Irrsinn und Irrwitz im Sanatorium Rossini. Il Viaggio a Reims am Opernhaus Zürich

Rossinis dramma giocoso vom Jahre 1825 ist eigentlich nichts anderes als ein unendlicher Reigen  von herrlichen Melodien, ein Koloraturgezwitscher, ein Potpourri rührender Cavatinen, witziger Buffo-Duette, ein Auf und Ab von Arien, Duetten, Choreinlagen. Mit anderen Worten: eine grandiose musikalische Rossini-Show, in der noch dazu Maestro Rossini sich selber parodiert. Ein Spaß für die Sänger, ein Spaß für das Publikum.

Natürlich funktioniert das Ganze nur in einem Haus, das gleich eine ganze Schar von exzellenten Sängerinnen und Sängern aufbieten kann. Kein Zweifel, dass die Oper Zürich ein solch hochkarätiges Ensemble engagieren kann. Wen aus dem Ensemble soll man ausdrücklich nennen? Vielleicht Julie Fuchs als La Contessa di Folleville, die dank ihrer „geläufigen Gurgel“ so mühelos durch die Register eilt,  so bravourös die Koloraturen zu zwitschern weiß. Oder Rosa Feola als Corinna,  die so anrührend die Cavatinen singt oder Javier Camarena als Conte di Libenskof, ein brillanter Rossini-Tenor, der sich noch dazu selber zu parodieren weiß.

Bei dieser so grandiosen Rossini-Show ist die Inszenierung letztlich nur eine quantité négligeable. Doch in Zürich da will man es an gar nichts fehlen lassen und hat zu den Starsängern auch noch einen Starregisseur engagiert:… → weiterlesen

Ach, ja, la „gelida manina“ – dieses Mal als Theater auf dem Theater an der Oper Zürich

La Bohème: der übliche Zucker. Doch bestens angerührt, d.h. brillant gesungen, schön musiziert und ehrgeizig als Metatheater angelegt. Alle Figuren: genauer: alle Nebenfiguren – und dies wird überdeutlich beim Fest im zweiten Bild – sind nur Zitate, in Kostüm und Maske  Sterne und Sternchen der Pariser Szene, von der Puccini Zeit bis in unserer Gegenwart. Und wer sie nicht  wiedererkennen kann, für den listet das Programmheft die Namen und Daten auf.

Nur unsere vier Bühnen Bohèmes sind, ganz wie es das Libretto will, keine Berühmtheiten, keine Zitate, nur Klischee-Figuren. Sie sind –  und sie bleiben erfolglos. Immerhin frieren sie nicht in der Dachkammer, sondern in einem ausgeräumten Theater, für das der Maler Marcello gerade ein Bühnenbild fertig gestellt hat. … → weiterlesen

Ein todessüchtiger Romeo, eine traumatisierte Giulietta, ein italo-amerikanisches Mafia-Ambiente der 20er Jahre. Christof Loy inszeniert i Capuleti e i Montecchi an der Oper Zürich

Gleich zur Ouvertüre liegt das großbürgerliche Haus der Capuleti voller  blutiger Leichen. Gleich zur Ouvertüre springt das Mädchen Giulietta, das gerade im weißen Unschuldskleidchen die Erstkommunion gefeiert hat, dem Vater auf den Schoß. Gleich zur Ouvertüre nähert sich der noch jugendliche Vater im Badezimmer dem Mädchen von hinten. Gleich zur Ouvertüre hält Giulietta in einer Pietà Geste den gerade erschossenen Bruder in ihren Armen. Bilder, die die Drehbühne wie bei einem schnellen Filmschnitt dem Zuschauer aufdrängt. Bilder, die zugleich die Grundkonzeption der Regie sowie die Leithemen offenlegen.

Christof Loy erzählt keine Geschichte aus einem fernen spätmittelalterlichen Verona. Er erzählt keine Liebesgeschichte. Er erzählt die Geschichte einer traumatisierten jungen Frau und eines dem Todestrieb verfallenen jungen Mannes. Giulietta singt zwar von der romantischen Liebe, von der Passion, die auch die eigene Vernichtung nicht scheut. Doch diese Giulietta kommt aus dem vom eigenen Vater gesetzten Trauma nicht los, von der inzestuösen Bindung an die dominante Vaterfigur. Erst als der Vater sie verstößt, da kann und will sie mit dem Geliebten fliehen. Erst da gelten die klassischen und offensichtlich nur vorgetäuschten ‚Tugenden‘ der Ehre und der Familienzwänge nicht mehr. Erst da ist das inzestuöse Trauma überwunden.

