Walhall in Ruinen zu englischer Schauerromantik: ein szenisch etwas simpler, ein musikalisch herausragender Siegfried an der Oper Leipzig

Am Anfang tut man sich eher schwer – vielleicht mit Absicht. Es zieht sich alles so dahin. Musik und Szene wollen nicht so recht in Fahrt kommen. Maestro Schirmer setzt auf Langsamkeit, auf das Sachte und auf das Piano, und ganz in diesem Sinne sieht auch die Regie von allem Spektakulären ab. Im Innenhof eines Kastells,  der über eine Art Zugbrücke erreichbar ist und vor einer Wiese, auf der sich im hohen Gras die Lemuren tummeln (oder sind es Wotans Helden bei der Morgengymnastik?), vor dieser Wiese haben Mime und Siegfried ihre mit Sesseln, Amboss und Herdplatte möblierte Wohnstatt. Es passiert nicht viel – außer der üblichen Balgerei zwischen dem Alten und seinem Zögling. Wie im Graben geht es auch auf der Bühne gemächlich zu, und im Publikum breiten sich Müdigkeit und ein Anflug von Langeweile aus.… → weiterlesen

Und Marguerite wird guillotiniert. Und der Teufel kommt mit Feuerschweif. Gounod, Faust (Margarethe) an der Oper Leipzig

Zur so eingängigen, in großen Teilen so populären und rührseligen Musik, der es fürwahr nicht an ‚Ohrwürmern‘ mangelt, bietet die Oper Leipzig als ‚Überbau‘ ein großes Spektakel in der Tradition der Grand Opéra.

Da rollen die Köpfe, da werden die Messer gezückt, da paradiert eine Hundertschaft von Soldaten aus der Zeit der Befreiungskriege, da liegen die Leichen zu Hauf herum, da ertränkt Marguerite das Baby in der Zinkbadewanne, da räkeln sich feurige Hände aus dem Bühnenboden gegen Marguerite, da verdammt eine groteske Horde von maskierten hohen Klerikern die Sünderin, da brennt das Kreuz, da legen die gefallenen Soldaten zur Walpurgisnacht einen Totentanz hin und massakrieren sich erneut, und die Flintenweiber wollen Faust verführen, da erschießt sich der unglücklich verliebte Siebel, da kriegt die arme Marguerite von einer sadistischen Soldateska den Kopf abgeschlagen, und der Teufel erscheint mit Feuer- und Nebelschweif. Gewalt und Tod und Brutalität als Leitthema der Inszenierung. Nur konsequent ist es da, dass Ort der Handlung die Halle im Leipziger Völkerschlachtdenkmal ist und die Regie das Geschehen in die Zeit der ‚Befreiungskriege‘ verlegt.

Ja, wer diese zweifellos gekonnt inszenierte Melange aus drastischem Pseudorealismus, Zauberspiel und Tragödie um das im späten 18. Jahrhundert so beliebte Motiv des verlassenen Mägdeleins mag, der kommt sicherlich auf seine Kosten. Dem Publikum hat es gefallen. Ich fand das alles ziemlich konventionell und im Vergleich mit der Faust Inszenierung in Amsterdam eher simpel und einfallslos (in Amsterdam spielt man weder eine Gewaltorgie noch eine Gretchen Tragödie, sondern die Tragödie eines jungen Professors der Biochemie, der an einem Homunculus Projekt arbeitet und der den Satan zu Hilfe ruft. Marguerite ist nur scheinbar eine authentische Figur. Sie ist das Produkt der Experimentierlust des Professors, ein Präparat aus dem Labor).

Ein Trost für alle, die Gounod lieben: in der Leipziger Oper wird in allen Rollen herausragend schön gesungen, und Marguerite in der Person der Olena Tokar ist von Stimme, Spiel und Bühnenerscheinung her ein geradezu anrührendes Gretchen. Ein schöner, wenn auch ein recht konventioneller Opernabend in Leipzig.

Wir sahen die Aufführung am 9. November, die vierte Vorstellung in dieser Inszenierung.

 

 

Die Frigiden, die Impotenten und die Fernseh- und Kino-Klischees. Eine ziemlich flachbrüstige Frau ohne Schatten an der Oper Leipzig

Man muss diese Melange aus orientalischem Zaubermärchen und Zola-Proletarieridylle, diesen Quark aus  Machogehabe, Mutterschaftskomplexen, Menschheitsrettung und spießigem Frauenbild, zu dem Strauss die „schöne Musik“ beigesteuert hat, ja nicht unbedingt mögen. Es muss  auch nicht gleich ein „Klangfarbenrausch“ in einem Ambiente aus Max Ernst Collagen sein – wie vor fünf Jahren in Zürich. Es muss ja auch nicht ein Hochamt der Kunst nebst ‚Szenen einer Ehe‘ sein, wie es im Sommer 2011 die Herren Thielemann und Loy in Salzburg zelebrierten. Es brauchen ja auch nicht die geradezu hypnotisierenden Pianissimi zu sein –  in der Klinik des Dr. Freud nebst angeschlossenem Waisenhaus – wie unlängst in der Bayerischen Staatsoper. Aber irgendetwas sollte es schon sein.  Und dieses Irgendetwas fehlte wohl in Leipzig.

