Die Weise von Liebe und Tod der ‚Femme fragile‘ – im Vorraum der Toiletten. La Traviata an der Oper Köln

Die Weise von Liebe und Tod der ‚Femme fragile‘ – im Vorraum der Toiletten. La Traviata an der Oper Köln

Ich bin nicht unbedingt ein Verdi Fan. Dieser Hang zur Gefühlsseligkeit, die so leicht dem Kitsch nahe kommt, dieses raffinierte Spiel mit den Emotionen der Zuhörer, mit einem Wort: diese so viele Male bis hin zum Überdruss gehörte Musik, deren Wirkung man sich nur schwer entziehen kann, all dies ist nicht so ganz mein Fall. Und trotz so mancher Vorurteile hat mich die Kölner La Traviata berührt, um nicht zu sagen gerührt.

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Tanz auf dem Vulkan und – sozialistischer Realismus: Krieg und Frieden an der Oper Köln

Tanz auf dem Vulkan und – sozialistischer Realismus: Krieg und Frieden an der Oper Köln
Die Kölner Oper, die, so schien es mir nach so manch desaströser Aufführung, die ich dort in den letzten Jahren gesehen habe, klaglos und still verschieden war, ist zu Beginn der neuen Saison gleichsam wie der Phönix aus der Asche wiederauferstanden. Mit Prokofjews Krieg und Frieden haben die Kölner ein grandioses Opernspektakel auf die Bühne gebracht, das zu Recht … → weiterlesen

Was aber bleibet, stiftet die Primadonna. Ansonsten: Regiesalat genießbar bis ungenießbar. Rinaldo an der Oper Köln

Was aber bleibet, stiftet die Primadonna. Ansonsten: Regiesalat genießbar bis ungenießbar. Rinaldo an der Oper Köln

Händels einstens so erfolgreiche frühe Londoner Oper habe ich in München in David Aldens herausragender Inszenierung, damals als die Bayrische Staatsoper unter der Intendanz von Peter Jonas  Händel wiederentdeckte, mehrere Male gesehen. Eine Inszenierung, die mit Film- und Revueklischees spielte, den barocken Opernstil geistvoll zu parodieren wusste und die trotz aller Spielereien auch Ernsthaftigkeit wie die Verstörungen, die die ‚christlichen’ Protagonisten in ihrer Begegnung mit der Zauberwelt der Armida erleiden, in Szene zu setzen verstand. Es wäre unfair, die Maßstäbe, die Alden und mit ihm Maestro Ivor Bolton  in München gesetzt haben, einfach auf die Kölner Oper zu übertragen. Doch ganz so provinziell, ganz so langweilig und so emsig bemüht, wie das in Köln geschieht, sollte man Händel vielleicht nicht aufführen. Zwar steht mit Alessandro De Marchi  ein berühmter Spezialist für Musik des 18. Jahrhunderts, den ich schon in Innsbruck und Wien schätzen gelernt habe, am Pult. Trotz alle dem. Ich weiß nicht. Mir schien, dass an diesem Abend im Kölner Opernhaus weder ein besonders melancholischer noch ein besonders spielerischer oder gar witziger Händel erklangen. „Sinnlich“, wie der Maestro im Programmheft verkündete, war sein Händel bestimmt nicht – eher einschläfernd. Zwiespältig war auch, was sich auf der Szene so tat. Zwar legt sich Simone Kermes in der Rolle der Armida wie gewohnt als Sängerin und Darstellerin mächtig ins Zeug. Wie immer beeindruckt sie mit ihren bravourösen Koloraturen und ihrer umwerfenden Bühnenpräsens und  ließ den schmächtigen Rinaldo trotz seines Nato Kampfanzuges recht blass und unscheinbar aussehen. Auch der kraftvolle arabische Liebhaber Argante machte neben der so dominanten Armida eine eher traurige Figur. Die Auftritte der Armida sind in der ansonsten so faden Aufführung die einsamen Höhepunkte. Der Eindruck der Fadheit und der Langeweile ist  nicht zuletzt der Regie anzulasten, die nie so recht wusste, was sie denn eigentlich wollte. Casablanca Zitate zu Beginn, Kölner Karneval alla Cäcilia Wolkenburg zwischendurch, orientalisches Märchen mit Metatheatereinlagen, Military Satire, Fantasy Klischees und zu guter Letzt als Kontrastprogramm zum gattungsspezifischen lieto fine aufdringlich drastische Verweise auf CIA Praktiken im Irak. Nichts von den psychischen Verstörungen, die Almirena und Rinaldo in ihrer Begegnung mit Armida erfahren. Kaum etwas von der Ambivalenz der Armida Figur. Dafür als Continuo die abgestandene Soße vom ‚Clash der Kulturen’ und vom ‚edlen Orientalen’ und vom ‚bösen Westler’. Das muss doch nicht sein. Wie ‚sofisticated’ und zugleich unterhaltsam Händel zu inszenieren ist, das weiß man in München, in Zürich, am Theater an der Wien und in Karlsruhe. Köln spielt wohl nicht mehr in der ersten Opernliga. Schade drum. Wir sahen die Vorstellung am 11. Mai. Die Premiere war am 30. April 2011.

