Prima la Musica – poi la Resistenza. Capriccio an der Oper Frankfurt

Vorhang Capriccio Oper Frankfurt

Keine Capriccio Inszenierung ohne Bezug auf die Entstehungszeit und die Zeit der Uraufführung. Dass Capriccio, „ein Konversationsstück für Musik“ wie Richard Strauss seine letzte Oper nennt, mitten in der Zeit der Nazis geschrieben und komponiert und noch dazu mitten im zweiten Weltkrieg, im Jahre 1942, uraufgeführt wurde, dies hat offensichtlich bei den Theatermachern geradezu eine Zwangsneurose ausgelöst. Ein  Zeitbezug muss – koste es, was es wolle – in Szene gesetzt werden, mögen sich auch Bühnengeschehen und Musik gerade dem Zeitbezug widersetzen. „Allein was tut’s“.

So stellen denn die einen Gestapo Agenten an den Rand der Szene, die die Akteure im Finale abführen. Andere verlagern das Geschehen auf ein Gräberfeld, in dem Madeleine unter den Gefallenen nach ihren Freunden Flamand und Olivier sucht. Und in ihrer Erinnerung ereignet sich noch einmal das so schöngeistige Plaudern über den Vorrang von Musik oder Text, die Konversation über die Kunstform der Oper, der große Monolog über die Macht des Theaters und nicht zuletzt Madeleines Schwanken zwischen Musik und Poesie und deren Repräsentanten. Wieder andere transponieren das Geschehen auf die Probebühne und den Zuschauerraum eines ramponierten Theaters, machen die Tänzerin und die Schauspielerin zu Juden, die sich den Deportierten anschließen müssen und erfinden gleichsam als Zugabe eine nur eben angedeutete Liebesgeschichte zwischen Madeleine und ihrem Haushofmeister.

In Frankfurt hat sich die Regie für eine französische Variante der Zeitgeschichte entschieden: im Finale schließt sich Gräfin Madeleine zusammen mit ihren Musikern und Bediensteten der Résistance an.… → weiterlesen

„…den Schluss für ihre Oper? Gibt es einen, der nicht trivial ist?“ Richard Strauss, Capriccio am Théâtre de la Monnaie

Die Brüsseler Oper spielt noch immer in ihrem Ausweichquartier: ‚unweit‘ von La Gare du Nord, ‚unweit‘ von dem berüchtigten Problemviertel Molenbeek. Sie spielt in einem großen Zelt, das man auf einer Brache ein paar hundert Meter hinter dem Palais de la Monnaie Tour et Taxis errichtet hat. Wann sie wieder in die Innenstadt, in das Théâtre de la Monnaie, zurückkehren wird? Wer mag das wissen.

Kann man dort draußen, um es vorsichtig zu sagen, unter nicht gerade idealen Bedingungen überhaupt Musiktheater machen? Man kann es und sogar auf beträchtlich hohem Niveau. Denn dieses Mal präsentiert man anders als im vorigen Sommer, als mit Mitridate ein ärgerlicher Flopp produziert wurde,  mit Capriccio brillantes Musiktheater, das in Szene und Musik begeistert. Hier singen und spielen exzellente Sänger – an der Spitze  Sally Matthews in der Rolle der Gräfin Madeleine. Hier zelebriert unter der Leitung von Lothar Koenigs  das Orchestre symphonique de la Monnaie einen glitzernden Strauss. Hier präsentiert David Marton eine Inszenierung, der zweifellos das Attribut ‚sofisticated“ zukommt.

In welcher Zeit und an welchem Ort spielt Capriccio? Nicht im späten Ancien Régime, wie es das Libretto will, nicht in der Zeit als Glucks ‚Reformopern‘ sich gegen die italienische opera seria wandten, nicht in einem Schloss in der Nähe von Paris. Erzählte Zeit ist die Zeit der Uraufführung, die Zeit des zweiten Weltkriegs. Ort des Geschehens sind die Behelfsbühne, die Logen und der Zuschauerraum eines kleinen, heruntergekommenen Theaters irgendwo im „Reich“. Gleich fünf sich überlagernde Erzählungen kontaminiert die Regie: zwei, die sich aus der vordergründigen Handlung ergeben, eine hintergründige, die sich aus der Personenkonstellation ergeben könnte und zwei, die die erzählte Zeit nahe legen könnte. Und alle bleiben sie in der Schwebe, bieten keine Entscheidung, lassen den Schluss offen.

