Ein renommiertes Haus wie das Nationaltheater München kann nicht immer wieder nur die Zauberflöte und La Traviata, La Bohème und die Fledermaus spielen, wenngleich diese Stücke, wie heruntergekommen die Inszenierungen auch sein mögen, immer ein volles Haus garantieren und Abonnenten wie Touristen Freude machen. Aber man kann nicht immer, so mögen wohl die Münchner Programmmacher gedacht haben, auf die Vorlieben eines kreuzbraven Publikums Rücksicht nehmen. Manchmal muss auch etwas Ausgefallenes her – wie eben Hans Pfitzners „musikalische Legende“ vom Jahre 1917, zu der in guter Wagner Manier der Komponist selber das Libretto schrieb: ein Mysterienspiel um den päpstlichen Komponisten Palestrina, der von einer Schaffenskrise geplagt nur mit dem Beistand himmlischer Heerscharen die vom Kardinal Borromeo aus kirchenpolitischen Gründen – wir befinden uns in der Spätphase des Tridentinischen Konzils – ultimativ eingeforderte Messe schreiben kann und der mit dieser Engelsmusik den Beifall des Papstes findet.
Für ein Mysterienspiel mit Engeln und Untoten („die Erscheinungen verstorbener Meister“) braucht man natürlich einen in dieser Materie erprobten Theatermacher. Wer anders käme da in Frage, wenn nicht unser Salzburger Jedermann Regisseur und langjährige Spielleiter der Oberammergauer Passionsspiele. Christian Stückl hat das in ihn gesetzte Vertrauen nicht enttäuscht. In geradezu postmoderner Manier zitiert, ironisiert und parodiert er das Oberammergau- und Jedermann- Material. Da segeln die Engel aus dem Bühnenhimmel herab – und überdeutlich sieht man die Seile, an denen sie hängen. Da agiert Palestrina als neuer Schmerzensmann vor dem Bild eines popartig aufgemachten dornengekrönten Christus. Der Papst ist ein Popanz, und die in giftgrüne Soutanen gekleideten Priester treten als Bewegungschor, als Männerballett auf. Die Untoten, die “verstorbenen Meister“, die Palestrina bedrängen, wirken wie eine Kompanie von Karnevalsteufeln auf Betriebsausflug. Bevor der Komponist sich an die Arbeit macht, nimmt er noch einen kräftigen Zug aus der Wasserflasche. Oder ist es vielleicht die Grappaflasche? Sind die Erscheinungen der Engel und der Teufel vielleicht nur Wahnvorstellungen? Suggeriert die Regie auch diese Deutung? In jedem Fall weiß sie in den Paestrinaszenen die gefährliche Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Komik zu bewahren und macht im Finale den Komponisten geradezu zu einer tragischen Gestalt, zu einem Künstler, der trotz des unerwarteten Ruhms, der auf ihn fällt, an seiner Unzulänglichkeit leidet.
Vielleicht hätte ein vom Passionsspielsyndrom unbelasteter Theatermann Pfitzners „musikalische Legende“ profanisiert, diese zum spätromantischen Künstlerdrama stilisiert und gezeigt, wie ein Künstler in Auseinandersetzung mit der Tradition und in ständiger Suche nach einem neuen musikalischen Diskurs seinen eigenen Stil findet. Vielleicht hätte ein anderer Regisseur auch den gesamten zweiten Akt, der im Hinblick auf die Entwicklung des Künstlers dramaturgisch gar nicht notwendig ist, gestrichen. Stückl hat sich dafür entschieden, aus dem zweiten Akt, der in der Intention des Librettisten wohl eine Satire auf das Tridentiner Konzil sein soll, eine höchst amüsante Klerikergroteske zu machen, die sich für die Faschingsfeier im erzbischöflichen Palais geradezu anbietet.
Mein Vorschlag an die Intendanz: spielen Sie doch im Nationaltheater nur den ersten und dritten Akt. Dann haben sie einen geschlossenen Pfitznerabend, der das Publikum nicht mit Überlängen zu sehr ermüdet. Den zweiten Akt spielen Sie, wenn es mit dem Generalvikariat Schwierigkeiten geben sollte, als Faschingsveranstaltung im Prinzregententheater. Vielleicht unter dem Titel: Die lustigen Priester von Trento. Natürlich müsste man den Anfang etwas kürzen und die Prügelszenen am Schluss dafür etwas ausdehnen. Aber, um Gottes willen, streichen Sie nichts bei der Rolle des päpstlichen Legaten. Michael Volle ist als machtbewusster Kleriker so brillant und so komisch zugleich, dass man allein, um ihn zu sehen zu hören, sich noch einmal den ganzen Palestrina antun könnte.
Gesungen und musiziert wurde wie es dem künstlerischen Niveau eines großen Hauses entspricht. Die Premiere war am 19. Januar 2009. Wir sahen eine der ersten Vorstellungen.