Gemächlich und behäbig – zum letzten Mal Così fan tutte in der Bayerischen Staatsoper

Gemächlich und behäbig – zum letzten Mal Così fan tutte in der Bayerischen Staatsoper – und auch zum letzten Male Le Nozze di Figaro

Nein, ich wollte nicht mehr hingehen. Über Dieter Dorns jetzt bald zwanzig Jahre alte Inszenierung braucht man nicht mehr zu reden (Das habe ich an anderer Stelle zu genüge getan). Die intellektuelle Dürftigkeit und spießige Behäbigkeit, mit der hier in München Mozart und Da Pontes Oper   einstens in der Ära Sawallisch in Szene gesetzt worden ist und noch immer einem freundlich gestimmten Publikum präsentiert wird, das ist über weite Strecken nur noch peinlich. Doch gesungen wird in München immer noch höchst brillant. Und um Sally Matthews als Fiordiligi, den unbestrittenen Star des Abends, zu hören, dafür muss man halt eine belanglose  und abgespielte Inszenierung ertragen. Es bleibt ja immer noch Mozarts Musik, wenngleich sie am gestrigen Abend nicht gerade mit sonderlicher Verve präsentiert wurde. Wir sahen die Aufführung am 30. September 2010.

Ja, und dann haben wir zu unserem Ärger am Sonntag darauf noch einmal Le Nozze di Figaro erlitten, ebenfalls ein Dorn Produkt, über das ich an  anderer Stelle schon das Nötige gesagt habe. Allein was an diesem Abend in der Bayerischen Staatsoper geboten wurde, dazu schweigt Zerlinas Höflichkeit. Auf der Bühne  ein unmotiviertes, teilweise indisponiertes Ensemble, dem die Intendanz allenfalls zwei Proben zugestanden hatte. So viel Hilflosigkeit, so viel Erbärmlichkeit habe ich lange nicht mehr auf der Opernbühne gesehen. Ein Vorschlag an die Intendanz: schließt den Laden während der Zeit des Oktoberfests.

Palaver unter Kolchosebäuerinnen. Dialogues des Carmélites an der Bayerischen Staatsoper

Palaver unter Kolchosebäuerinnen oder wie man ein theologisch anspruchsvolles Werk im kruden Naturalismus verkommen lässt. Dialogues des Carmélites an der Bayerischen Staatsoper

Nein, und dies trotz der vielen unbedarften Inszenierungen, die zur Zeit im Münchner Opernhaus präsentiert werden, nein, ich kann mich nicht erinnern, jemals in der Pause gegangen zu sein und mich ins Blaue Haus (für Nichtmünchner: in die Kantine der Kammerspiele) geflüchtet zu haben. Aber gestern Abend hatte ich nach neunzig Minuten mehr als genug. Oder hätte ich vielleicht doch bis zum Ende ausharren sollen? Vielleicht war es ja nach der Pause ganz toll? Zumal ja auch der Kritiker von der Süddeutschen Zeitung ganz begeistert war. Wie dem auch sei. Ich bin, wenn auch mit schlechtem Gewissen, einfach in der Pause gegangen. Vom Münchner Trash, vom Münchner Billignaturalismus  auf der Opernbühne habe ich einfach genug. Da werden doch wirklich  im Dialogues des Carmélites die Damen, die bei Gertrud von Le Fort und bei Bernanos noch Karmeliterinnen sind, zu Kolchosegenossinnen umgeschminkt und allesamt in ein kleines Blockhaus gepfercht (Achtung: Symbolik: geschlossene Gesellschaft. Französisch : Huis Clos) und während sie über Erlösung und Gnade, Tod und Martyrium, Gebet und Gehorsam, Weltflucht und Angst, Glaube und Hoffnung in Gott dialogisieren, da wischen sie den Fußboden, machen die Betten, kochen Marmelade, zupfen Blümchen  und trinken Kaffee. Ja, warum soll man das benediktinische  Diktum Ora et Labora nicht auch mal als Therapiestunden für ein schwatzendes Weiberkollektiv verstehen, eine Variante, die unserem aus Russland importierten Produktionsteam offensichtlich sehr behagt. Die junge Blanche ist ein spätes altjüngferliches Mädchen, Schwester Marie de l’Incarnation, die Subpriorin des Libretto, ist zu einem dragonerhaften Brigadier mutiert, die im Todeskampf von ihren Untergangsvisionen gequälte Priorin siecht natürlich nicht wie die Kameliendame dahin, sondern stürzt spektakulär an der Tür ‚entseelt’ zu Boden (Achtung: ‚Mehr Licht’. War das vielleicht gemeint?). Mehr Licht hätten wir uns auch auf der Bühne gewünscht –  und manchmal auch im Zuschauerraum. Zu den vollständig unmotivierten Szenenwechseln (es bleibt immer beim Blockhaus: mal mit Tisch, mal mit Bett, mal mit Blümchen, mal mit Konfitüre, mal mit Händchenhalten) dürfen wir im Zuschauerraum bange Minuten im Dunkeln sitzen – zur Zwangsmeditation. War das gemeint?  Ein Vorschlag an die Intendanz: wenn Ihr, um anspruchsvolle Texte in Szene zu setzen, schon keinen Loy oder Guth engagieren wollt oder könnt, dann führt doch Stücke, mit denen Ihr nichts anzufangen wisst oder deren aufgesetzter katholischer Doktrin Ihr mehr als fern steht, lieber konzertant auf. Musizieren und singen, das könnt Ihr doch noch immer auf hohem Niveau. Fragt sich nur, wie lange noch. Und fragt sich auch, wann es Euch endlich gelingt, vor leerem Haus bzw. nur noch vor Eurem  zwangsverpflichteten Personal zu spielen. Wir  sahen die Aufführung am 8. April. Die Premiere war am 28. März 2010.