Man mag diese freudianische Deutung der Giulietta Figur, die so ganz den Klischees widerspricht, für abwegig halten. Doch konsequent und stringent ist sie im Rahmen der Inszenierung alle Male. Romeo und Julia können nicht zusammenkommen, nicht weil die rivalisierenden Gangster eine Verbindung verhindern, sondern weil die Verbindung zwischen Vater und  Tochter keinen Platz für einen Dritten lässt und – dies ist das zweite Leitthema der Inszenierung – weil dieser Dritte ein Todessüchtiger ist, in den Tod verliebt ist und gleichsam eine homoerotische Verbindung mit der Todesfigur eingegangen ist. Dieser Tod ist kein Gespenst und kein Knochenmann. Er ist ein melancholischer junger Mann. Er ist stets präsent, ist Romeos (ganz wie sich dieser im Finale eingesteht) „ständiger Begleiter“. Dieser Begleiter reicht Romeo den fatalen Gifttrank, öffnet ihm das Fenster zu Giuliettas Zimmer, ist beim Angriff auf die Hochzeitsgesellschaft, beim Streit mit dem Rivalen wie auch bei der vergeblichen Friedensmission mit dabei. Romeo ist im Wortverstande ‚mitten im Leben vom Tod umfangen‘. Und ein gleiches gilt, wenn auch in geringerem Maße und mit einer überraschenden Schlusswendung, auch für Giulietta. Der stumme Todesjüngling reicht ihr den Betäubungstrank und trägt sie auf seinen Armen. Nur im Finale da entgeht sie anders als Romeo der Macht des Todes. Sie stirbt dem Geliebten nicht nach, sie stürzt davon und findet sich wieder in einem dämmerigen Zimmer voller blutiger Leichen, voller eben zu Tode gekommener Gangster. Endet sie wie Ophelia im Wahnsinn? Hat sich die eben ereignete Geschichte nur in ihrem Wahn ereignet, und wird sie sich in einer Endlosschleife immer wieder neu ereignen? Die Regie lässt die Frage offen.

Loys Inszenierung der I Capuleti e i Montecchi ist zweifellos ein Highlight, eine Inszenierung, die kein museales Kostümfest ist, die statt dessen den Mythos von Romeo und Julia aktualisiert, ohne ihn zu vergewaltigen, die mit der Herausstellung des latenten Inzestmotivs und des Todestriebs eine überraschende, faszinierende und zugleicht überzeugende Variante des Mythos vorschlägt.

Und die Musik? Für Bellini, so hat man oft gesagt, genügen zwei oder drei herausragende Stimmen, und ein Fest des Belcanto ist vorprogrammiert. In Zürich, wo Joyce DiDonato den Romeo und Olga Kulchynska die Giulietta singen, erlebt das Publikum ein grandioses Fest des Belcanto. Dort verbinden sich Belcanto und Inszenierung zu einer Aufführung, wie man sie sich kaum besser und schöner vorstellen kann. Zürich bietet wieder einmal Oper vom Allerfeinsten.

Wir sahen die Vorstellung am 12. Juli 2015. Die Premiere war am 21. Juni 2015.

 

 

Geschichten aus dem bürgerlichen Heldenleben nebst finalem Showdown. Antonio Vivaldi: La Verità in Cimento an der Oper Zürich

Dass man eine Rarität, ein Stück, das zum Karneval in Venedig im Jahre 1720 uraufgeführt wurde, szenisch und musikalisch zu einem Opernereignis  machen kann, dies hat  die Zürcher Oper gerade mit ihrer neuesten Vivaldi-Produktion vorgeführt. Im Graben die seit Jahren auf Barockmusik spezialisierten Musiker der Orchestra La Scintilla. Am Pult mit Ottavio Dantone ein breit ausgewiesener Interpret der ‚Alten Musik‘. Auf  der Bühne ein internationales Ensemble herausragender Sängerinnen und Sänger, die auch als Schauspieler zu brillieren wissen – und als solche von der Regie entsprechend gefordert werden. Von einer Regie, die das Grundthema vom fatalen Hang zur Wahrheit, das  sich mit zwei Dreiecksgeschichten und  einem Spiel um Macht und Reichtum verknüpft, unterhaltsam und zugleich spannend wie einen Thriller in Szene setzt.… → weiterlesen

Lohengrin im Trachtenlook in der bayerischen Schenke. Eine traurige Liebesgeschichte auf dem Dorfe. Und weiter nichts?

