Zirkulärer Traumdiskurs mit Schiele Bildzitaten. Elektra an der Opéra Bastille

Zur einst so wilden Musik, die uns heute zwar nicht mehr wild, doch immerhin spektakulär dünkt, hat die Bastille Oper  gleich drei Opernheroinen aus dem Wagner- und Strauss-Fach engagiert: die Theorin als Elektra, die Meier als Klytämnestra, die Merbeth als die kleine Schwester Chrysothemis. Und noch dazu in der Rolle des Orest den  stimmgewaltigen russischen Bariton, der auf dem Bayreuther Hügel nicht singen darf. Operngesang der Spitzenklasse. Und natürlich bot auch das „Orchestre de l‘Opéra National de Paris“  unter Maestro Jordan einen Strauss der Extraklasse. „Luxusmusik“ der Dekadenz in Reinkultur. Mit anderen Worten: in der Bastille war Oper vom Allerfeinsten zu hören. Startheater, wie man es auch von einem so renommierten Haus erwartet.

First Class ist auch die Inszenierung von Robert Carsen, die man vom Florentiner Maggio Musicale übernommen hat: ein abgeschlossener schwarzer Raum, der die gesamte Bühne umfasst, in schwarze Gewänder gehüllt Elektra, Chrysothemis und die Schar der Mägde. Weiß nur die Gesichter und die nackten Arme. Im düsteren Licht  verliert sich jegliche Individualität. Im scharfen Gegensatz zur allgemeinen Schwärze Klytämnestra. Ganz in weiß gekleidet, sich auf einem weißen Bett rekelnd, taucht  sie aus der Düsternis wie eine Geistererscheinung auf. Elektra  liegt zu Beginn in der Mitte  der Bühne auf dem Boden – umringt von den Mägden. In derselben Pose und am selben Ort liegt sie im Finale am Boden. Schläft sie? Wacht sie? Träumt sie? War alles Geschehen  nur ein Traum, ein endlos zirkulärer Traum, der sich immer wieder wiederholen wird – ohne Ausweg, ohne Rettung. War es nur im Traum, dass Elektra die Leiche des Agamemnon – eine Christusfigur oder auch eine grotesk verzerrte Schiele Figur – aus dem Grabe zieht, ihre Mutter mitsamt dem Bett in dieses Grab stürzen sieht, dass Orest in das Grab hinabsteigt? Sind die Todesschreie der Klytämnestra und des Aegisth nur Albträume der Elektra? Die Regie lässt dieses alles in der Schwebe. Mag der Zuschauer entscheiden, ob er das Geschehen auf der Bühne als ‚real‘ oder als dramatisierte Albtraumerzählung von Mord und Rache nimmt. Der Atridenmythos, eben in seiner Eigenschaft als Mythos, lässt viele Varianten zu. Und die Variante vom sich ewig wiederholenden Traumdiskurs der Elektra, wie sie Carsen vorschlägt und so brillant und überzeugend in Szene setzt, ist zweifellos eine in sich kohärente Variante.

Schade, dass diese Inszenierung nicht im Repertoire bleibt. Wir sahen am 1. Dezember die Dernière. Es war die achte Vorstellung in dieser Inszenierung.