Karneval in Leipzig und Wagner als Operettenkomponist. Das Liebesverbot oder die Novize von Palermo an der Oper Leipzig

Von Shakespeares sogenanntem „Problemstück“ Maß für Maß, das Wagner in eine „Große komische Oper“ verwandelt hat, bleibt bei dieser Verwandlung allenfalls noch das Gerüst übrig. Und von Wagners komischer Oper, die man in Leipzig in eine große Karnevalsoperette transformiert hat, bleiben gerade noch  Aktion und Akteure übrig. In diesem Stück, wie es uns in Leipzig präsentiert wird, geht es nicht um „Verdrängungsmechanismen“, um die „Huldigung des sinnlichen Lebens“ und auch nicht um „den Abfall in die Niederungen  der frivolen italienisch-französischen Modeoper“. Hier geht es nicht um Freud avant la lettre, nicht um das Freiheitspathos des „Jungen Deutschland“ und auch nicht um eine Auseinandersetzung mit damaligen „Modeopern“.

Hier geht es einfach um Karneval und um nichts anderes. Hier nimmt der junge Wagner in seinen Parodien auf die „Modeopern“ seiner Zeit die Opernparodien des Kölner Karnevals, konkret: die Opernparodien des Kölner Männergesangvereins Cäcilia Wolkenburg gleichsam schon vorweg. Und nicht nur die Musik auch die Handlung könnte eine Vorlage für den Kölner Karnevalsverein sein. Da gibt es den Tugendbold, der gewaltsam alle Lust und damit auch allen Karneval unterdrücken will und der von der scheinbar so keuschen Nonne, die recht schnell ihr Verführungspotential entdeckt, wach geküsst wird. Der herrschsüchtige Moralinprediger, der statt sich mit der vermeintlichen Geliebten zu vergnügen sich mit der verlassenen und wieder gefundenen Ehefrau trösten muss. Da gibt es das Buffopaar, den Miles gloriosus, vulgo: den überaus korpulenten, tollpatschigen Sergeanten und die schöne Kellnerin, da gibt es den großsprecherischen Vorstadt-Casanova, der wegen einer Weibergeschichte in Schwierigkeiten steckt und den natürlich sein Schwesterchen, die clevere Novizin, rettet, und da gibt es das ganze Stadtviertel, das in Karnevalsmasken feiert und trinkt und tanzt – ohne Furcht vor der Obrigkeit, mag sich diese auch noch so drohend aufspielen. Der Stoff, aus dem der Karneval ist oder für die Gebildeten, pardon: die Verbildeten unter uns, Karneval, wie ihn Bachtin in seinem Standardwerk „Literatur und Karneval“ beschreibt: die allgemeine Familialisierung, die Profanisierung, die Exzentrik, die Vorliebe für den grotesken Leib usw. All dies und noch vieles mehr setzen ein  spielfreudiges Ensemble und ein ausgelassener Chor mit Bravour in Szene. Allen voran Christiane Libor in der Rolle der Isabella, der gewitzten Novizin. Eine Wagnersängerin mit umwerfendem komödiantischem Talent und nicht zuletzt mit einem Hang zur Selbstironie, wenn sie gleichsam so nebenbei noch die Wagnerheroine parodiert. Wagner als Operettenkomponist.

Man stelle sich nur einen Augenblick vor, Wagner hätte nicht die großen Welten- und Erlösungsdramen geschrieben und sich stattdessen auf die Operette und auf die komische Oper verlegt oder hätte zum Lohengrin und zum Tannhäuser gleich selber die Parodie geliefert. Eine unmögliche Vorstellung. Doch bei dieser Leipziger Karnevalsoperette, die nach ihren Bayreuther Aufführungen jetzt am Karnevalssamstag wieder ins Programm genommen wurde, kommen einem leicht solch ketzerische Gedanken.

Wir sahen die Vorstellung am 1. März 2004, die vierte Aufführung in dieser Inszenierung.