Zirkulärer Traumdiskurs mit Schiele Bildzitaten. Elektra an der Opéra Bastille

Zur einst so wilden Musik, die uns heute zwar nicht mehr wild, doch immerhin spektakulär dünkt, hat die Bastille Oper  gleich drei Opernheroinen aus dem Wagner- und Strauss-Fach engagiert: die Theorin als Elektra, die Meier als Klytämnestra, die Merbeth als die kleine Schwester Chrysothemis. Und noch dazu in der Rolle des Orest den  stimmgewaltigen russischen Bariton, der auf dem Bayreuther Hügel nicht singen darf. Operngesang der Spitzenklasse. Und natürlich bot auch das „Orchestre de l‘Opéra National de Paris“  unter Maestro Jordan einen Strauss der Extraklasse. „Luxusmusik“ der Dekadenz in Reinkultur. Mit anderen Worten: in der Bastille war Oper vom Allerfeinsten zu hören. Startheater, wie man es auch von einem so renommierten Haus erwartet.

First Class ist auch die Inszenierung von Robert Carsen, die man vom Florentiner Maggio Musicale übernommen hat:… → weiterlesen

„O bell’alma innamorata…“ Lucia di Lammermoor an der Bastille Oper

Beim Belcanto, bei Bellini- und Donizetti- Aufführungen, so hatte ich es mir schon so viele Male notiert, da braucht man nur drei brillante Sänger – und alles andere ist egal. In Paris, bei der Lucia,  da brauchte man nur eine einzige Sängerin: Patrizia Ciofi als Lucia, und alles andere wird zur quantité négligeable. Zwar waren auch in Paris die Rollen des (ach so machohaften) Edgardo und des bösen Bruders exzellent besetzt. Doch die Lucia der Ciofi  hat sie beide zu Nebenfiguren gemacht, hat sie in Gesang und Spiel bei weitem übertroffen. Wie Patrizia Ciofi in Kostüm und Maske einer präraffaelitischen Schönheit die Lucia gestaltet, war so brillant, so faszinierend, wie ich es wohl noch nie in solcher Perfektion gehört und gesehen habe. Hier gilt wirklich das so abgegriffene Wort von der Primadonna Assoluta, die ihr Publikum verzaubert – und dies vom ersten bis zum letzten Auftritt: von der Kavatine im ersten Akt, über das Liebesduett mit Edgardo und das Schmerzensduett mit Enrico bis hin zur Wahnsinnsszene. Besser, so denkt man, geht es einfach nicht. Und dabei macht  es die Regie der Sängerin nicht gerade leicht. Sie muss auf Schaukeln steigen, auf Sportgeräte  und halsbrecherische Gerüste klettern, zur Wahnsinnsszene aus einem umgestürzten Zelt kriechen und sich in Strohhaufen wälzen und sonst noch allerlei Mätzchen machen.

Spielort ist der Turnsaal eines Militärgefängnisses, der sich je nach Bedarf in einen Massenschlafsaal oder auch in einen Festsaal verwandeln lässt.  Ein Saal, der auf halber Höhe von einer runden Tribüne begrenzt wird. Von der Höhe senken sich Stahlgerüste, auf denen Statisten und Solisten herum klettern dürfen.  Eine recht billige Symbolik: die Protagonisten sind halt in ihrer Leidenschaft, aus der es keinen Ausweg gibt, gefangen. Und die Schaukel? Auch hier sind die Referenzen mehr als deutlich: die Schaukel als Liebessymbol. Die französischen Bildungsbürger werden sich Fragonard erinnern, die deutschen an Effie Briest. Und die klassisch Gebildeten werden sich vielleicht an antike Amphoren mit Dionysos auf der Schaukel erinnern. Aber das ist alles gar nicht so wichtig. Dass die Inszenierung, die wir in Paris gesehen haben, schon seit knapp zwanzig Jahren läuft, dass wir die fünfzigste Aufführung in dieser Inszenierung gesehen haben, was tut’s schon. In der Bastille Oper  haben  wir am 6. Oktober 2013 Belcanto gehört, wie er ‚schöner‘ wohl nicht geboten werden kann.