Scherenschnitte im weißen Guckkasten. Noch einmal Le nozze di Figaro an der Bayerischen Staatsoper

Scherenschnitte im weißen Guckkasten. Noch einmal Le nozze di Figaro an der Bayerischen Staatsoper

Dorns Inszenierung habe ich in den letzten Jahren schon ein paar Mal gesehen – und erlitten. Die kritischen Bemerkungen, die ich  mir schon vor ein paar Jahren über diese – vorsichtig gesagt – nicht gerade glanzvolle Inszenierung notiert habe, brauche ich an dieser Stelle nicht zu wiederholen. Nur eine Ergänzung: wenn man nur weit genug weg sitzt – ich hatte den Platz „Balkon rechts, Reihe 1“, dann lässt sich der Inszenierung, die auf mich immer wie ein verstaubtes Pseudo-Rokoko Schauspiel wirkte, vielleicht doch noch etwas abgewinnen. Soll die grell weiß ausgeleuchtete verengte Guckkastenbühne, auf der durchweg farbig gekleidete Figuren agieren, vielleicht den Hintergrund für ein Spiel der Scherenschnitte geben? Aus der Distanz wirken die Figuren in der Tat wie Scherenschnitte vor weißem Hintergrund. War es das? Ein hübscher Gag. Aber mehr auch nicht. Ansonsten nichts Besonderes. Zwar standen in der Vorstellung, die ich am vergangenen Montag sah, mit Michael Volle und Erwin Schrott zwei Starsänger auf der Bühne, die beim Zürcher Figaro begeisterten. Aber  viel genützt hat das dem Münchner Figaro nicht. All die Spielfreude, all das komödiantische Talent, mit der die beiden in Zürich sangen und agierten, sind in München fast zur Routine erstarrt. Und von den beiden Damen, die in München als Protagonistinnen auf der Bühne standen und die doch eigentlich in Mozart und Da Pontes Reigen der Liebesdiskurse dominieren müssten, über die sag ich am besten gar nichts.  Dem Münchner Figaro, das zeigt sich auch in dieser Aufführung wieder, fehlt im Gegensatz zur Zürcher Aufführung aller Schwung, alle Begeisterung, letztlich mit Ausnahme ganz weniger Sequenzen alle Spielfreude. Alles wirkt wie ein routiniert eingespieltes Pflichtprogramm, das seit vielen Jahren heruntergespult wird. „Die schöne Musik“ – diese Lieblosigkeit, die hat sie nicht verdient. Das war wirklich das letzte Mal, dass ich zum Münchner Figaro gegangen bin. Wir sahen die Vorstellung am 22. März 2010. Wie viele Male diese Produktion schon gezeigt wurde? Darüber schweigt der Besetzungszettel.