Die Zürcher Oper wartet bei ihrem neuen Lohengrin mit einer Starbesetzung auf: Klaus Florian Vogt in der Titelrolle, Petra Lang als Ortrud, Elza van den Heever als Elsa und Simone Young am Pult. Da kann nichts schief gehen. Und es geht auch nichts schief. Da wird musiziert und gesungen, wie man es sich besser, schöner, beeindruckender nicht mehr vorstellen, nicht mehr wünschen kann. Wagner ein Fest der Stimmen und des Orchesterklangs. Da wirft Wagner – frei nach Nietzsche – nicht die stärksten Stiere um. Da verzaubert er sein Publikum oder zumindest den größten Teil. Nach der zweiten Pause blieben seltsamer Weise  so manche Plätze leer. Müdigkeit, Desinteresse, Unbehagen und Enttäuschung angesichts einer gewöhnungsbedürftigen Inszenierung?

Andreas Homoki hat seinen Wiener Lohengrin auf die um vieles kleinere Bühne in Zürich transferiert und die Spielfläche noch dazu zu einem Holzkasten verkleinert, zu einer bayerischen Wirtshausschenke als Einheitsbühne. In der Schenke jubeln die in Wams und Lederhose gekleideten Mannsbilder und  im feschen Dirndl  die Weiber ihrem Landrat zu (bei Wagner einem gewissen König Heinrich), machen eine der Dorfschönheiten fertig (bei Wagner eine gewisse Elsa von Brabant), intonieren als dörflicher Gesangverein Chorgesänge, feiern Hochzeit, lassen die Maßkrüge scheppern und  – so hinterwäldlerisch ist man noch in Dörfern – glauben an den Gral, den Schwanenritter, an den lieben Gott, der, wenn der Landrat es nicht richten will, schon alles richten wird. Und nicht zuletzt – zumindest tut dies Elsa – glauben sie an die Liebe und das Glück. In der Schenke hängt ein  Bild aus dem Poesiealbum: zwei rote Herzen, die sich auf grünem Grund zueinander neigen. In Großformat erscheint das Bild auch auf dem Vorhang – mit dem fragmentarischen Zitat „Es gibt ein Glück“. Lohengrin ein Märchen für Kinder im bayerischen Wirtshaus?

Der Lohengrin Mythos, so weiß der kundige Opernbesucher, bietet zahllose Varianten an, lädt zur Aktualisierung und zur Degradierung ein, verführt manchen unserer Theatermacher dazu, ihn endgültig erledigen zu wollen. Er kann wie in der Bayerischen Staatsoper im schwäbischen Häuslebauer Milieu spielen, in dem Elsa von einem Baulöwen schikaniert wird und ihr vom Zimmermann Lohengrin das Häusle gebaut und im Finale angezündet wird. Er kann wie in Düsseldorf unter Spekulanten und Bankern spielen. Er kann wie in der Deutschen Oper in Berlin im Totenreich spielen, in dem der vermeintliche Friedhofsengel Lohengrin sich als gerissener Politiker erweist. Unser Held kann wie in Frankfurt ein halbdebiler Tollpatsch sein, der den Kinohelden mimt und Elsa für eine Vorstellung ins Reich des Kinos entführt. Er kann wie in der Scala ein Schwächling und Märchenerzähler auf dem preußischen Kasernenhof sein, den die Soldaten im Finale tot schlagen. Lohengrin und mit ihm Wagner halten, wenn nicht gleich alles, so doch vieles aus. Vornehm gesagt:  der Mythos ist polyvalent, lädt zu den unterschiedlichsten Deutungen ein und kann sich immer wieder neu ereignen – je nach Intention und Horizont, je nach Formation und Deformation des Theatermachers –  zur Freude, zum Ärger, zum Entsetzen des Publikums. Ja, warum soll er sich nicht wie jetzt in Zürich auch  einmal unter  trinkfesten, Gott und dem Landrat verbundenen bayerischen Bauern ereignen: in der Schenke, im Volkstheater Stil.

