Sängerfest im Hollywood Spektakel. Hector Berlioz, Les Troyens an der Wiener Staatsoper

Eine banale Beobachtung: Opéra National de Paris und Wiener Staatsoper spielen in derselben Liga: Sängerstars der internationalen Opernszene, aufwendiges und teures Ausstattungstheater – meist im traditionellen Zeffirelli Stil – exorbitante Kartenpreise, Touristen, die den Event, Melomanen, die den Kick suchen (den ‚Orgasmus in der Opernloge‘, hätte wohl Stendhal gesagt), ältere Damen und Herren im Ruhestand, die seit vielen Jahrzehnten ihr Abonnement in der Staatsoper haben und nicht zu vergessen die Queers, die für Sängerinnen mittleren Alters schwärmen. Und wie es sich für Häuser in dieser Preisklasse gehört: grandiose, exzellente Aufführungen, wenn man Glück hat – unsägliche, abgespielte Flops, wenn man Pech hat.

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Faschismus auf allen Seiten oder der ewige Kreislauf von Gewalt und Macht, Lüge und Intoleranz. Torsten Fischer inszeniert Rossini, Guillaume Tell am Theater an der Wien

Die Aktualisierung einer ‚grand opéra‘, die man in Paris bei Kriegenburgs Inszenierung der Huguenottes vermisste, hier in Wien bei Fischers Version von Guillaume Tell findet sie sich geradezu im Übermaß.

Dieser Tell, wie Fischer ihn in Szene setzt, ist kein Freiheitsheld, kein nobler Résistance Kämpfer, sondern ein brutaler Macho und Familientyrann, der, koste es, was es wolle, seine private Fehde mit dem Gouverneur Gesler durchziehen will. Dieser Gesler ist kein Landvogt der Habsburger, sondern der Kommandeur einer  hochgerüsteten Eingreiftruppe, die in der Kampfmontur von heute auftritt. Gespielte Zeit ist vielleicht die Zeit des zweiten Weltkriegs. Die eingespielten Videos, die Bomber und Jäger aus den Vierzigerjahren in Aktion zeigen, legen eine solche Assoziation nahe. Ist der Gouverneur Gesler vielleicht ein hoher SS-Offizier?

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Beziehungskiste nebst Krimi. Alcina als Soap-Opera im Theater an der Wien

Jetzt haben wir in diesem Jahr zum zweiten Mal eine Inszenierung erlebt, bei der die Regie mit Händels Alcina wenig anzufangen weiß, allen Zauber zerstört und aus einer Opera seria eine Soap-opera macht.

Halten wir der Wiener Aufführung zu Gute, dass es hier nicht ganz so schlimm zugeht wie bei den Karlsruher Händel Festspielen. Dort hatte Captain Roger von der Army sich in der Luxusvilla seiner schwangeren Mätresse eine Auszeit genommen. Doch kaum hat er von seinem alten Ausbilder eine Standpauke abbekommen, da besinnt er sich auf seine militärischen Pflichten und macht zum Abschied Kleinholz aus dem Haus der Mätresse.

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Im Habsburger Opernmuseum. Capriccio und Samson et Dalila an der Wiener Staatsoper

„Karajan hat gesagt – so wird kolportiert -, es gibt 40 großartige Abende (von den 240 im Jahr), und über den Rest breitet man den Mantel des Schweigens“. Mit Ariodante, Händels Oper, die wir am 8. März 2018 in der Staatsoper besuchten, war wohl unserer Kontingent an „großartigen Abenden“ für das erste Halbjahr schon erschöpft, und so breiten wir am besten „den Mantel des Schweigens“ über Capriccio aus und erinnern  uns lieber an die „großartigen Abende“ wie sie in Frankfurt, Paris und Brüssel mit Capriccio zu erleben waren.

Und wie war’s mit Samson et Dalila? Über diese Aufführung braucht man nicht „den Mantel des Schweigens“ zu breiten. Doch „großartig“ war dieser Abend auch nicht unbedingt. Anders ausgedrückt: zwei Starsänger haben den Abend gerettet. Mit  Roberto Alagna als Samson und Elina Garanca als Dalila waren die beiden Hauptrollen exzellent besetzt: die kühle Schöne mit der verführerisch gurrenden Stimme, der von Anfang an stimmlich so mächtig auftrumpfende ‚Held‘, den die femme fatale, ganz wie es dem Schema entspricht, zum Jammerlappen macht und der seine große Rache, die ihm das Libretto verspricht, nur in der Imagination erlebt.