Ma in Turchia son già mille tre. Kölns Don Giovanni vergnügt sich in Antalya

Die banalisierenden Degradationen des Don Juan Mythos, wie sie immer mehr in Mode kommen (unrühmliche Beispiele aus letzter Zeit sind der Trash Don Giovanni in der Bayerischen Staatsoper oder auch der Waldschrat Don Giovanni der Salzburger Festspiele), diese Herabziehung des Mythos mag ich  eigentlich nicht sonderlich. Aber wenn der Mythos so spritzig (!) und so witzig, so ironisch und so parodistisch neu erzählt  und in unsere Gegenwart versetzt wird, wie das in der Kölner Inszenierung geschieht, ja dann verschmerzen wir gern alle metaphysischen Bezugspunkte des Mythos. Regisseur Laufenberg und sein Team nehmen offensichtlich den Untertitel des Libretto „dramma giocoso“ im Wortverstande und setzen den Don Giovanni  als heiteres Spiel, konkret: als soap opera in einem Strandhotel in der Türkei in Szene. Der Protagonist, ein blonder Kölner Jungmann aus der Oberschicht, und sein Gefährte, ein heruntergekommener Typ aus der Unterschicht, haben sich eine Suite gemietet und beobachten über eine Videoanlage das Geschehen im Hotel. So ist es ihnen ein Leichtes, die rothaarige, sexuell offenbar ausgehungerte Anna, die mit Papa und Möchtegernliebhaber im selben Hotel wohl Urlaub macht, auszuspähen, ein schnelles Opfer für Don Giovanni, der sich im Saunamantel bei ihr einschleicht – und Leporello beobachtet alles über die Videoanlage. Bei dieser Konzeption, in  diesem Milieu überrascht es nicht, dass Annas Papa nicht mit dem Degen, sondern mit dem Golfschläger auf Don Giovanni losgeht, von diesem mit dem Küchenmesser erstochen wird, die Leiche schnell im Bad entsorgt wird, dass Elvira eine schnippische Blonde aus dem Norden ist, die ihrem vermeintlichen Gatten nachgereist ist und gleich von seinem Bett Besitz ergreifen will, dass Leporello zur Registerarie die Bildchen der Geliebten und Verlassenen  auf die Videowand projiziert, dass Don Ottavio den Charme eines Gemüsehändlers mit intellektuellen Ambitionen hat, dass Donna Anna zur „Dalla sua pace…“Arie sich mit Don Giovanni  verlustiert, (womit die Regie gleichsam so nebenbei das alte Problem : Hat sie was mit ihm oder nicht?) erledigt, dass Masetto ein türkischer Macho aus der Unterschicht ist, dass Zerlina mit türkischem Kopftuch daher kommt und für ihre vermeintliche Untreue erst einmal kräftig Prügel bekommt. So reiht sich denn Klischee an Klischee. Aber ganz anders als in der Kölner Carmen wirkt diese Klischee Montage nie langweilig oder altbacken. Die Gemeinplätze werden nicht nur mit Tempo und Schlag auf Schlag serviert, sie appellieren noch dazu  an die alltäglichen Erfahrungen der Fernsehkonsumenten und der Türkeiurlauber: ja, so treiben die’s da droben und  die da drunten, und am Strand von Antalya, da waren die Feste immer ganz wild, genau so wie jetzt auf der Bühne, und ohne Video und Handy geht gar nichts. Da singt doch tatsächlich der Don Giovanni sein Ständchen zu Beginn des zweiten Akts ins Handy, und eine Computerstimme antwortet ihm: “kein Anschluss unter dieser Nummer“. Ja, warum soll man Don Giovanni nicht auch mal als Musical oder als Operette oder meinetwegen als Kölner Karneval in einer Klischee Türkei aufziehen. Amüsant ist das alle Male. Ein Vorschlag an die Intendanz: lassen Sie ihren Don Giovanni zum nächsten Karneval doch von der Cäcilia Wolkenburg nachspielen. Dann hätten wir im Publikum noch mehr Spaß, als wir jetzt schon hatten. Doch im Ernst: in Köln ist ein herausragender, brillant besetzter Don Giovanni zu sehen und zu hören. Und das Orchester? Es ist unsichtbar und parodiert damit Bayreuth noch dazu. Bei der Wiederaufnahme in der nächsten Saison gehe ich noch einmal hin. Wir sahen die Aufführung am  8. Juli. Die Premiere war  am 27. Juni 2010.