Dieser Volkstheater Stil oder wenn man so will: dieses leicht angedeutete Oktoberfest Ambiente irritiert zunächst. Doch im fortschreitenden Gang der Handlung wird  dieses Ambiente, wenngleich die Grundkonzeption der bayerischen Schenke als Ort des Geschehens stringent durchgezogen wird, zur quantité négligeable. Und das gleiche gilt für alles Religiöse und Sakrale und ebenso für alles Politische und Militärische. Die Regie schiebt all diese Elemente, die doch konventionelle Teilsegmente des Lohengrin Mythos sind,  so weit wie nur eben möglich beiseite und stellt das Thema der Liebe ins Zentrum des Geschehens, setzt eine Liebesgeschichte in Szene: die übel ausgehende traurige Liebesgeschichte eines Paares, das nicht zusammen finden kann, weil die jeweiligen Traumvorstellungen, die jeder von beiden in den anderen hineinprojiziert, einander ausschließen. „Hoch über alles Zweifels Macht …soll meine Liebe steh’n!“. Ein pathetischer Wunsch der Elsa, ein Versprechen, das die Sprache des Körpers legitimieren soll: „Sie sinkt an seine Brust“. Wie die Geschichte ausgeht, das wissen wir kundigen Opernbesucher schon seit langem.

Und Lohengrin? Er träumt – so will es die Regie wissen.  Erst als Elsa ihn, der im Traum, im Schlafe, nur mit einem Nachthemd bekleidet, sich plötzlich unter den Bauern und ihren Weibern  wieder findet, erst als Elsa ihn wach küsst, da wird er zum Manne. Mit anderen Worten: Elsa schafft sich, besser: erschafft sich ihren Traummann – und erledigt ihn wieder. Als sie des „Zweifels Macht“ über die Liebe stellt, da sinkt der Traummann, der doch über die Macht der Liebe zum realen Mann werden wollte, ermattet in sich zusammen. Da  singt er die Gralserzählung nicht konventionell als überirdischer Ritter, sondern als gebrochener Mann, der sich kaum noch erheben kann. Eine paradigmatische Szene – so signalisiert es die Regie –  für das Scheitern aller Träume, für die allgemeine Hoffnungslosigkeit.

Man kann eine solch letztlich nihilistische Regiekonzeption ablehnen. Man kann sich über die Pantomime zu Beginn fürwahr ärgern, eine Pantomime, die die Vorgeschichte erzählt und die damit  offensichtlich gezielt von der Gralsmusik der Ouvertüre ablenken und mit voller Absicht jeglichen Anflug des Überirdischen, des Heiligen verbannen will. Man kann die Transponierung des Geschehens in ein bayerisches Dorf und in ein Oktoberfest Ambiente für abwegig halten. Doch die Konsequenz und Stringenz, mit der die Grundkonzeption durchgezogen wird, verdient alle Male Anerkennung. Ja, und wem das alles gegen den Strich geht, dem bleibt immer noch der so grandios zubereitete Wagner Soundtrack.

Ein großer Opernabend in Zürich.

Wir sahen am 30. September 2014 die dritte Aufführung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 21. September 2014.

 

 

 

Die Legendenparodie von Sünde und Verklärung eines Rockmusikers. Ein spektakulärer Tannhäuser in Zürich

Die Legendenparodie von Sünde und Verklärung eines Rockmusikers. Ein spektakulärer  Tannhäuser in Zürich

Auch Stars aus der Opernwelt von Gestern verstehen (meist) noch immer ihr Handwerk. Und dies gilt erst recht, wenn der Regiestar Harry Kupfer heißt: ein Theatermacher, der nicht nur sein Handwerk souverän beherrscht, sondern noch immer faszinierende, spannende und noch dazu unterhaltsame Inszenierungen zu erarbeiten weiß und das Publikum, wenn überhaupt, dann allenfalls mit ironischem Blinzeln an „das Theater als moralische Anstalt“ erinnert. Vor ein paar Monaten haben wir seine ungewöhnliche, mit Klischees des Metatheater spielende Ariadne auf Naxos im Theater an der Wien gesehen. Jetzt in Zürich hat uns seine ironisch gebrochene, parodistische und doch manchmal an das Tragische rührende Version des Tannhäuser beeindruckt.