Samson et Dalila ist ein hybrides Opus, eine Melange aus Oratorium, Operette (sic!) und Bacchanal – und entsprechend schwer hat es die Regie. So setzt Theatermacherin  Alexandra Liedtke auf eine vorsichtige Aktualisierung des biblischen Plots, ohne sich auf eine nahe liegende Politisierung des Geschehens einzulassen. So wird halt im ersten Akt mit den konventionellen Operngesten gejammert und geklagt, Jahwe um Hilfe angerufen und gemeuchelt. Nein, nicht nur. Im Finale tritt Dalila als Frühlingsgöttin auf, betört den Helden mit ihrem verführerischen Gesang („Printenps qui commence“) und reicht ihm eine Schale mit einem Getränk. Ist es Wein oder ist es Circes Zaubertrank? Letzteres wohl. Unser Held hat vom Weibergift genossen – und es wirkt.

Im zweiten Akt empfängt die kühle Blonde im weiten Bademantel einer keuschen Hausfrau den unbedarften Helden im großbürgerlichen Badezimmer. Eine Szene, die in ihrer Spießigkeit nicht der Operetten-Komik entbehrt. Nein, sie plantscht nicht mit ihm in der Badewanne. Sie bespritzt ihn nur vorsichtig mit Wasser. Als Sirene weiß  sie um die Macht ihrer erotischen Stimme: “Mon coeur s’ouvre à ta voix“  und schneidet dem Möchte-Gern-Liebhaber ein Löckchen ab. Wer dabei an Kastration denkt –  „Honi soit qui mal y pense“ -, der hat halt einen postfreudianischen Schaden. Vor so einem Übel wollte unsere  Theatermacherin, indem sie die komödiantischen Züge der Szene betont, ihr Publikum ganz bestimmt bewahren.

Im dritten Akt kommen dann doch noch die Voyeurs auf ihre Kosten. Zur französischen Oper gehört traditionell das Ballett. So darf denn die Tanzgruppe ein Bacchanal veranstalten und den armen Samson malträtieren (Pardon, das Double von Samson. Der richtige Samson konnte sich noch rechtzeitig vor den Souffleurkasten retten). Ehe ich es vergesse: einen Stuntman, der für uns Zuschauer den Palast der Feinde des Samson im Feuer untergehen lässt, den gibt es auch. Für Samson ereignet sich diese schöne Zirkuseinlage nur in der Imagination. Die Stärke, die ihm Jahwe – so wollte es der biblische Plot –  noch einmal verleiht, ist der Wunschtraum eines körperlich und seelisch vernichteten Mannes. Eine durchaus schlüssige Variante des Samson-Mythos. Eine Pointe indes, die es nicht mit dem Finale aufnehmen kann, für das sich Damiano Michieletto in  seiner Pariser Inszenierung entschieden hat. In Paris erschlägt Michieletto Saint-Saens mit der Wagner-Keule. Als Brünnhilde der Götterdämmerung zündet Dalila den Palast an und macht Samson glauben, Jahwe habe zu seinen Gunsten interveniert.

Samson et Dalila, wie es in Wien zu hören und zu sehen ist, ist das nun, wie einst Julius Korngold meinte (so zitiert ihn das Programmheft auf Seite 80)  Musik, „die auf der Zunge zergeht – feinste Himbeercreme in Des – und die doch auch die Linie der Empfindung überzeugend nachzeichnet“? Oder ist diese Musik vielleicht doch nur der überaus eingängige Soundtrack zu einer femme fatale Variante, die hier in Wien zur Story von der Badezimmersirene und dem unbedarften Macho reduziert wurde?

Wie dem auch sei. Schön und brillant gesungen wurde alle Male. Die Inszenierung ist nur konventionell. Wer Musiktheater in anspruchsvollen modernen Inszenierungen erleben will, der geht in Wien zum Theater an der Wien und nicht zur Staatsoper.