Als simpler Opernbesucherin steht es mir nicht zu, zur Strauss Interpretation Kritisches anzumerken. Es mag ja auch sein, dass ich die Aufführungen in Zürich, Salzburg und München in verklärter Erinnerung habe. Doch mit Verlaub gesagt: was da in Leipzig zu hören war, das waren keine ‚rauschhaften Klänge‘. Das klang alles so seltsam verhalten und zurückgenommen. Eine Auffassung, die zweifellos in höchster Perfektion umgesetzt wurde. Wie dem auch sei. Ich sage einfach: es hat mir nicht gefallen, und ich fand vieles langweilig und – so zum Beispiel die berühmte Kaiser-Szene im zweiten Akt – enttäuschend. Und dies trotz des ‚großmächtigen‘ Orchesters. Trotz der renommierten Sänger, die in Leipzig sangen und agierten.

Aber vielleicht hat sich die Musik auch nur der Inszenierung angepasst, einer Inszenierung, die Hofmannsthals Libretto alle hybride Symbolik und alles Märchenhafte ausgetrieben und sich für das Simple und Eindimensionale entschieden hat. Ganz in diesem Sinne reduziert die Regie das Geschehen auf eine Aneinanderreihung von Klischees aus populären Film- und Fernsehserien und Klatschillustrierten. Der Kaiser ist ein schicker Offizier, die Kaiserin ein Sissi-Verschnitt, der Färber macht seine Geschäfte im Rotlichtviertel mit gebrauchten Fernsehapparaten (ein peinlich überdeutliches Signal auf das Inszenierungskonzept). Für die Färberin zaubert die Amme gleich den Wiener Hofball und eine Nacht in Venedig mit dem schicken Offizier (dem Kaiser?) herbei, zwei Filme, in denen die arme Klatschmagazin Leserin selbst  die Sissi spielen darf. Der Edelproletarier erträumt sich eine Rolle als Biedermeier Wohltäter im Waisenhaus, der Geisterbote ist der Sheriff aus dem Western. Nicht genug damit. Der erste Teil des dritten Akts spielt auf der Golden Gate Bridge, unter der die Voyeurs (oder sind das die ungeborenen Kinder?) darauf warten, dass sich Amme und Kaiserin herunterstürzen. Tun sie aber nicht. Zum Finale sammelt man sich stattdessen im Lagerraum eines Skulpturen Museums. Dort dürfen die beiden Frauen Kaukasischer Kreidekreis spielen, in dem der Falke, ein schlanker Knabe, das Objekt der beiderseitigen Begierde spielt. Und da, wie wir noch aus dem Libretto wissen, die Kaiserin ihre Probe besteht und Kind und Schatten und Fruchtbarkeit der Frau aus der Unterschicht überlässt, steht ganz wie in der Operette, dem Klatschmagazin, der Fernsehserie der Doppelhochzeit nichts mehr im Wege. Im gemeinsamen Potenz- und Fruchtbarkeitsfest versöhnen sich die Klassen, und eine Hundertschaft von Kinderwagen rollt auf die Szene.

Unerträglicher Kitsch. Wenn man diesen Quark auch noch so banalisiert, wie das in Leipzig geschieht, dann kann auch der gute Strauss nicht mehr helfen. Wie sagte noch das Mariandl im Rosenkavalier: „Die schöne Musik! Da muß ma weinen“ – ob der Inszenierung. Allgemeiner Jubel im Publikum: bei würdigen Rentnerpaaren und eleganten Queers.

Wir sahen die Premiere am 14. Juni 2014.

Wenn der Postmann zweimal klingelt…

Leipzig, dritte Aufführung von Strawinskys The Rake’s Progress am 24. April 2014. Zerlina ist verhindert und vermacht einem kleinen Mann vom Lande – nennen wir ihn Pécuchet – ihre Opernkarte. Als der silbrig glitzernde Lamettavorhang sich nach einem scheinbar harmlosen Auftakt in Schwiegervaters Garten zum zweiten Mal über dem Biedermann mit dem Allerweltsnamen Tom Rakewell (Norman Reinhardt) hebt, staunt der brave Provinzler Pécuchet nicht schlecht angesichts des Aufgebots an Verführungen, mit dem der Sündenpfuhl London seinem Bruder im Geiste bei dessen Ankunft in der Hauptstadt aufwartet. Bald an der einen, bald an der anderen Stelle, bald alle gleichzeitig aufblinkend, schweben in neonfarbenen lateinischen Lettern die sieben Todsünden wie Leuchtreklamen für einschlägige Etablissements von der Decke – Zerlina, da ist Pécuchet sich sicher, wär’s eine helle Freude gewesen! In einem als Planschpool ausstaffierten Puff zu Füßen der knallbunten Buchstaben üben sich die so spärlich wie schrill kostümierten „kopulierenden Körper“ der Chormitglieder im „Poppen zur poppigen Todsündenbeleuchtung“, schreibt Tobias Prüwer im aktuellen Stadtmagazin Kreuzer, während BILD Leipzig den Premierenabend „trotz Sex“ leider nicht „OPERGEIL“ fand und das bigotte Organ der Sittenwächter mit Damiano Michielettos Deutschlanddebüt eine neue „Schmuddel“-Ära heraufziehen sah: „Seit Konwitschnys Abgang haben wir derlei nicht mehr ertragen müssen. Mit Schirmer war wieder Pracht und Verzauberung ins Haus eingezogen. War’s das jetzt?“… → weiterlesen