Häuslebauer Elsa vergrault den Zimmermann. Lohengrin (oder was davon übrig blieb) in der Bayerischen Staatsoper

Gestern Abend haben wir im Nationaltheater anlässlich der diesjährigen Münchner Opernfestspiele die zweite Vorstellung des mit so viel Vorschusslorbeeren  bedachten neuen Münchner Lohengrin gesehen, gehört (und erlitten). „Ein ärgerlich misslungener Lohengrin […]Was für eine Besetzung! Was für eine konzeptgläubig vertane Chance“, so resümiert Joachim Kaiser in der Süddeutschen Zeitung (7.7., Nr. 153, S.11) – und da  hat er wohl Recht. Mit Anja Harteros und Jonas Kaufmann stehen als Protagonisten zwei Superstars auf der Bühne, die zurzeit wohl kaum zu übertreffen sein dürften. Das Orchester spielt (meist) hinreißend schön. Ärgerlich war nur, dass an diesem Abend  in die ersten Takte des so leise und überirdisch anhebenden Vorspiels ein offensichtlich mangelhaft justiertes Mikrofon hineinquietschte. Das kann schon mal passieren, wenn die Aufführung aufgezeichnet wird. Doch letztlich war dieser Missklang geradezu ein unbeabsichtigtes Symbol des Münchner Lohengrin. In was für ein erbärmliches banales Ambiente stellt man doch  in München grandiose Sängerschauspieler. Wie leichtfertig reduziert man Wagners Musik  immer wieder zum Soundtrack  für pseudonaturalistisches Bauerntheater. Von „Schwachsinn“, von Auftritten, die „an vergangene DDR-Massenszenen“ erinnern, spricht Joachim Kaiser, von einer Inszenierung, die „die Leistungen der Sänger beklemmend minderte“. Ganz so schlimm war es vielleicht nicht.  Immerhin verfügt die Regie über ein  in sich stringentes Konzept – ein abwegiges. Man kann den Lohengrin Mythos halt auf verschiedene Art und Weise erzählen. Viele Male haben wir schon gelesen und gehört, dass der Mythos eben nur in seinen Varianten lebe und stets, je nach hermeneutischer Situation des jeweiligen Interpreten, neue Varianten produziere. Warum soll man den Lohengrin Mythos  nicht auch einmal als die Geschichte vom wandernden Zimmermann erzählen, der einer kleinen Häuslebauerin zu Hilfe eilt, die von einem mächtigen Bauunternehmer und dessen krimineller Gattin mit üblen Machenschaften darin gehindert wird, ihr schönes bayerisches Eigenheim zu bauen. Der Zimmermann wirft die beiden Bösewichter von der Baustelle – zur Freude der Maurer und Tischler, die jetzt erst richtig zulangen, und am Ende des zweiten Akts, wenn sich Zimmermann und Mägdelein vor dem Landrat (bei Wagner: ein gewisser König Heinrich) das Jawort geben, da ist, o Wunder, das Haus fertig (dank unserer tüchtigen Bühnentechnik, die im Finale noch schnell das Fertighausdach  mit einem Kran heranschwenkt). Ja, beim Münchner Lohengrin da gewinnt man so richtig  Einblick in die Tätigkeit und in die Intrigen des mittelständischen Gewerbes. Wie da unsere Elsa – in ihrer Latzhose  und den schwarzen Zöpfen  sieht sie wirklich allerliebst aus –  Steine schleppt und mauert, wie da unser Zimmermann hobelt und glättet, wie der böse Bauunternehmer, der sich nicht so einfach vom Markt verdrängen lassen will, intrigiert, das ist schon recht interessant anzusehen. Dass ihr Tun wenig oder gar nichts mit dem zu tun hat, was sie da singen, das darf einen nicht weiter stören. Im dritten Akt haben dann auch die Innenausstatter zu Ende gewerkelt. Wie die Geschichte ausgeht, das wissen wir noch von anderen Aufführungen. In München gibt es noch die Varianten, dass ein tieftrauriger, frustrierter Zimmermann Ehebett und Wiege und auch das Häusle anzündet und dass alle Handwerker im Finale  zu Sektenmitgliedern mutieren und nach dem Abgang des Zimmermanns, den sie wohl für den erwarteten neuen Guru gehalten haben, sich zum kollektiven Selbstmord entschließen, während Elsa und ihr Brüderchen diesem Treiben konsterniert zuschauen. So sieht die ‚Arbeit am Mythos’ in München aus. Ein Lohengrin, dem die Regie alle Verzauberung, alles Märchenhafte, alles Träumerische, alles Geheimnisvolle, mit einem Wort: alles Romantische gewaltsam ausgetrieben hat und die  zur Entschädigung noch nicht einmal Komik und Unterhaltung bietet, wie das Stefan Herheim bei seinem Berliner Lohengrin vermag, sondern nur Banalitäten produziert. Oder ist die Regie vielleicht so spitzfindig, dass sie mit dem Symbol des Hauses spielt, das Haus, in dem Symbolforscher ein Bild des Universums oder auch des „être intérier“ oder auch  das der Weiblichkeit allgemein sehen. Wollte uns die Regie unter banaler Verkleidung vielleicht sogar eine tiefenpsychologische Deutung suggerieren? Sollte unser süßes Latzhosen Girl vielleicht sogar das Symbol des ‚ Ewigweiblichen’ sein, das den stets ‚Unbehausten’ zu sich und in sich ziehen will? War das vielleicht die Grundidee Ihrer Inszenierung Mr. Jones? Ein bisschen sehr banal. War es das? Allein, was tut’s. Ein Teil des Publikums hat ein bisschen gebuht. Aber das braucht Sie nicht zu interessieren. Sie sind längst zu neuen Regietaten aufgebrochen und überlassen es dem Dirigenten Ihr Opus mehrmals zu sehen. Manchmal wünscht man sich, dass unsere Herren Generalmusikdirektoren ein bisschen mehr Mut vor Fürstenthronen zeigten und sich nicht so einfach zu Soundtracklieferanten reduzieren ließen. In Stuttgart, so munkelt man, habe der oberste Musiker beim Lohengrin auf dem Grundsatz bestanden: „Prima la musica, poi la messa in scena“. Wie wäre es Herr Generalmusikdirektor Nagano, wenn Sie uns Gelegenheit einmal einen konzertanten Lohengrin zelebrieren würden? So manche Wagnerianer – und  nicht nur die  verknöcherten – wären Ihnenwohl dankbar.