Wir besuchten Samson et Dalila am 18. Mai 2018, die „3. Aufführung in dieser Inszenierung“.

 

 

 

In Pucks Phantasie-Welt nebst Frühlingserwachen in der Schule. Michieletto inszeniert Britten, A Midsummer Night’s Dream am Theater an der Wien

Bei Theatermacher  Michieletto  sind wir nicht am Hofe von Theseus und Hippolyta. Da verirren sich die Liebenden auch nicht im Athener Wald. Da ereignet sich alles in der Turnhalle einer englischen Internatsschule – und in der Imagination eines traumatisierten Teenagers, der sich auf der Flucht vor seinem Trauma eine eigene Welt erschafft (Was es mit dem Trauma auf sich hat, das erfährt das Publikum erst im Finale). In dieser Welt der Phantasie werden die jüngsten Mitschüler zu tölpelhaften Elfen, die älteren zu Laienschauspielern, die sich mit einem Theatercoup außer Fassung bringen lassen oder  zu  Liebespaaren, die an sich selber irre werden. In dieser Welt wird das Kuscheltier zum  Monster und der traumatisierte Einzelgänger  zu Puck, dem Faktotum des Elfenkönigs, das mit all diesen Streichen seine Mitschüler erschrecken und verwirren darf.

Eine durchaus einsichtige und das Stück tragende Grundkonzeption, der alles Romantisierende widerstrebt, die auf die komisch-grotesken Einschübe, wie sie das Libretto vorgibt, nicht verzichtet und die doch den Schwerpunkt auf Traumata und Albträume setzt, die eine Welt in Szene setzt, die ihre Fluchtpunkte weniger bei Shakespeare als bei Strindberg, Freud und Jung hat.

Gleich die erste Szene weist in diese Richtung. Ein sich von allen anderen  fern haltender Schüler will sich vom Direktor und seiner Mitarbeiterin (bei Shakespeare Theseus und Hippolyta)  partout nicht disziplinieren lassen. Kaum lassen diese von ihm ab, holt er aus seinem Ranzen eine Halbmaske, setzt sie sich auf, und schon phantasiert er sich das Elfenreich herbei: eine groteske Horde von Internatsschülern, die zu ihren englischen Schuluniformen Perücken und Masken tragen. Anders als ihr Gefolge im Elfenreich sind Oberon und Tytania von Kostüm und Maske her keine Märchenfiguren, sondern ein Paar mittleren Alters aus der Welt von heute. Oder anders gesagt: beide bewegen sich auf einer Mittellinie zwischen Märchenwelt und  ‚Wirklichkeit‘. Auch dies erklärt sich im Finale.

Bis dahin geht es turbulent in der Turnhalle zu – ganz wie wir das vom Sommernachtstraum her kennen. Da  spielen die Liebespaare ‚Bäumchen verwechsel dich‘, lieben sich und zanken sich. Da mimen in den  Handwerker Szenen gute Schauspieler schlechte Schauspieler. Kein Frage, dass dies alles gekonnt und unterhaltsam in Szene gesetzt wird und dass gesungen und gespielt wird, wie es dem hohen Niveau des Hauses entspricht.

Im Finale wird es dann noch einmal ernsthaft. Das groteske Schauspiel, in  das die Mimen des Schülertheaters das Sterben von Pyramus und Thysbe verdrehen, hat für den Schüler Puck gleichsam die Wirkung eines Heilschlafs. In die Figuren von Oberon und Tytania hatte er – so erfahren wir über Videos –   seine bei einem Verkehrsunfall umgekommenen Eltern projiziert. Im Schlaf, im Sommernachtstraum, befreien ihn die Phantasiefiguren von seinem Trauma und lassen ihn die ‚Wirklichkeit‘ akzeptieren.

Ein vielleicht etwas zu forcierter Schluss, der sich doch aus der von Anfang an angelegten Aufwertung der Figur des Puck ergibt. Eine Aufwertung, die seltsamerweise nicht von der Musik gestützt wird. Die Rolle des Puck ist  bei Britten eine Sprecherrolle. Doch dank der überragenden  Maresi Riegner wird die Figur des Puck auch in der Oper zu einer Hauptrolle, zur tragenden Hauptrolle in der Grundkonzeption der Inszenierung.

