Absurdes Theater, Western, Schwarze Romantik nebst Science Fiktion – Geschichten aus der neuen Opernwelt, erlebt in Amsterdam und Brüssel

Alljährlich im Frühjahr veranstaltet De Nationale Opera in Amsterdam ein Festival des neues Musiktheaters –  „Opera Forward Festival“, und das Théâtre de la Monnaie, die Brüsseler Oper, will da nicht nachstehen. So besuchten wir in Brüssel eine „Welturaufführung“: Frankenstein mit der Musik von Mark Grey, in Amsterdam die Erstaufführung einer Übernahme aus  Milano: Fin de Partie mit der Musik von György Kurtág, die im vergangenen Jahr an der Scala uraufgeführt wurde. Und dann sahen wir noch ein John Adams /Peter Sellars Opus: Girls oft he Golden West.

Sagen wir es gleich, ohne Umschweife. Modern, geschweige denn avantgardistisch war keine dieser Aufführungen. Anspruchsvoll in der Musik, ohne indes die Zuhörer zu überfordern, war allenfalls Kurtágs Oper. Ein allerdings auf die Dauer – man spielte ohne Pause mehr als zwei Stunden –  ermüdender Klangteppich. Vielleicht waren es auch nur locker aneinander gereihte Fetzen von Musik unterschiedlicher Art. Vielleicht waren es auch vielfach variierte Zitate. Hinzu kommt, dass sich das „absurde Theater“ – der Komponist vertonte das bekannte Stück von Samuel Beckett – vor allem durch eines auszeichnet: durch gezielte Langweile. Durch gezielte Langweile bis zum Überdruss soll der Zuschauer provoziert werden. Überdruss soll er erleiden angesichts nichtiger Figuren und deren banalem Geschwätz. Wagners Wotan hätte diese Ergüsse auf einen Satz gebracht: „Nur eines will ich noch: das Ende“.… → weiterlesen

Judith und die SS-Männer oder eine Résistance Heldin wider Willen. Eine peinlich verfehlte Inszenierung von Vivaldis Oratorium Juditha Triumphans an De Nationale Opera Amsterdam

 

Vivaldis Oratorium (sacrum militare oratorium), das im  Jahre 1716/1717 in Venedig von den jungen Damen des Ospedale della Pietà uraufgeführt wurde, erzählt die bekannte Episode aus dem Buch Judith des Alten Testaments: um ihre Stadt und ihre Glaubensgenossen vor den feindlichen Assyrern zu retten, geht die schöne Judith in das Lager der Feinde, gewinnt dort die Gunst des Anführers und tötet diesen.

Eine effektvolle Personenkonstellation – femme fatale erledigt den mit Hybris geschlagenen Macho – und eine nicht minder effektvolle politische  Parabel vom Sieg der Unterdrückten über die Unterdrücker.

Personenkonstellation und Parabel bilden für einen Theatermacher von heute mit realistischem Horizont und antifaschistischer Gesinnung geradezu eine Steilvorlage. Ganz in diesem Sinne macht Regisseur Floris Visser aus der Episode aus dem Alten Testament eine Heldenmär, die sich im zweiten Weltkrieg in einem von der SS  besetzten Land ereignet, die Jagd auf Juden macht. Die Zutaten bieten sich geradezu von selber an: Deportationen, Gewalt, Vergewaltigung, Erschießung von Résistance- Kämpfern, sadistische SS-Männer und ein Obersturmbannführer, der sich von der schönen Judith, die sich als Attentäterin mehr oder weniger freiwillig anbietet, leicht verführen lässt. Die Folgen für ihn und seine Männer sind offensichtlich.… → weiterlesen

Theatermacherin Lotte de Beer erledigt Rossini. Ein desaströser Il Barbiere di Siviglia an De Nationale Opera Amsterdam

Im Rossini Jahr – vor 150 Jahren verstarb der Komponist in Paris – sollte man keine Grand Opéra und keine Buffa des Maestro versäumen. Im Theater der Wien sahen und hörten wir zu Beginn der Spielzeit Guillaume Tell – in einer in Musik und Szene herausragenden Produktion, und jetzt waren wir in Amsterdam beim Barbiere di Siviglia, einem so berühmten und so viele tausend Male aufgeführten Melodramma buffo, wo man eigentlich nichts falsch machen kann.

In Amsterdam hat man eine besondere Leistung vollbracht.

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„Brangäne, du – Sag, wo sind wir?“ Tristan und Isolde an De Nationale Opera Amsterdam

Nein, wir sind nicht an „Kornwalls grünem Strand“. Wo sind wir? Das fragt sich nicht nur Isolde. Das fragt sich auch der Zuschauer im Amsterdamer Opernhaus. Im ersten Akt sind wir wohl irgendwo in archaischer Zeit. Vielleicht in Japan? Vielleicht in einer Bob Wilson Inszenierung: statuarische Bewegungen. Licht- und Schattenspiele. Gestalten in langen grauen Mänteln. Oder sind wir vielleicht – ganz wie es das Libretto will – in den Luxuskabinen eines Schiffs? Sind die mit Jugendstil Ornamenten verzierten Vorhänge vielleicht stilisierte Segel?

Im zweiten Akt sind wir auf einem Friedhof. Die todessüchtigen Liebenden tragen Schwarz, nutzen flach liegende Grabsteine als Sitz- und Ruhegelegenheiten. Erzählte Zeit ist vielleicht ein unbestimmtes Mittelalter. Der König – von der Kutte her, die er trägt, zu urteilen – ist wohl der Abt eines Klosters. Seine Diener sind mit Spießen bewaffnet. Der Bösewicht Melot, ein rüstiger Greis mit Rollator, sticht mit seinem Taschenmesser zu.

