Keine Freiheit. Die Freiheit ist nur ein Oratorium-Traum – und die Musik ist ganz anders. Fidelio am Theater an der Wien

In Wien dirigiert Nikolaus Harnoncourt einen Fidelio, wie ich ihn noch nie gehört habe. Eine Deutung, die, vergleicht man sie mit dem machtvollen Klang eines großen Orchesters und dem hochdramatischen Gesang, die gemeinhin beim Fidelio aufgeboten werden, zunächst  irritiert und dann immer mehr fasziniert. Einen sanften, einen lyrischen Beethoven zelebriert Harnoncourts Orchester, sein  Concentus Musicus Wien, auf historischen Instrumenten, und die Rollen der Leonore und des Florestan sind mit Juliane Banse und Michael Schade eher mit lyrischen als mit dramatischen Stimmen besetzt.… → weiterlesen

Helmut Oehring: Sehnsuchtmeer oder vom Fliegenden Holländer. Eine Uraufführung an der Deutschen Oper am Rhein

Ein  seltsames Pastiche wird da in Düsseldorf geboten. Ein Pastiche aus Szenen aus dem Fliegenden Holländer und Zitaten aus den Wesendonck Liedern, ein Hommage an den Literaten und Komponisten Wagner, der mit Texten von Heinrich Heine und  Hans Christian Andersen garniert wird und zu dem Helmut Oehring Klänge von heute beisteuert. Ein Konglomerat aus Musik und Texten, das der Tonsetzer als „Antwortoper“ verstanden wissen will. Warum nicht. Warum soll man nicht eine Oper als Replik auf Wagner schreiben und diesen darin ausführlich, nein sogar sehr ausführlich zitieren. Couragiert und selbstbewusst ist das alle Male, wenngleich sich mir da  ein Klischee aus dem Mittelalter aufdrängt: das Bild von den Zwergen, die auf den Schultern von Riesen stehen und deswegen glauben mehr zu sehen als diese. Ob unser zeitgenössischer Komponist mehr gesehen hat als Wagner, uns neue musikalische Sphären erschlossen hat? Ich weiß es nicht. Die Musikhistoriker und die Feuilletonkritiker werden  es wissen.… → weiterlesen

Bürgerkrieg und Familienkrieg. Sex und Crime. Despoten und Opfer. Adelasia ed Aleramo an der Bayerischen Theaterakademie

In München gibt es eine  Johann Simon Mayr Renaissance und dies  in spektakulären Inszenierungen und auf hohem musikalischen Niveau. In der Staatsoper hatte vor knapp drei Jahren Hans Neuenfels  Medea in Corinto mit Starsängern in den Hauptrollen erfolgreich in Szene gesetzt, und jetzt hat Tilman Knabe im Prinzregententheater mit jungen Künstlern der Theaterakademie und der  Hochschule für Musik Adelasia einstudiert und damit einen nicht minder großen Erfolg verbucht. Beide Theatermacher, Neuenfels wie Knabe, sind für ihre Exzentrik bekannt oder, wenn man so will, berüchtigt. Beide lieben es, die alten Stücke neu zu erzählen, sie zu aktualisieren, sie extrem zu radikalisieren und nehmen es dabei wohl in Kauf  mit der, so schien es mir, eher sanften Musik  eines Mayr in Konflikt zu geraten.  Beide lieben es, ihr Publikum mit exzessiver Gewalt auf der Szene zu erschrecken und zu provozieren. Doch bei der Medea und nicht minder bei der Adelasia verfügen die jeweiligen Libretti in der Handlung, in den Situationen, in der Personenkonstellation über ein so starkes Gewaltpotential, dass sich dessen Umsetzung auf der Szene  geradezu von selber anbietet.… → weiterlesen

Friedhofsmärchen mit Bauerntheater-Einlagen nebst bunten Videospielen zum Wagner Sound. Götterdämmerung an der Staatsoper im Schillertheater

