Pulp Fiction nebst Femme fatale: Camille Saint- Saens, Samson et Dalila in der Oper Köln

20. Juni 2009

Das einstens so renommierte Kölner Haus, das in letzter Zeit jegliche Brillanz vermissen ließ und das man nach dem in weiten Teilen so erbärmlichen Tristan auf einem Tiefpunkt angelangt glaubte, ist gleichsam wie der Phönix aus der Asche noch einmal auferstanden und hat zum Schluss der Spielzeit mit zwei brillanten Inszenierungen, mit Samson und Dalila und dem Capriccio, den provinziellen Stadttheater Mief, der ihm schon anzuhaften schien, vergessen lassen. Von der Samson Inszenierung, für die Tilman Knabe verantwortlich zeichnet, hatte man im Vorfeld Schlimmes gelesen: von  armen Choristen, die Sex und Crime mimen müssten und solche Exzesse angeblich gar nicht mochten, von einer Sängerin, die die Hauptrolle einfach hingeschmissen habe. Ein Theaterskandal im katholischen Köln schien sich anzukündigen, und man erwartete geradezu, dass Regisseur Knabe  der nächste Anwärter auf den Ehrentitel des „Unterleibhaftigen“ sei, den Gerhard Stadelmaier gerade in der FAZ (22. 06.) Calixto  Bieito verliehen hat. Nichts von alle dem. Tilman Knabe, der unlängst in Essen das Rheingold  zum Trash zerdeppert  und in guter Bieito Manier sein Publikum mit Sex in allen Spielarten unterhalten hatte, ist doch nicht der Gott-sei-bei-uns, als den ihn die Vorberichte zu verkaufen suchten. Natürlich gibt es auch in seinem Kölner Samson Sex und Crime, Gewalt und Nackedeis zu besichtigen. Aber anders als bei der Essener Rheingold Komödie sind Gewalt und Sex nicht Selbstzweck, sondern ergeben  sich mit Notwendigkeit aus der Handlung und dem Ort des Geschehens. Ort der Handlung ist Gaza – so steht es einfach im Libretto. Und da braucht es keiner wohlfeilen tagespolitischen Aktualisierung  (diese ergibt sich von selber), um die alte Erzählung vom Krieg der Israeliten mit den Philistern und von der schönen Dalila, die den einfältigen Muskelprotz der Israeliten erledigt, als aktuelle Variante vom ewigen Hass und von permanenten Gewaltexzessen zwischen verfeindeten Völkern oder Stämmen oder Gruppen neu zu erzählen. In Köln geschieht dies mit den Mitteln des Films: mit Zitaten aus den Genres des Kriegsfilms und des französischen Gangsterfilms. Da vernichten im ersten Akt die Partisanen (die Israelis?) die scheinbar siegreichen regulären Truppen (der Briten? der Palästinenser?), da umgarnt die kleine Hure  Dalila oder die Gangsterbraut oder die Gespielin oder die Agentin des Geheimdienstchefs, des Präsidenten, des obersten Gangsters (alle diese Varianten suggeriert die Regie) den Boss der Feinde. Da feiern die Sieger (die oberen Zehntausend? die Amerikaner? die Nazis?) eine wilde Orgie auf den Leichenbergen der Besiegten (der Israelis?), und der geblendete und kastrierte Samson sprengt den ganzen Laden in die Luft. Nein, das tut er gerade nicht. In einem harten Schnitt bricht der Film ab und zeigt in der Schlusseinstellung Samson mit dem Sprengstoffgürtel. Die Explosion, das Inferno ereignet sich nicht. So wenig wie Blendung und Kastration des Samson gezeigt wurden. Die größten Gewaltexzesse  ereignen sich in der Phantasie (in der perversen Gewaltphantasie der Zuschauer?) der Zuschauer. In Köln inszeniert man das Hohe Lied der Gewalt und des Terrors, der Gewaltspirale, die nie enden wird, einer Gewalt, die sich auf der Bühne und in der von der medialen Gewalt infizierten Phantasie des Zuschauers austobt.  Ein schlüssiges Konzept, eine grandiose Regie, zwei überragende Sänger und Darsteller in den Hauptrollen (Ray M.Wade jr. und Ursula Hesse von den Steinen) eine Musik, die man ohne Bühnenspektakel einfach nur hören sollte. Sie ist in großen Teilen – vor allem im zweiten Takt – einfach nur ‚schön’.

Die Premiere war am 9. Mai 2009. Wir sahen die neunte Vorstellung.