Aber vielleicht ist der Friedhof mit der Fülle seiner phallisch aufgereckten Pflanzen zugleich ein Treibhaus und verwiese damit auf ein in der Dekadenzliteratur häufig genutztes erotisch konnotiertes Bildsymbol. Und dann stünde der phallische Friedhof für die Symbiose von Eros und Thanatos, wäre die szenische Realisierung des dominanten Leitmotivs in Tristan und Isolde, dem Eins-Sein von Liebe und Tod.  War das die Intention von Regisseur und Bühnenbildner? Vielleicht.

Im dritten Akt lösen sich die  Rätsel von Zeit und Raum. Jetzt sind wir beim Beckett Müll gelandet. Estragon und Wladimir alias Tristan und Kurwenal warten auf Godot alias Isolde. Sie kommt immerhin anders als Godot. Zu spät, wie es das Libretto verlangt. Im Finale macht die Regie noch einmal eine Kehrtwendung, kehrt zur Bob Wilson Manier des Anfangs zurück. Isolde singt ihr „Mild und leise […]“, ihr „ertrinken – versinken“ als schwarzer Schattenriss im Bob Wilson Licht.

In Amsterdam – dies ist anscheinend die Grundkonzeption der Inszenierung – hat Pierre Audi, der langjährige Intendant des Amsterdamer Musiktheaters, wohl seinen eigenen Abschied inszeniert, hat noch einmal auf frühere Arbeiten und die berühmter Gastregisseure verwiesen.

Doch lassen wir die Inszenierung. Zum Tristan geht man nicht wegen der Inszenierung, auch nicht wegen der „Handlung“, sondern – eine banale Bemerkung – wegen der Musik. Mag Nietzsche auch versucht haben, uns glauben zu machen, dass Wagner „die Musik krank gemacht habe“, dass er mit seiner Musik uns „hypnotisieren“ wolle. Es stört uns nicht. Im Gegenteil. Wir lieben die Wagnerdroge. Und auch so wie sie Marc Albrecht mit dem Nederlands Philharmonisch Orkest bereitet: nicht  rauschhaft, sondern – so vor allem im dritten Akt – düster, traurig, verzweifelt. Der „Liebestod“ nur ein Wahn – ganz im Einklang mit der Inszenierung.

Auf der Bühne Stars des internationalen Musiktheaters. Da gibt es nichts zu bekritteln: Stephen Gould als Tristan, Ricarda Merbeth als Isolde, Günther Groissböck als König Marke, Michelle Breedt als Brangäne.

Wir besuchten die Aufführung am 10. Februar 2018. Die Premiere war am 18. Januar 2018.

 

 

Die Macht des Inzests. Christof Loy inszeniert La Forza del Destino an de Nationale Opera Amsterdam

Ich bin nicht unbedingt ein Verdi-Fan. Diese süße, tragisch-traurige Bellezza, diese Dreiecksspielchen, in denen Tenor und Bariton unabhängig voneinander und letztlich doch gemeinsam die Sopranistin erledigen – frei nach dem Motto: keine Oper ohne Frauenleiche – all dies ist schwer erträglich. Doch wenn jetzt wie in Amsterdam bei Der Macht des Schicksals das Nederlands Philharmonisch Orkest unter der Leitung von Michele Mariotti gleich vom ersten Takt an einen fulminanten, einen geradezu rauschhaften Verdi spielt, wenn die tragenden Partien (allen voran Eva-Maria Westbroek als Leonora) mehr als exzellent besetzt sind und wenn die Regie das angeblich so unselige Libretto neu und plausibel erzählt und entsprechend in Szene setzt, dann ist alles  anders, dann gelingt grandioses Musiktheater und alle Verdi-i Vorurteile erweisen sich als nichtig.… → weiterlesen

Tschaikowskis Nachtmären. Stefan Herheim inszeniert Pique Dame an der Oper Amsterdam

Wenn Stefan Herheim inszeniert, dann darf der Zuschauer großes Musiktheater erwarten. Scheinbar so vertraute Stücke gewinnen ganz andere, ganz neue Dimensionen, und verdeckte Bedeutungsschichten werden frei gelegt. Aus Rusalka wird die kleine Hure auf der Suche nach der großen Liebe. Im Eugen Onegin wird gleich ein Bilderbogen der russischen Geschichte mitgeliefert. Im Rosenkavalier werden schon zur Ouvertüre die erotischen Phantasien der Marschallin in Szene gesetzt, wenn Silenen und Satyrn auf sie einstürzen und ein androgyner Jüngling vom Himmel hernieder sinkt. Les Contes d’Hoffmann werden zum Revue-Theater, in dem sich alle Identitäten auflösen.

Auch jetzt in Amsterdam ist alles anders, als es der Zuschauer erwartet. Hauptperson ist nicht der der Spielsucht verfallenen junge Offizier Hermann. Auch nicht die alte Gräfin, die angeblich das Geheimnis der Spielkarten kennt, der Karten, die unermesslichen Gewinn bescheren. Auch die unglückliche Liza, die der Spieler seiner Sucht opfert, steht nicht im Zentrum des Interesses. All diese Personen sind nur Nebenfiguren, und die mit ihnen verbundenen Handlungsstränge, wenngleich sie die konventionelle Handlung vorantreiben, sind nur Episoden. Im Zentrum des Geschehens steht die Figur des Komponisten selber, Tschaikowski mit seiner unterdrückten und doch immer wieder hervorbrechenden Homosexualität, … → weiterlesen