Palaver unter Kolchosebäuerinnen. Dialogues des Carmélites an der Bayerischen Staatsoper

Palaver unter Kolchosebäuerinnen oder wie man ein theologisch anspruchsvolles Werk im kruden Naturalismus verkommen lässt. Dialogues des Carmélites an der Bayerischen Staatsoper

Nein, und dies trotz der vielen unbedarften Inszenierungen, die zur Zeit im Münchner Opernhaus präsentiert werden, nein, ich kann mich nicht erinnern, jemals in der Pause gegangen zu sein und mich ins Blaue Haus (für Nichtmünchner: in die Kantine der Kammerspiele) geflüchtet zu haben. Aber gestern Abend hatte ich nach neunzig Minuten mehr als genug. Oder hätte ich vielleicht doch bis zum Ende ausharren sollen? Vielleicht war es ja nach der Pause ganz toll? Zumal ja auch der Kritiker von der Süddeutschen Zeitung ganz begeistert war. Wie dem auch sei. Ich bin, wenn auch mit schlechtem Gewissen, einfach in der Pause gegangen. Vom Münchner Trash, vom Münchner Billignaturalismus  auf der Opernbühne habe ich einfach genug. Da werden doch wirklich  im Dialogues des Carmélites die Damen, die bei Gertrud von Le Fort und bei Bernanos noch Karmeliterinnen sind, zu Kolchosegenossinnen umgeschminkt und allesamt in ein kleines Blockhaus gepfercht (Achtung: Symbolik: geschlossene Gesellschaft. Französisch : Huis Clos) und während sie über Erlösung und Gnade, Tod und Martyrium, Gebet und Gehorsam, Weltflucht und Angst, Glaube und Hoffnung in Gott dialogisieren, da wischen sie den Fußboden, machen die Betten, kochen Marmelade, zupfen Blümchen  und trinken Kaffee. Ja, warum soll man das benediktinische  Diktum Ora et Labora nicht auch mal als Therapiestunden für ein schwatzendes Weiberkollektiv verstehen, eine Variante, die unserem aus Russland importierten Produktionsteam offensichtlich sehr behagt. Die junge Blanche ist ein spätes altjüngferliches Mädchen, Schwester Marie de l’Incarnation, die Subpriorin des Libretto, ist zu einem dragonerhaften Brigadier mutiert, die im Todeskampf von ihren Untergangsvisionen gequälte Priorin siecht natürlich nicht wie die Kameliendame dahin, sondern stürzt spektakulär an der Tür ‚entseelt’ zu Boden (Achtung: ‚Mehr Licht’. War das vielleicht gemeint?). Mehr Licht hätten wir uns auch auf der Bühne gewünscht –  und manchmal auch im Zuschauerraum. Zu den vollständig unmotivierten Szenenwechseln (es bleibt immer beim Blockhaus: mal mit Tisch, mal mit Bett, mal mit Blümchen, mal mit Konfitüre, mal mit Händchenhalten) dürfen wir im Zuschauerraum bange Minuten im Dunkeln sitzen – zur Zwangsmeditation. War das gemeint?  Ein Vorschlag an die Intendanz: wenn Ihr, um anspruchsvolle Texte in Szene zu setzen, schon keinen Loy oder Guth engagieren wollt oder könnt, dann führt doch Stücke, mit denen Ihr nichts anzufangen wisst oder deren aufgesetzter katholischer Doktrin Ihr mehr als fern steht, lieber konzertant auf. Musizieren und singen, das könnt Ihr doch noch immer auf hohem Niveau. Fragt sich nur, wie lange noch. Und fragt sich auch, wann es Euch endlich gelingt, vor leerem Haus bzw. nur noch vor Eurem  zwangsverpflichteten Personal zu spielen. Wir  sahen die Aufführung am 8. April. Die Premiere war am 28. März 2010.