Carmencita und Joselito. Zur Wiederaufnahme der Carmen in der Kölner Oper

Carmencita und Joselito. Zur Wiederaufnahme der  Carmen in der Kölner Oper

Wo ist denn eigentlich die Erotik, wo findet sich denn eigentlich die Passion in der Carmen? In der Habañera? In der Blumenarie? Im Schlussgejammer des armen José? Im Toreromarsch? Oder vielleicht im  Hüftschwung der Sängerin? Vielleicht auch in den langen Beinen der Sängerin? Das ist doch alles nur Kleinbürger- und Spießererotik, was sich da auf der Bühne tut und was da aus dem Orchestergraben schallt. Ja, ich weiß, der alte Nietzsche, dieser hinterhältige Ironiker, stellt in seiner Abrechnung mit Wagner Bizet weit über Wagner. Bizets Musik „scheint mir vollkommen. Sie kommt leicht, biegsam, mit Höflichkeit daher“.  Mit  Verlaub: ich halte es da allemal lieber mit dem Wagnerschen Orchesterklang. Mag der Philosoph diesen auch einen „Schirokko“ nennen, der ihn zum Schwitzen bringt. Wo ist die Erotik in der Carmen? Bei der Kölner Carmen Aufführung fand sich die Erotik im Zuschauerraum. Das Haus war voller Schulklassen. Lolitas im Massenaufgebot, denen wohlmeinende Musiklehrerinnen wohl eingeredet hatten, Carmen sei Amore pur. „Und wie fandst Du das?“ – „Langweilig, langweilig“ – so die Vierzehnjährige neben mir. Und Lolita hat Recht. Die Inszenierung, eine Wiederaufnahme einer Produktion eines berühmten Theatermachers, die vor mehr als zehn Jahren Premiere hatte, war Langeweile pur. Hundert Klischees – hier aus dem Spanien Tourismusbuch der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts – werden durch ihre bloße Aneinanderreihung  noch nicht zum Ereignis, auch wenn uns dies ein gewisser Professor und Literat aus Bologna weismachen will. Hundert Klischees produzieren nichts anderes als Langeweile. Ja, natürlich ist der Traumdiskurs nach der Pause ein hübscher Einfall, ist die Militarysatire im ersten Akt unterhaltsam, macht das geschlitzte rote Kleid, das die Carmencita bei ihrem ersten Auftritt trägt, etwas her. Aber wenn dann die Chorsängerinnen, die durchweg dem Teenyalter entwachsen sind, im kurzen schwarzen Unterkleidchen auf verrucht machen, ja dann kommt einem nur noch das Gähnen. In Ihrer Kölner Carmen Inszenierung, sehr geehrter Herr Loy, da haben Sie zweifellos das Altenheim begeistert („Auf Ibiza da war der Kellner auch immer eifersüchtig auf die Carmen von der Rezeption. Aber mit dem Messer ist der nicht auf die losgegangen? Oder?“) – ein junges Publikum haben Sie an diesem Abend nicht für die Oper gewonnen. Wie schade. Sie können es doch so viel besser. In Frankfurt, in Ihrer Così fan tutte, da hat sich niemand gelangweilt. Da sind die Lolitas ‚betroffen’ nach Hause gegangen – und so soll es auch sein. Wo ist die Erotik in der Carmen?  Fehlanzeige. Erotik? Schlag nach bei Mozart und bei Wagner. Wir sahen die Aufführung am 9. Juli 2010, die laut Besetzungszettel „43. Vorstellung (Premiere am 25. Februar 2000)“.

