Im Habsburger Opernmuseum. Capriccio und Samson et Dalila an der Wiener Staatsoper

„Karajan hat gesagt – so wird kolportiert -, es gibt 40 großartige Abende (von den 240 im Jahr), und über den Rest breitet man den Mantel des Schweigens“. Mit Ariodante, Händels Oper, die wir am 8. März 2018 in der Staatsoper besuchten, war wohl unserer Kontingent an „großartigen Abenden“ für das erste Halbjahr schon erschöpft, und so breiten wir am besten „den Mantel des Schweigens“ über Capriccio aus und erinnern  uns lieber an die „großartigen Abende“ wie sie in Frankfurt, Paris und Brüssel mit Capriccio zu erleben waren.

Und wie war’s mit Samson et Dalila? Über diese Aufführung braucht man nicht „den Mantel des Schweigens“ zu breiten. Doch „großartig“ war dieser Abend auch nicht unbedingt. Anders ausgedrückt: zwei Starsänger haben den Abend gerettet. Mit  Roberto Alagna als Samson und Elina Garanca als Dalila waren die beiden Hauptrollen exzellent besetzt: die kühle Schöne mit der verführerisch gurrenden Stimme, der von Anfang an stimmlich so mächtig auftrumpfende ‚Held‘, den die femme fatale, ganz wie es dem Schema entspricht, zum Jammerlappen macht und der seine große Rache, die ihm das Libretto verspricht, nur in der Imagination erlebt.

Samson et Dalila ist ein hybrides Opus, eine Melange aus Oratorium, Operette (sic!) und Bacchanal – und entsprechend schwer hat es die Regie. So setzt Theatermacherin  Alexandra Liedtke auf eine vorsichtige Aktualisierung des biblischen Plots, ohne sich auf eine nahe liegende Politisierung des Geschehens einzulassen. So wird halt im ersten Akt mit den konventionellen Operngesten gejammert und geklagt, Jahwe um Hilfe angerufen und gemeuchelt. Nein, nicht nur. Im Finale tritt Dalila als Frühlingsgöttin auf, betört den Helden mit ihrem verführerischen Gesang („Printenps qui commence“) und reicht ihm eine Schale mit einem Getränk. Ist es Wein oder ist es Circes Zaubertrank? Letzteres wohl. Unser Held hat vom Weibergift genossen – und es wirkt.

Im zweiten Akt empfängt die kühle Blonde im weiten Bademantel einer keuschen Hausfrau den unbedarften Helden im großbürgerlichen Badezimmer. Eine Szene, die in ihrer Spießigkeit nicht der Operetten-Komik entbehrt. Nein, sie plantscht nicht mit ihm in der Badewanne. Sie bespritzt ihn nur vorsichtig mit Wasser. Als Sirene weiß  sie um die Macht ihrer erotischen Stimme: “Mon coeur s’ouvre à ta voix“  und schneidet dem Möchte-Gern-Liebhaber ein Löckchen ab. Wer dabei an Kastration denkt –  „Honi soit qui mal y pense“ -, der hat halt einen postfreudianischen Schaden. Vor so einem Übel wollte unsere  Theatermacherin, indem sie die komödiantischen Züge der Szene betont, ihr Publikum ganz bestimmt bewahren.

Im dritten Akt kommen dann doch noch die Voyeurs auf ihre Kosten. Zur französischen Oper gehört traditionell das Ballett. So darf denn die Tanzgruppe ein Bacchanal veranstalten und den armen Samson malträtieren (Pardon, das Double von Samson. Der richtige Samson konnte sich noch rechtzeitig vor den Souffleurkasten retten). Ehe ich es vergesse: einen Stuntman, der für uns Zuschauer den Palast der Feinde des Samson im Feuer untergehen lässt, den gibt es auch. Für Samson ereignet sich diese schöne Zirkuseinlage nur in der Imagination. Die Stärke, die ihm Jahwe – so wollte es der biblische Plot –  noch einmal verleiht, ist der Wunschtraum eines körperlich und seelisch vernichteten Mannes. Eine durchaus schlüssige Variante des Samson-Mythos. Eine Pointe indes, die es nicht mit dem Finale aufnehmen kann, für das sich Damiano Michieletto in  seiner Pariser Inszenierung entschieden hat. In Paris erschlägt Michieletto Saint-Saens mit der Wagner-Keule. Als Brünnhilde der Götterdämmerung zündet Dalila den Palast an und macht Samson glauben, Jahwe habe zu seinen Gunsten interveniert.

Samson et Dalila, wie es in Wien zu hören und zu sehen ist, ist das nun, wie einst Julius Korngold meinte (so zitiert ihn das Programmheft auf Seite 80)  Musik, „die auf der Zunge zergeht – feinste Himbeercreme in Des – und die doch auch die Linie der Empfindung überzeugend nachzeichnet“? Oder ist diese Musik vielleicht doch nur der überaus eingängige Soundtrack zu einer femme fatale Variante, die hier in Wien zur Story von der Badezimmersirene und dem unbedarften Macho reduziert wurde?

Wie dem auch sei. Schön und brillant gesungen wurde alle Male. Die Inszenierung ist nur konventionell. Wer Musiktheater in anspruchsvollen modernen Inszenierungen erleben will, der geht in Wien zum Theater an der Wien und nicht zur Staatsoper.

Wir besuchten Samson et Dalila am 18. Mai 2018, die „3. Aufführung in dieser Inszenierung“.