In Zürich spielt man eine Mischform aus Pariser und Dresdner Fassung. Das bedeutet, dass der erste Akt stark erweitert ist: eine schöne Gelegenheit für die Regie sich im Venusberg auszutoben und ein bisschen den ideologischen Zeigefinger zu heben und auf die ach so korrupte und hypokrite ‚Gesellschaft’ zu zeigen – und diese zu verlachen. Keine Sorge. In Zürich ist man Exzessen abhold. Im Etablissement von Mama Venus da vergnügen sich die Bürger in ihren Abendanzügen, die Militärs in ihren Ausgehuniformen, die hohen Kleriker in ihren Soutanen, die Gays und die Girls im Strandlook bei dämmrigen Rotlicht so behäbig und so bemüht, so als rausche Wagners glitzernde und erotisierende Venusmusik so einfach an ihnen vorbei. Und wenn dann der abgetakelte Rockstar Tannhäuser zu seiner elektrischen Gitarre greift und mit Mama Venus einen Ehestreit beginnt und unbedingt zu einer gewissen Maria will („Mein Heil liegt in Maria“), dann sind  wir schon recht nahe bei Nestroy und  erst recht dann, wenn unser armer Rocker nicht in „einem schönen Tal“, sondern in der Entzugsklinik aufwacht, nicht „ein junger Hirt“, sondern die Krankenschwester ihm etwas vorsingt und die Kapuzenmänner von der Semana Santa durchs Fenster lugen. Ein Glück, dass die Klinik gleich neben einem Golfplatz liegt und die Mitglieder von Tannhäusers ehemaliger Band gerade vom Platz zurückkommen. So kann man gleich zusammen singen, ein paar Bier trinken und von einer gewissen Elisabeth träumen. Ein erster Akt voller Witz und Ironie und Parodie. Bei dieser Konzeption nimmt es nicht wunder, dass die  Damen und Herren der Wartburggesellschaft, die sich zum Konzert in einer Art Fernsehstudio einfinden, allesamt Karikaturen sind: die hypokrite Gesellschaft, die sich bei Mama Venus des Nachts vergnügt, hat sich fein gemacht und will jetzt von ihren angebeteten Rockstars ein paar Liedchen über „der Liebe Wesen“ hören.  Schon viele Male habe ich den Wettstreit der Sänger, ihre Differenzen, ihre Aggressionen aufeinander, die Versuche zur Beschwichtigung, die erst zustimmenden, dann immer ängstlicheren Reaktionen der Elisabeth, die Feindseligkeit der in ihrer Heuchelei ertappten Zuhörer, den Rausch, in den sich die Tannhäuser Figur immer mehr steigert, die Katastrophe, die ihn erteilt – schon viele Male habe ich dies alles auf der Bühne gesehen. Doch eine so feinsinnige, so kluge Personenregie, die sich immer mehr bis zum Desaster hin steigernde Spannung, mit der all dies in Szene gesetzt wird, dies habe ich in dieser Perfektion sehr selten gesehen. Kupfer ist halt noch immer ein grandioser Theatermacher. Im dritten Akt tritt – zunächst  –  die so sehr auf das Parodistische zielende Grundstimmung zu Gunsten einer das Tragische streifenden Gestimmtheit zurück. Eine Gestimmtheit, die die Regie an der Figur der Elisabeth festmacht. Die Zürcher Elisabeth, die bei ihrem ersten Auftritt etwas komisch Altjüngferliches ausstrahlte, bevor sie sich im Finale des zweiten Akts zur Rettungs- und Erlösungshyäne wandelt, diese Elisabeth hat im dritten Akt entgegen dem Wagner Text alles Vertrauen in das Göttliche verloren. In einer tristen Bahnhofshalle wartet Elisabeth vergeblich auf die Rückkehr des Geliebten. Als Ausweg  – und dies wird nicht plakativ gezeigt, sondern dem Zuschauer gleichsam suggeriert, bleibt ihr nur der Selbstmord auf den Schienen. Erlösung – ja das wissen wir schon von so vielen Wagner Inszenierungen – gibt es nicht. Und wenn es sie gibt, dann gibt es sie nur als Parodie. „Heinrich, du bist erlöst“ – Irrtum. Du bist nur mausetot. Und den toten Mann, den scheinbar erlösten Sünder requirieren  die Kleriker gleich für sich und machen ihn zum Heiligen –  beinahe wie in der ersten Novelle des Decamerone. So schließt sich der Kreis. Der Züricher Tannhäuser beginnt und endet in der Parodie – als Parodie der „bösen Lust“ zu Beginn, als Parodie des Heiligen im Finale. – Unnötig zu sagen, dass in Zürich die Rollen der Elisabeth mit Nina Stemme, die des Tannhäuser mit Robert Dean Smith und die des Wolfram mit Michael Volle mehr als brillant besetzt waren.  Der Zürcher Tannhäuser ist eine Reise wert. Wir sahen die Vorstellung am 20. Februar 2011. Die Premiere war am 30. Januar 2011.