Wagner  „ist verhängnisvoll für das Weib“. „Ganz Opfer, ganz Hingebung: man hat nichts, was man ihm nicht geben würde“. „Das Weib verarmt sich zugunsten des Meisters, es wird rührend, es steht nackt vor ihm“. Eine Beschreibung der Wagnerianerin, die ich bisher immer für eine satirische und misogyne Bemerkung Nietzsches gehalten habe. Dass die Realität die Satire übertreffen kann, am vergangenen Sonntag nach der Premiere zur Berliner Götterdämmerung, dort hab ich‘s erlebt. Kaum war der letzte Akkord verklungen, brach eine Dame mittleren Alters in der Reihe hinter mir in kreischendes Geschrei aus, konnte sich überhaupt nicht mehr beruhigen, schrie nur immer lauter und hysterischer.  War das der berüchtigte Orgasmus in der Opernloge, den der „alte Minotaurus“ namens Wagner ausgelöst hatte? Aber vielleicht hat die Dame auch nur eine Opernaufführung mit einem Pop Konzert verwechselt. Nicht zuletzt wegen dieses für alle Umstehenden  schmerzhaften Brunstgeschreis sind wir noch beim Applaus aus dem Parkett geflüchtet. Grund zu übermäßigem Beifall gab auch nicht. Was da am langen Premierenabend im Schillertheater geboten wurde, war, um es freundlich zu sagen, eine recht konventionelle Götterdämmerung.… → weiterlesen

Düsternis und Verbrechen. Gewaltherrschaft und Hoffnungslosigkeit. Calixto Bieito inszeniert Boris Godunow, den „Ur-Boris“, an der Bayerischen Staatsoper

Ich bin nicht unbedingt ein Fan der russischen Musik des 19. Jahrhunderts, und ich muss gestehen, dass ich Mussorgskys  ‚grand opéra‘ – in welcher Fassung auch immer – noch nie gehört, geschweige denn auf der Bühne gesehen hatte. Die Erwartungen waren also groß, und sie wurden – um es gleich vorweg zu sagen – nicht enttäuscht. In Musik und Szene bietet die Bayerische Staatsoper ein grandioses Spektakel, einen Opernabend der Spitzenklasse – wenn man den Inszenierungsstil eines Calixto Bieito mag. Für mich gehört Bieito zu den ganz großen Theatermachern. Sein Fidelio in München, sein Fliegender Holländer in Stuttgart oder sein Freischütz an der Komischen Oper in Berlin waren für mich faszinierende Inszenierungen. Und ein gleiches gilt für seinen Münchner Boris. Sein Boris  Godunow ist kein blutiges Märchen aus ferner Zeit, aus einem fernen Russland, sondern eine höchst aktuelle Parabel von totaler Gewaltherrschaft,… → weiterlesen

La France profonde. La douce France. Le Comte Ory als Parodie der französischen Provinz der 60er Jahre am Theater an der Wien

Wieder einmal erlebt das Theater an der Wien einen rauschenden Erfolg. Wieder einmal feiert ein begeistertes Publikum alle Mitwirkenden. Und dies zu Recht. Beim Wiener Rossini Abend da stimmt einfach alles. Höchst brillante Solisten (allen voran Lawrence Brownlee in der Titelrolle und Pretty Yende als Comtesse Adèle), ein Ensemble und ein Chor, die allesamt in Spiel und Gesang Rossinis ‚Komödie für Musik‘ mit Bravour in Szene zu setzen wissen, ein Orchester  und ein Dirigent der Spitzenklasse (das Ensemble Matheus  unter der Leitung von Jean-Christophe Spinosi) und nicht zuletzt eine Regie (Moshe Leiser und Patrice Caurier), die  die der Musik und  nicht minder dem Libretto  schon inhärente parodistische Replik auf die tragédie lyrique noch verstärkt, ohne dabei jemals in die Klamotte abzustürzen. Mit anderen Worten: ein Opernabend, wie man ihn in dieser Perfektion nur selten erlebt.… → weiterlesen