„O bell’alma innamorata…“ Lucia di Lammermoor an der Bastille Oper

Beim Belcanto, bei Bellini- und Donizetti- Aufführungen, so hatte ich es mir schon so viele Male notiert, da braucht man nur drei brillante Sänger – und alles andere ist egal. In Paris, bei der Lucia,  da brauchte man nur eine einzige Sängerin: Patrizia Ciofi als Lucia, und alles andere wird zur quantité négligeable. Zwar waren auch in Paris die Rollen des (ach so machohaften) Edgardo und des bösen Bruders exzellent besetzt. Doch die Lucia der Ciofi  hat sie beide zu Nebenfiguren gemacht, hat sie in Gesang und Spiel bei weitem übertroffen. Wie Patrizia Ciofi in Kostüm und Maske einer präraffaelitischen Schönheit die Lucia gestaltet, war so brillant, so faszinierend, wie ich es wohl noch nie in solcher Perfektion gehört und gesehen habe. Hier gilt wirklich das so abgegriffene Wort von der Primadonna Assoluta, die ihr Publikum verzaubert – und dies vom ersten bis zum letzten Auftritt: von der Kavatine im ersten Akt, über das Liebesduett mit Edgardo und das Schmerzensduett mit Enrico bis hin zur Wahnsinnsszene. Besser, so denkt man, geht es einfach nicht. Und dabei macht  es die Regie der Sängerin nicht gerade leicht. Sie muss auf Schaukeln steigen, auf Sportgeräte  und halsbrecherische Gerüste klettern, zur Wahnsinnsszene aus einem umgestürzten Zelt kriechen und sich in Strohhaufen wälzen und sonst noch allerlei Mätzchen machen.

Spielort ist der Turnsaal eines Militärgefängnisses, der sich je nach Bedarf in einen Massenschlafsaal oder auch in einen Festsaal verwandeln lässt.  Ein Saal, der auf halber Höhe von einer runden Tribüne begrenzt wird. Von der Höhe senken sich Stahlgerüste, auf denen Statisten und Solisten herum klettern dürfen.  Eine recht billige Symbolik: die Protagonisten sind halt in ihrer Leidenschaft, aus der es keinen Ausweg gibt, gefangen. Und die Schaukel? Auch hier sind die Referenzen mehr als deutlich: die Schaukel als Liebessymbol. Die französischen Bildungsbürger werden sich Fragonard erinnern, die deutschen an Effie Briest. Und die klassisch Gebildeten werden sich vielleicht an antike Amphoren mit Dionysos auf der Schaukel erinnern. Aber das ist alles gar nicht so wichtig. Dass die Inszenierung, die wir in Paris gesehen haben, schon seit knapp zwanzig Jahren läuft, dass wir die fünfzigste Aufführung in dieser Inszenierung gesehen haben, was tut’s schon. In der Bastille Oper  haben  wir am 6. Oktober 2013 Belcanto gehört, wie er ‚schöner‘ wohl nicht geboten werden kann.