbar siegreichen regulären Truppen (der Briten? der Palästinenser?), da umgarnt die kleine Hure  Dalila oder die Gangsterbraut oder die Gespielin oder die Agentin des Geheimdienstchefs, des Präsidenten, des obersten Gangsters (alle diese Varianten suggeriert die Regie) den Boss der Feinde. Da feiern die Sieger (die oberen Zehntausend? die Amerikaner? die Nazis?) eine wilde Orgie auf den Leichenbergen der Besiegten (der Israelis?), und der geblendete und kastrierte Samson sprengt den ganzen Laden in die Luft. Nein, das tut er gerade nicht. In einem harten Schnitt bricht der Film ab und zeigt in der Schlusseinstellung Samson mit dem Sprengstoffgürtel. Die Explosion, das Inferno ereignet sich nicht. So wenig wie Blendung und Kastration des Samson gezeigt wurden. Die größten Gewaltexzesse  ereignen sich in der Phantasie (in der perversen Gewaltphantasie der Zuschauer?) der Zuschauer. In Köln inszeniert man das Hohe Lied der Gewalt und des Terrors, der Gewaltspirale, die nie enden wird, einer Gewalt, die sich auf der Bühne und in der von der medialen Gewalt infizierten Phantasie des Zuschauers austobt.  Ein schlüssiges Konzept, eine grandiose Regie, zwei überragende Sänger und Darsteller in den Hauptrollen (Ray M.Wade jr. und Ursula Hesse von den Steinen) eine Musik, die man ohne Bühnenspektakel einfach nur hören sollte. Sie ist in großen Teilen – vor allem im zweiten Takt – einfach nur ‚schön’.

Die Premiere war am 9. Mai 2009. Wir sahen die neunte Vorstellung.