Die erzählte Zeit drängt sich nicht  mit aller Macht in den Vordergrund. Es dröhnen keine Bombenflugzeuge, und es fällt auch kein Staub von der Decke. Die Flugzeuge, die man hin und wieder hört, sind im Anflug auf den Brüsseler Flughafen. Oder sind die Flugzeuggeräusche doch Teil der Inszenierung? Wo ist die Fiktion? Wo ist die Wirklichkeit? Ist Monsieur Taube, der Souffleur, der im Finale einen kurzen Auftritt hat und der doch ständig präsent ist, mal im Zuschauerraum, mal auf der Bühne, mal unter der Bühne, der sich ständig Notizen macht, ist dieser Monsieur Taube vielleicht ein Beamter der Gestapo? Stehen das Theater und seine Mitwirkenden unter Verdacht? Sind die junge Tänzerin und das italienische Sängerpaar Juden, die der Gestapomann beobachtet und die er auf den Sammelplatz für die Deportation schickt? Zwei Erzählungen, die die Regie andeutet, in der Schwebe lässt  und die der Zuschauer ergänzen mag.

Offen bleibt – ganz wie es das Libretto will –  die Entscheidung über den Vorrang von Text oder Musik. Offen bleibt, auch hier ganz konventionell im Sinne des Librettos, die Entscheidung der Gräfin für den einen oder den anderen ihrer möglichen Liebhaber, für den Literaten oder den Komponisten. Offen bleibt auch die Entscheidung für den dritten der möglichen Liebhaber. Hält sich Frau Gräfin – diese Erzählung insinuiert die Regie – vielleicht einen ‚nicht standesgemäßen‘ Liebhaber, den Haushofmeister? Eine triviale Zugabe, eine Zugabe, die der italienischen Novellentradition entnommen sein könnte, eine Pointe, mit der die Regie die Konversation über die Funktion des Theaters und über den Vorrang unter den Künsten aufmischen will? Vielleicht. Ein Schluss, „der nicht trivial ist?“

Die Regie bietet noch einen anderen Schluss an: einen barocken Vanitas Schluss. Entgegen dem Libretto und wohl auch entgegen der Musik geht die Gräfin nicht „in heiterster Laune […] langsam ab“. Ganz im Gegenteil. Die Regie macht sie zur Melancholikerin. In ihrer Vorstellung sieht sich die Gräfin noch einmal als Kind, sieht sich als vom Haushofmeister hoffierte junge Frau und erahnt sich zugleich als einsame alte Frau – ohne Liebe, ohne Musik, ohne Literatur, ohne Theater? Ein Schluss, „der nicht trivial ist?“ Vielleicht.

Mit Capriccio unter der musikalischen Leitung von Maestro Koenigs und inszeniert von David Marton hat die Brüsseler Oper ein Highlight im Programm. Hoffen wir, dass weitere folgen. Wir sahen die Aufführung am 10. November 2016. Die Premiere war am 3. November 2016. Die Produktion ist eine Übernahme von der Opéra National de Lyon.

„Was für eine furchtbare Inszenierung“. Das Capriccio der Untoten oder Ästhetik nach Stalingrad. Richard Strauss, Capriccio. Konversationsstück für Musik in einem Akt am Theater an der Wien

Zum baldigen Finale der Stagione haben sich die Wiener  für eine Strauss-Produktion eine Theatermacherin aus dem ‚Reich‘ geholt. Eine Dame mit einem Brecht- und Adorno-Schaden, die mit dem späten Strauss wenig anzufangen weiß und wohl  viel lieber Mutter Courage oder den Troubadour oder Die Soldaten inszeniert hätte.

Wie kann man denn, so mögen die Vorüberlegungen zur Capriccio Inszenierung gewesen sein, im Jahre 1942 eine Oper mit einem weltfremden ästhetischen Thema schreiben. Eine Konversation über den Vorrang von Musik oder Text, eine Diskussion, die beinahe so alt ist wie die Gattung Oper selber, ein Streitgespräch über die Hierarchie der Künste, ein Plaudern über das Theater-Machen und das Metatheater, und dies alles  in den Zeiten von Auschwitz und Stalingrad.… → weiterlesen

Im Ästhetizismus schwelgen oder Apoll als SS-Offizier? Capriccio und Daphne an der Semperoper Dresden

Im Rahmen der „Richard-Strauss-Tage“ bot die Semperoper ein Kontrastprogramm, wie es schärfer wohl nicht sein kann. Daphne, eine „bukolische Tragödie“ – so der Untertitel – und Capriccio, „ein Konversationsstück für Musik“ sind bekanntlich in der Nazi-Zeit entstanden und uraufgeführt worden. Bedeutet dies, dass, wenn man diese beiden Stücke in Szene setzt, ein Zeitbezug unbedingt hergestellt werden muss? Soll man die Daphne Tragödie, wie es die Intention des Komponisten und seines Librettisten will, sich in ferner unbestimmter mythischer Zeit ereignen lassen oder soll man sie aktualisieren? Soll man Capriccio, wie es seine Schöpfer intendierten, in der Rokoko-Zeit spielen lassen, in Rokoko-Kostümen Künstler und Adlige Salongespräche über die Hierarchie der Künste, über die gegenseitige Abhängigkeit von Wort und Musik und Szene führen lassen, alle Diskussionen in der Schwebe lassen und all dies mit einer galanten Liebesgeschichte verbinden und auch diese in der Schwebe lassen? Mit anderen Worten: soll man einfach Theater spielen, eine Oper, die von der Entstehung einer Oper erzählt, eine Metaoper, in Szene setzen?