Wir sahen die Vorstellung  am 8. Juli. Die Premiere war am 5. Juli 2009.

19. 03. 09 Ein Sängerfest in der Welt von Vorgestern. Händels Tamerlano an der Bayerischen Staatsoper

Was ich mir fast auf den Tag genau vor einem Jahr notierte, als wir die Premiere sahen, das gilt ohne alle Einschränkungen auch für die Wiederaufnahme, die wir heute sahen: grandiose Sänger im historischen Kitsch. Doch seien wir nicht so streng und sprechen statt dessen von dem anerkennungswerten Versuch, klassisches französisches Theater in eine Händel Oper zu transformieren.

„Mehr als ein Jahrzehnt lang war München berühmt – für konservative Händelverehrer vielleicht auch berüchtigt – für seine spektakulären Händelinszenierungen. Und jetzt zum Finale der Händel Ära macht man drei Schritte zurück, zurück in puren Konventionalismus, in eine historische Aufführungspraxis im Stil der französischen Klassik und versucht ohne eine Spur von Ironie oder gar Parodie, Opas Barockoper wiederauferstehen zu lassen.

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1. 02. 09 Und Palestrina kam bis Oberammergau. Pfitzner, Palestrina in der Bayerischen Staatsoper

Ein renommiertes Haus wie das Nationaltheater München kann nicht immer wieder nur die Zauberflöte und La Traviata, La Bohème  und die Fledermaus spielen, wenngleich diese Stücke, wie heruntergekommen die Inszenierungen auch sein mögen, immer ein volles Haus garantieren und Abonnenten wie Touristen Freude machen. Aber man kann nicht immer, so mögen wohl die Münchner Programmmacher gedacht haben, auf die Vorlieben eines kreuzbraven Publikums Rücksicht nehmen. Manchmal muss auch etwas Ausgefallenes her –  wie eben Hans Pfitzners „musikalische Legende“ vom Jahre 1917, zu der in guter Wagner Manier der Komponist selber das Libretto schrieb: ein Mysterienspiel um den päpstlichen Komponisten Palestrina, der von einer Schaffenskrise geplagt nur mit dem Beistand himmlischer Heerscharen die vom Kardinal Borromeo aus kirchenpolitischen Gründen – wir befinden uns in der Spätphase des Tridentinischen Konzils – ultimativ eingeforderte Messe schreiben kann und der mit dieser Engelsmusik den Beifall des Papstes findet.

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