Das (Pfingst)wunder von Salzburg

Salzburg, am Tage nach Pfingsten 2009

Nein, entgegen allen düsteren Erwartungen ertönte in diesem Jahr nicht der Grabgesang auf das Riccardo Muti Festival, das unter dem offiziellen Titel: „Salzburger Pfingstfestspiele. Neapel Metropole der Erinnerung“ firmiert und heuer in das dritte Jahr geht. Der Maestro, der im vergangenen Jahr mit einer szenisch und musikalisch verunglückten Buffa, mit Paisiellos  Il matrimonio inaspettato (in Salzburg bekannt unter dem Titel: Il desastro inaspettato), sein eigenes Festival  fast versenkt hätte und erst zum Finale mit einem Hasse Oratorium wieder Segel setzen konnte, hat in diesem Jahr aus einem lahmen Kahn ein stolzes Schiff gemacht. Oder anders gesagt – und jetzt ohne alle Schifffahrtsmetaphorik –  in diesem Jahr präsentierte man in Salzburg Hochkultur, an der es kaum etwas zu kritteln gibt. Kostbare Raritäten, die man wohl kaum anderen Ortes findet.  Der Maestro selber machte gleich den Anfang mit Niccolò Jommellis Demofoonte, einer opera seria vom Jahre 1770 auf ein Libretto von Metastasio. Und diese opera seria wurde musikalisch und szenisch auch als „seria“ zelebriert. In der Inszenierung von Cesare Lievi  werden Text und Musik „ernst“ genommen. Nichts von Parodie oder Ironie, keine modische  Zerstörung oder gar Erledigung des Textes, keine Regiemätzchen, die sich gegen die Musik richten. Regisseur Lievi setzt Metastasios Libretto ‚klassisch,’ oder wenn man so will, ‚konventionell’ in Szene, stellt, ganz wie  es die Schemata der opera seria verlangen, zwei Paare gegeneinander, lässt sie alle nur möglichen Liebesdiskurse durchspielen, zeigt den Herrscher, ganz wie es den Huldigungsschemata der höfischen opera seria entspricht, im Konflikt zwischen Pflicht und Neigung und löst alle Konflikte, wiederum wie es den Schemata der opera seria entspricht, im obligatorischen lieto fine. Ein museales Konzept, wenn man sich an Flimms und Kusejs opera seria Experimente in Salzburg erinnert? Mag sein. Aber mit der Musik Jommellis, den Riccardo Muti im Programmheft „einen der genialsten Komponisten der Neapolitanischen Schule“ nennt, steht die Inszenierung in perfekter Harmonie. Und wenn dann auch noch von einem jungen Ensemble ‚schön’ gesungen wird, dann hat man in Salzburg einen (der nicht sehr häufigen) großen Opernabende erlebt. Man fragt sich nur, warum die Rolle des primo uomo, die Rolle des Timante, nicht mit einem Countertenor besetzt wurde.

Den Countertenor, den man in der Oper  so sehr vermisste, hörte man am übernächsten Tag im Konzert: Philippe Jaroussky, der mit Arien von Nicola Porpora, Hasse und Vivaldi ein Farinelli Konzert gab. Wer sich von Gesangskunst in höchster Vollendung begeistern lässt, warum sagen wir nicht, wen Manierismus in subtilster Form fasziniert, wer den Zauber des Androgynen mag, für den war es eine Sternstunde.

Es gibt noch Hochkultur in Salzburg – manchmal. So werde ich wohl auch im nächsten Jahr zu Pfingsten nach Salzburg fahren und mich unter die vielen Reichen und die wenigen Schönen, unter die betuchten Pensionisten und die gelangweilten Banausen  mischen. Salzburg hat halt sein treues Publikum.