Kein Zweifel. In München singt ein teures Ensemble internationaler Stars höchst brillant. Hier zelebriert das Bayerische Staatsorchester unter Maestro Petrenko Richard Strauss auf höchstem Niveau. Hier wird Hofmannsthals hybrider Text, dieses Gemenge aus fernöstlicher Symbolik, Psychodrama und Märchen, in eine in sich schlüssige, kohärente und überzeugende Inszenierung umgesetzt.
Doch muss man diese – nach den vielen Flops der letzten Jahre – zweifellos in jeder Weise gelungene Produktion so kritiklos und hymnisch bejubeln, wie das manche Feuilletonkritiker und – im Gefolge dieser – große Teile des Publikums tun? „Kommt der neue Gott gegangen, hingegeben war ich“ – nein, nicht stumm. Dann werd‘ ich trunken, redselig. Dann gebe ich meinen Verstand zusammen mit Hut und Stock an der Garderobe ab. Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man die geradezu peinlich unkritischen Hymnen auf Maestro Petrenko in der Presse liest. Wir haben vor ein paar Jahren Thielemanns Frau ohne Schatten in Salzburg und zuvor die Interpretation von Welser-Möst in Zürich gehört. In Salzburg und in Zürich hat man vielleicht nicht so stark auf das selige Pianissimo gesetzt, das man in München bis zum Exzess auskostet und das eine geradezu hynotisierende Wirkung auf die Zuhörer ausübt. Dort stellte man, wenn ich mich recht erinnere, eher die rauschhafte Klangfarbenpracht der Musik heraus. Wie dem auch sei. De gustibus non disputandum est. In München wird, dran gibt es überhaupt nichts zu bekritteln, eine grandiose Die Frau ohne Schatten zelebriert. Doch Zürich und Salzburg, mögen dort die Akzente auch etwas anders gesetzt worden sein, können da durchaus mithalten.
Doch sprechen wir lieber von der Inszenierung und überlassen wir den musikalischen Part den Musikern und den Musikkritikern. In München zeichnen Krzysztof Warlikowski und sein Team für die Szene verantwortlich. Keine Frage: der Name Warlikowski bürgt für großes spektakuläres Theater, für Deutungen, die die jeweiligen Libretti zwar nahe legen, die man indes selten in solcher Konsequenz und Kohärenz sieht. Ob er nun in München Eugen Onegin als grandiose Schwulenoper, in Madrid L’Incoronazione als Macht- und Liebespiele in faschistischer Zeit deutet, in Brüssel Cherubinis Medea zur Pop-Ikone Amy Winehouse macht, zu einer Ausgeflippten , die in eine großbürgerliche Familie eindringt und dorthin Tod und Verwüstung bringt, ob er in Berlin The Rake’s Progress in eine Intermedialitätsrevue unter Schwulen transformiert, bei Warlikowski erwartet das Publikum stets grandioses Theater. Und so auch jetzt wieder bei seiner Inszenierung der Frau ohne Schatten.
Schauplatz des Geschehens ist keine Märchenwelt aus Tausend und einer Nacht, sondern eine Psychoklinik, das Sanatorium des Doktor Freud nebst angeschlossenem Waisenhaus. Im Sanatorium hoffen das Paar aus der Oberschicht, der impotente Kaiser und die frigide Kaiserin, und das Paar aus der Unterschicht, die sexhungrige, frustrierte Färberin und ihr impotenter, sentimentaler Edelproletarier (nebenbei macht der noch den Hausmeister in der Klinik) auf Heilung. Und indem sie ihre Nöte und Ängste, ihre Komplexe und Träume singen und sagen und spielen, finden sie Heilung, ohne dass der Doktor explizit eingreifen müsste. Und sie dürfen, einmal geheilt, und dies ist die ironische und parodistische Pointe der Inszenierung, gleich das ganze Waisenhaus adoptieren und verlogene Familienidylle spielen. Oberschicht und Unterschicht trinken gemeinsam Bier und hegen die Kinderlein und träumen dazu von ihren Kinohelden: von Batman, von Gandhi, King Kong und Marylin. Hofmannsthals schwülstiges, spießiges Finale hat die Regie in der Parodie erledigt. Es fehlte nur noch, dass zu Baraks Schlussgesang „Nun will ich schaffen, wie keiner geschafft“ der Kontoauszug mit der Kindergeldzahlung eingeblendet worden wäre. Aber diesen billigen Gag hat sich die Regie zu Recht versagt.
Welch schöner Opernabend. Die Kritiker jubeln. Die Freunde der Musik laben sich an der „Luxusmusik“, die Kinofreunde genießen die Filmzitate, die Psychiater haben es schon immer gewusst, die älteren Damen sind ob der vielen Kinderlein und der hübschen Masken und Kleidchen, in die man diese gesteckt hat, gerührt, Sänger und Musiker genießen den Beifall eines begeisterten Publikums. Ja, wir sind alle wieder Fans der Bayerischen Staatsoper. Fürwahr ein schöner Opernabend.
Wir sahen die Aufführung am 7. Dezember 2013. Die Premiere war am 21. November 2013.