Im Rausch der Märchen – und des Metatheaters. Eine Wiederaufnahme von Krämers Hoffmanns Erzählungen in der Oper Köln

Eine Krämer Inszenierung, mag sie auch vor mehr als zehn Jahren Premiere gehabt haben, mag man sie auch vor mehr als zehn Jahren schon ein paar Mal gesehen haben, lohnt immer das Wiedersehen, und begeistert ihr Publikum alle Male. Natürlich erleichtert die so populäre und manchmal auch etwas seichte und kitschige Offenbach Musik auch dem eher Unbedarften den Zugang. Und wenn wie hier in Köln die Regie das große Spektakel noch dazu liefert und dieses zugleich ironisiert, dann haben die Kenner und die Anfänger ihr Vergnügen, und nichts kann schief gehen. Ort der Handlung ist die Straßenbahnhaltestelle vor dem Opernhaus. Zeit des Geschehens die Dauer einer Don Giovanni Aufführung. Während die Besucher ins Opernhaus strömen, um dort Don Giovanni mit der berühmten Stella in der Rolle der Donna Anna zu hören, liegt ein betrunkener Hoffmann auf den Straßenbahnschienen. Und die Muse mit Krönchen und blonder Perücke fährt als Märchenfee vom Parnass auf das Wartehäuschen an der Haltestelle herab, um den Poeten für sich und die Literatur zu retten. Ob es ihr gelingt? Im Finale, nachdem Hoffman seinen Freunden, den Pennern, seine drei unglücklichen Liebesgeschichten halluziniert hat, sich an ihnen noch einmal berauscht hat, liegt er wieder im Rausch auf den Straßenbahnschienen. Die Besucher verlassen das Theater, feiern die Sängerin, fahren mit der Straßenbahn davon, und die Muse zieht den Poeten von den Schienen. Auf dass er sich aufs neue berausche? Und dieses Mal an der Literatur? Alles ist Theater, alles ist Oper. Wir spielen in der Oper Don Giovanni, und vor der Oper spielen wir die Opernmärchen von Liebe, Lust und Leid, die sich in der Imagination eines trunkenen Poeten ereignen. Und wir setzten diese Imaginationen mit unseren Theatermaschinen in Szene: da fallen die Schneeflocken (so ähnlich wie in La Bohème),da tritt der Böse mit  Feuerschweif und Klumpfuß auf (so ähnlich wie im Faust), da singen und tanzen die Automaten, da singt sich ein brustkrankes Mägdelein zu Tode (ganz wie in La Traviata), da fährt ein Kreuzfahrerschiff auf die Bühne- ganz wie bei Fellini. Da wird ganz in der Tradition der Erzählungen eines E.T.H. Hoffmann eine Welt der Phantasiestücke herbeigezaubert, und der Zuschauer erliegt dem Zauber einer Märchenwelt – und wird  im Finale in die ’Realität’ zurückgeholt. Die schöne Märchenwelt, das sind Halluzinationen eines Trunkenen, Rauschzustände  eines alkoholisierten Poeten. Alles ist nur Schein, alles nur Theater. Ein überzeugendes Konzept, eine brillante Aufführung, ein überragender Sängerdarsteller in der Rolle des Hoffmann (Matthias Klink). Wir sahen die Aufführung am 29. November 2009,