 

 

 

Im Pariser Opernmuseum: Hippolyte et Aricie im Palais Garnier. L’Amour des Trois Oranges und Arabella in der Opéra Bastille

Es muss ja nicht immer gleich der Louvre oder das Musée d’Orsay oder das Musée Maillol sein. In Paris kann auch die Oper zum Museum werden, sprich: sind Inszenierungen zu sehen, die als Bildergalerien aus alten Zeiten angelegt und  als Zitate aus der Theatergeschichte und der Inszenierungsgeschichte konzipiert sind. Die Oper als Museum der Oper. Eine solche Konzeption kann wie bei Hippolyte et Aricie zu einer höchst artifiziellen Rekonstruktion einer Rameau Aufführung  im 18. Jahrhundert führen, kann wie bei der Liebe zu den drei Orangen zu einer ironischen Brechung und gezielten Übersteigerung des antirealistischen Märchen- und Metatheaters eines Prokofiev führen oder wie bei der Arabella in einem müden Abklatsch von Repertoire Inszenierungen deutscher Staats- und Stadttheater enden.… → weiterlesen

Leni Riefenstahl inszeniert Wagner. Das Rheingold an der Opéra Bastille

Leni Riefenstahl inszeniert Wagner – Das Rheingold an der Opéra Bastille

Seit mehr als fünfzig Jahren, so liest man im Programmheft, gab es in Paris keinen kompletten Ring mehr zu sehen und zu hören. In diesem Frühjahr haben Philippe Jordan und Günter Krämer damit begonnen, die französischen Wagnerianer von dieser Malaise zu erlösen. Im Sommer soll noch Die Walküre  gegeben werden, und den Rest, den gibt es dann im nächsten Jahr. Ob der berühmte Dirigent und der nicht minder renommierte Theatermann die Pariser Ring Misere beheben werden? Ich habe da meine Zweifel. Zwar lobt das deutsche Feuilleton, in diesem konkreten Fall, die Süddeutsche Zeitung, das Pariser Rheingold über alle Maßen und bejubelt geradezu den musikalischen Part. Doch mit Verlaub gesagt: was da aus dem Orchestergraben erklang, das war nicht unbedingt ein rauschhafter Wagner. Das muss es ja auch nicht sein. Doch schlapp und müde, so klang sie zumindest manchmal, sollte sich die Musik nun auch nicht dahin ziehen. Und einem großen Wagner Abend war es auch nicht gerade zuträglich, dass manch große Stimme in dem überdimensionierten Pariser Haus hin und wieder zum kaum hörbaren Stimmchen wurde. Als Dilettantin  maße ich mir kein Urteil an. Ich kann nur sagen, dass ich mich manchmal gelangweilt habe, eine Empfindung, die sich beim WOOiener Ring, den ich im vorigen Jahr gehört und gesehen habe, nicht einen Augenblick lang eingestellt hat. Aber vielleicht täuscht auch der Eindruck. In dem riesigen Haus – wir saßen in der 24. Reihe – ist der unmittelbare Kontakt zu Bühne und Orchester nicht leicht zu gewinnen. Und die Inszenierung? Ich gehöre eigentlich zu den Krämer Fans und bewundere, um nur zwei Beispiele zu nennen, seinen Kölner Rosenkavalier und seinen Salzburger Mitridate. Doch das Pasticcio aus Leni Riefenstahl, Fritz Lang, Eisenstein, Chaplin  und als Zutat Fragonards Schaukel im ersten Bild, zu dem das Rheingold in Paris wird, das ist nicht unbedingt ein großer Wurf. Natürlich ist es spektakulär, wenn die Götter und ihr Gefolge zu Leni Riefenstahl Sportlern werden, wenn das Schlussbild an Sportfeiern im Olympiastadion in unseliger Zeit erinnert, wenn zum Streit der Götter mit den Riesen deren Arbeiter rote Fahnen schwingende proletarische Massen, die schon mal die Revolution proben, mimen. Nicht minder spektakulär ist es, wenn Alberichs Nibelungen geknechtete  und ausgebeutete Massen sind, die einem Fritz Lang Film oder meinetwegen einer Germinal Verfilmung entlaufen sind, wenn Wotan auf der Erdkugel ruht und als ferne Referenz an Chaplins Großen Diktator von der Weltherrschaft träumt und ein Alberich im Unterschichten Outfit oder vielleicht auch in der Lenin Maske dem gleichen Machtrausch verfällt. Doch all die Verweise auf eine faschistische Ästhetik, auf proletarische Mythen, auf die Filmkunst der zwanziger und dreißiger Jahre, auf welchem Grundkonzept, so fragt man sich, basieren sie eigentlich. Sollen sie dem französischen Publikum eine doppelte lecture politique des Rings anbieten: Wagner der Revolutionär, ein gescheiterter Revolutionär wie sein machtlüsterner Alberich, wie seine proletarischen Riesen zum einen und Wagner und seine faschistische Rezeption zum anderen? War es das? Mit dieser etwas zu sehr obsoleten Konzeption, wenn es denn seine ist, bleibt Krämer eigentlich unter seinem Niveau. Die spektakulären Szenenfolgen, die ein so routinierter Theatermacher wie Krämer zu produzieren weiß, die trösten indes allemal über eine etwas dürftige Konzeption hinweg. Der Ring in Paris beginnt nicht gerade viel versprechend, wenngleich im ausverkauften Haus nicht an Beifall gespart wurde. Wir sahen am 13. März die dritte Vorstellung. Die Premiere war am 4. März 2010.