Karneval in Leipzig und Wagner als Operettenkomponist. Das Liebesverbot oder die Novize von Palermo an der Oper Leipzig

Von Shakespeares sogenanntem „Problemstück“ Maß für Maß, das Wagner in eine „Große komische Oper“ verwandelt hat, bleibt bei dieser Verwandlung allenfalls noch das Gerüst übrig. Und von Wagners komischer Oper, die man in Leipzig in eine große Karnevalsoperette transformiert hat, bleiben gerade noch  Aktion und Akteure übrig. In diesem Stück, wie es uns in Leipzig präsentiert wird, geht es nicht um „Verdrängungsmechanismen“, um die „Huldigung des sinnlichen Lebens“ und auch nicht um „den Abfall in die Niederungen  der frivolen italienisch-französischen Modeoper“. Hier geht es nicht um Freud avant la lettre, nicht um das Freiheitspathos des „Jungen Deutschland“ und auch nicht um eine Auseinandersetzung mit damaligen „Modeopern“.

Hier geht es einfach um Karneval und um nichts anderes.… → weiterlesen

„Zu viel! Zu viel“! Zucker, Kitsch, Sängerfest und Auschwitz. „Zu viel! Zu viel!“ Manon Lescaut – eine Wiederaufnahme an der Oper Leipzig

Manon Lescaut – wer Puccini mag, der findet hier alles, was er liebt: Zucker, Schmelz, Belcanto, Verweise auf frühe Werke, variierende Selbstzitate, leicht angedeutete Verweise auf Wagner, Liebe, Lust, Leid, Schmerz, Tod, Jammerjüngling, Femme fragile und Frauenleiche, Kitsch im Übermaß. Ja, wer’s denn mag.

Keine Frage: es ist einfach bewundernswert, wie Nadja Michael die Manon Lescaut singt und spielt: diese Mischung aus scheinbarer Naivität, Sex- und Lebensgier, Sucht nach Geld und Luxus, Sehnsucht nach der großen Liebe. Der arme Chevalier Des Grieux (in der Person des Stefano La Colla), mag er auch noch schön den Latinlover singen und mimen, hat da alle Mühe mitzuhalten.

Da wird nun an diesem Sonntagnachmittag, am Karnevalssonntag, im Leipziger Opernhaus so wundersüß Puccini gesungen und gespielt, dass es eine Lust sein könnte, ja wenn so manche Besucher nicht so unruhig gewesen wären und nicht ständig hätten tratschen müssen, ja und wenn die  Regie, die doch mit leichter Hand und  in ironischer Distanz so schön mit Film- und Opernzitaten begonnen hatte, nach der zweiten Pause nicht die Auschwitz Keule hervorgeholt und damit alle Schwerelosigkeit und jedwede Ironie gewaltsam zerstört hätte. Bei einer solchen Konzeption wird dann schnell aus der Deportation nach Amerika, zu der beim Abbé Prevost die leichten Mädchen verurteilt werden, das Selektieren und Zusammentreiben von allerlei dunkel gekleideten Gestalten  und  von Mädchen vom Gewerbe durch SS Männer auf der Rampe von Auschwitz. Und der französische Kapitän, der Erbarmen mit dem verzweifelten Liebhaber hat, wird dann in seinem Auftreten zum Kollaborateur.  Nicht genug damit. Die Fahrt führt nicht mehr nach Amerika und endet für Manon auch nicht in der Wüste. Sie stirbt in einem riesigen mit rostfarbenem Blech bis zur Decke ausgekleideten geschlossenen Raum, aus dem es keine Rettung gibt. Die Assoziationen sind  überdeutlich: die arme Manon, die doch nur Liebe und Luxus wollte, ein Opfer von SS Schergen? Und der glatzköpfige Lustgreis Geronte, der sie zu seiner Mätresse gemacht hatte, dieser aus dem Simplicissimus entlaufene Spießer, hat sie aus Rachsucht bei den Nazis denunziert? „Zu viel!. Zu viel!“ Oder vielleicht doch noch zu wenig. Die schwatzende Dame hinter mir, hat die die Nazi-Referenz, obwohl sie sich geradezu aufdrängte, erst gar nicht begriffen. Le Havre – kommentierte sie den Schauplatz des dritten Akts. Richtig. Steht ja auch so im Programmheft. Nur nicht im Regiebuch des hochberühmten Theatermachers  Giancarlo del Monaco.

Wir sahen die Aufführung am 2. März 2004. Die Premiere war am 9. März  2008.