In Dresden hat man sich für beide Möglichkeiten entschieden. Im Capriccio schwelgen Szene und  Orchester und Gesang in Schönheit und Glanz, lässt im Finale die berühmte amerikanische Sopranistin noch einmal geradezu wehmütig all die Virtuosität erklingen, die Strauss den Frauenstimmen in seinen Opern und Liedern zugedacht hat. Im Capriccio gibt  es keinerlei Zeitbezug. Es sei denn, man versteht dieses bedingungslose Ästhetisieren als Opposition und Protest gegen die Barbarei jener Zeit. Strauss hätten die so ganz seinen Wünschen entsprechende sanfte Interpretation seiner Musik und auch die Szene wohl gefallen. Eine vor mehr als zwanzig Jahren entstandene Marelli Inszenierung in der Tradition Ponnelles.

Ein Strauss Abend, wie man ihn in dieser Perfektion, in dieser perfekten Konventionalität, selten sieht und hört.

Am Abend zuvor Daphne: eine plakative Transponierung des Geschehens in die Zeit des SS-Staats.  Eine recht eigenwillige und ziemlich waghalsige Variante des Daphne-Apollo Mythos schlägt Torsten Fischer vor.  Daphne, die sich den Zwängen der rauschhaften Feste und dem Druck des Volkes und ihrer Eltern entzieht, ist Sophie Scholl.  Apollo wird zum über Leben und Tod befindenden hohen SS Offizier, der mit seinen gewaltbereiten Männern in das Fest einbricht und sich einer verschüchterten Daphne/Sophie nähert. In diesem Ambiente ist es nur folgerichtig, dass der verschmähte Liebhaber  Leukippos von Kostüm und Maske her ein Hitlerjunge ist und dass der SS Offizier seinen Rivalen von seiner Garde liquidieren lässt. Nicht genug damit. Aus der scheuen Liebesgeschichte zwischen Apollo und Daphne, wie sie das Libretto andeutet, wird eine amouröse Beziehung zwischen Sophie und dem stattlichen blonden Offizier. Selbstverständlich fehlen weder die jubelnden Massen, in die Sophie alias Daphne Flugblätter wirft noch die schwarz gekleideten Juden, die von den SS Männern zu einer Grube hin abgeführt werden. Im Tode gruppieren sich die Abgeführten zu einer Verästelung, zu einem nur eben angedeuteten  Gezweig.  Daphne wird im Finale zu den Toten hinunter steigen. Die Verwandlung in einen immer grünenden Lorbeerbaum, das heißt in ein Eins-Werden mit der Natur, wie sie die klassische Variante des Daphne- Mythos will, findet nicht. Verwandlung heißt für Daphne/Sophie Eins-Werden mit dem Tod.

Aus der „bukolischen Tragödie“, die Strauss und sein so gern geschmähter Librettist Joseph Gregor im Jahre 1938 für Dresden kreierten, hat die Regie ein makabres, wohl gezielt provozierendes  Horrorstück aus der Nazizeit gemacht. Ein Horrorstück, das Orchesterklang und Gesang, waren beide auch noch so brillant, geradezu erschlägt. Prima la messa in scena e poi la musica. Man mag die Variante des Mythos, die Torsten Fischer in Szene setzt, für abwegig halten. Doch immerhin wird der ‚Kern‘ des Mythos: die übermächtige vernichtende Gewalt und die Verwandlung bewahrt. Und  konsequent und stringent und noch dazu spannend erzählt ist die Inszenierung alle Male.

Wir sahen Daphne am 15. November 2014 (die Premiere war am 2. Oktober 2010). Capriccio am 16. November 2014 – die „46. Vorstellung seit der Premiere am 28. November 1993“.

 

Und wieder im Pariser Opernmuseum: Le Nozze di Figaro in der Inszenierung von Giorgio Strehler. Capriccio und Les Contes d’Hoffmann inszeniert von Robert Carsen

Es mag ja sein, dass es Inszenierungen gibt, die so herausragend und so spektakulär sind, dass sie auch noch nach Jahrzehnten nichts von ihrer Faszination eingebüßt haben: Inszenierungen wie Wernickes Rosenkavalier, La Clemenza di Tito in der Version der Hermanns oder Bob Wilsons Pelléas et Mélisande. Ob das auch für die angeblich legendären Le Nozze di Figaro des einst so gefeierten Theatermachers Strehler gilt, da habe ich – mit Verlaub gesagt – doch meine Zweifel. Wir sahen jetzt im großen Haus der Bastille Oper die 183. (sic) Aufführung der Inszenierung vom Jahre 1973.… → weiterlesen