Die Frigiden, die Impotenten und die Fernseh- und Kino-Klischees. Eine ziemlich flachbrüstige Frau ohne Schatten an der Oper Leipzig

Man muss diese Melange aus orientalischem Zaubermärchen und Zola-Proletarieridylle, diesen Quark aus  Machogehabe, Mutterschaftskomplexen, Menschheitsrettung und spießigem Frauenbild, zu dem Strauss die „schöne Musik“ beigesteuert hat, ja nicht unbedingt mögen. Es muss  auch nicht gleich ein „Klangfarbenrausch“ in einem Ambiente aus Max Ernst Collagen sein – wie vor fünf Jahren in Zürich. Es muss ja auch nicht ein Hochamt der Kunst nebst ‚Szenen einer Ehe‘ sein, wie es im Sommer 2011 die Herren Thielemann und Loy in Salzburg zelebrierten. Es brauchen ja auch nicht die geradezu hypnotisierenden Pianissimi zu sein –  in der Klinik des Dr. Freud nebst angeschlossenem Waisenhaus – wie unlängst in der Bayerischen Staatsoper. Aber irgendetwas sollte es schon sein.  Und dieses Irgendetwas fehlte wohl in Leipzig.

Als simpler Opernbesucherin steht es mir nicht zu, zur Strauss Interpretation Kritisches anzumerken. Es mag ja auch sein, dass ich die Aufführungen in Zürich, Salzburg und München in verklärter Erinnerung habe. Doch mit Verlaub gesagt: was da in Leipzig zu hören war, das waren keine ‚rauschhaften Klänge‘. Das klang alles so seltsam verhalten und zurückgenommen. Eine Auffassung, die zweifellos in höchster Perfektion umgesetzt wurde. Wie dem auch sei. Ich sage einfach: es hat mir nicht gefallen, und ich fand vieles langweilig und – so zum Beispiel die berühmte Kaiser-Szene im zweiten Akt – enttäuschend. Und dies trotz des ‚großmächtigen‘ Orchesters. Trotz der renommierten Sänger, die in Leipzig sangen und agierten.

Aber vielleicht hat sich die Musik auch nur der Inszenierung angepasst, einer Inszenierung, die Hofmannsthals Libretto alle hybride Symbolik und alles Märchenhafte ausgetrieben und sich für das Simple und Eindimensionale entschieden hat. Ganz in diesem Sinne reduziert die Regie das Geschehen auf eine Aneinanderreihung von Klischees aus populären Film- und Fernsehserien und Klatschillustrierten. Der Kaiser ist ein schicker Offizier, die Kaiserin ein Sissi-Verschnitt, der Färber macht seine Geschäfte im Rotlichtviertel mit gebrauchten Fernsehapparaten (ein peinlich überdeutliches Signal auf das Inszenierungskonzept). Für die Färberin zaubert die Amme gleich den Wiener Hofball und eine Nacht in Venedig mit dem schicken Offizier (dem Kaiser?) herbei, zwei Filme, in denen die arme Klatschmagazin Leserin selbst  die Sissi spielen darf. Der Edelproletarier erträumt sich eine Rolle als Biedermeier Wohltäter im Waisenhaus, der Geisterbote ist der Sheriff aus dem Western. Nicht genug damit. Der erste Teil des dritten Akts spielt auf der Golden Gate Bridge, unter der die Voyeurs (oder sind das die ungeborenen Kinder?) darauf warten, dass sich Amme und Kaiserin herunterstürzen. Tun sie aber nicht. Zum Finale sammelt man sich stattdessen im Lagerraum eines Skulpturen Museums. Dort dürfen die beiden Frauen Kaukasischer Kreidekreis spielen, in dem der Falke, ein schlanker Knabe, das Objekt der beiderseitigen Begierde spielt. Und da, wie wir noch aus dem Libretto wissen, die Kaiserin ihre Probe besteht und Kind und Schatten und Fruchtbarkeit der Frau aus der Unterschicht überlässt, steht ganz wie in der Operette, dem Klatschmagazin, der Fernsehserie der Doppelhochzeit nichts mehr im Wege. Im gemeinsamen Potenz- und Fruchtbarkeitsfest versöhnen sich die Klassen, und eine Hundertschaft von Kinderwagen rollt auf die Szene.

Unerträglicher Kitsch. Wenn man diesen Quark auch noch so banalisiert, wie das in Leipzig geschieht, dann kann auch der gute Strauss nicht mehr helfen. Wie sagte noch das Mariandl im Rosenkavalier: „Die schöne Musik! Da muß ma weinen“ – ob der Inszenierung. Allgemeiner Jubel im Publikum: bei würdigen Rentnerpaaren und eleganten Queers.

Wir sahen die Premiere am 14. Juni 2014.