Absoluter Star im Bereich der Musik ist ohne Zweifel Oberon  in der Person des Bejun Mehta. Ich hatte diesen Ausnahmesänger  schon länger nicht auf der Bühne erlebt. Bei diesem Sänger gibt es nichts zu bekritteln. Sagen wir es mit ein bisschen Pathos: die Macht dieser schönen Stimme ‚verzaubert‘ das Publikum.

Wir besuchten die Aufführung am 25. April 2018, die Dernière. Die Premiere war am 15. April 2018.

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Versinken im Ästhetizismus. Ariodante an der Wiener Staatsoper

Beim Ariodante musizieren nicht die Wiener Philharmoniker. Händel ist nicht ihr Fall. Steht Händel auf dem Programm – und dies geschieht höchst selten – dann holt man sich in Wien  Gastorchester ins Haus. So war es schon vor nunmehr acht Jahren bei der Alcina, für die man Marc Minkowski mit seinen Musiciens du Louvre –  Grenoble verpflichtet hatte. Und jetzt beim Ariodante hat die Intendanz William Christie und sein Orchester Les Arts Florissants eingeladen, allesamt Spezialisten der Barockmusik, die auf historischen Instrumenten spielen. Orchester und Dirigent – das ist geradezu ihr Markenzeichen – bieten Händel vom Allerfeinsten, zelebrieren seine Musik. Schöner und besser geht es nicht. Mit einem Wort: an diesem Abend bietet die Wiener Staatsoper ihrem Publikum Opernkulinarik, ein Hochfest der Barockmusik und zugleich ein Fest der Stimmen.

Mit Sarah Connolly als Ariodante, Chen Reiss als Ginevra, dem Countertenor Christophe Dumaux in der Rolle des Intriganten Polinesso hat man Stars der Barockmusik engagiert. Auch die kleineren Rollen sind mit Rainer Trost als Lurcanio, Wilhelm Schwinghammer als Re di Scozia und Hila Fahima als Dalinda glänzend besetzt. Da gibt es nichts zu bekritteln. Auch hier können wir nur sagen: besser und schöner geht es wohl kaum. Ein Sängerfest. Ein Hochgenuss für die Melomanen.

Die Regie ist nicht ambitiös. Sie will keine neue Geschichte erzählen, hält sich eng an das Libretto und lässt den Sängern allen Raum zur Entfaltung. Prima la musica e dopo la messa in scena. Ähnlich zurückhaltend ist die Ausstattung. Schauplatz des Geschehens ist eine Art Klosterruine am Meer, zu der Ariodante und Lucarnio – beide sind erschöpft von ihren Aventüren – Zugang finden und  freundlich aufgenommen werden. Das Kloster, Residenz des Königs, ist Ort eleganter barocker Feste. Kronenleuchter hängen herab, die Tafeln sind reichlich gedeckt, eine Bibliothek steht zur Verfügung, eine Dienerschar sorgt sich um die Hofgesellschaft und deren Gäste usw. Nichts stört den Eindruck eines gezielten Ästhetizismus. Selbst Ginevras Albträume bleiben trotz all der grotesken Auftritte der Tanzgruppe im Rahmen einer barocken Hochkultur. Sie erinnern allenfalls, wenn man das so sehen will, an Victor Hugos romantische Ästhetik vom Grotesken als dem notwendigen Widerpart zum Schönen und Sublimen.

Was soll man da noch viel sagen. Die Regie, für die David McVicar verantwortlich zeichnet, fordert ihr Publikum nicht, lässt es einfach die Schönheit einer Aufführung genießen, lullt es geradezu ein, offeriert ihm ein Märchen für Erwachsene und lässt doch im Finale die Frage offen, ob das Paar Ariodante und Ginevra nach all den Irrungen und Wirrungen, die es erlitten hat, wieder zusammen finden wird. Vielleicht ist das schöne Märchen doch nur ein Antimärchen? So genau wollen und sollen wir es nicht wissen.

Wir besuchten die Vorstellung am 8. März 2018, die fünfte Aufführung in dieser Inszenierung. Die Premiere war am 24. Februar 2018.