Sehr oben und ziemlich unten. Seltsame Qualitätskontraste bei den Händel-Festspielen in Halle 2014

Wir wollen nicht verallgemeinern. Haben wir doch nur vier Veranstaltungen besucht. Zwei Opernabende: Almira und Arminio im Musiktheater Halle, ein Konzert in der Ulrichskirche und eine Oper, Giove in Argo, im Goethe-Theater in Bad Lauchstädt.

Natürlich ist Julia Lezhneva  mit ihrer „Engelsstimme“ beim Festkonzert in der Ulrichskirche der absolute Star. Allein um diese junge Ausnahmesängerin wieder live zu erleben, lohnt sich schon die Reise in die ferne Provinzstadt. Schade nur, dass die schon in den 70er Jahren in eine Konzerthalle umgebaute gotische Kirche einen so eigentümlichen Nachhalleffekt hat. Aber vielleicht hatten wir auch nur ungünstige Plätze.

Und die drei Opern? Arminio und Giove in Argo aus der späten Londoner Zeit und Almira aus Händels früher Hamburger Zeit. Es mag sein, dass das „Singspiel“ Almira, Königin von Kastilien, nicht unbedingt ein Geniestreich des jungen Händel gewesen ist und dass das Publikum am Gänsemarkt die eher seichte Unterhaltung liebte. In Halle hat jetzt die Regie noch eins drauf gesetzt und eine Mischung aus Komödienstadl, Benatzky-Operette und Millowitsch-Theater  in Szene gesetzt. Das mag alles witzig und vielleicht auch parodistisch gemeint sein. In diesem Sinne geraten denn auch zum Gaudi des Publikums Szenen, in denen die Amor Statue lebendig wird und ihren Liebesopfern Pfeile in den Hintern schießt oder die Prinzessin ihren scheinbar untreuen Liebhaber in eine Art Hühnerstall, der sich justamente auf der Rückseite ihres Thrones findet, einschließt, zu den Höhepunkten der Aufführung. Und wenn dann noch dazu, um es vorsichtig zu sagen, nicht alle Rollen optimal besetzt sind, dann ertappt sich die Opernbesucherin schon mal bei dem Gedanken, ihr ‚krudes Schicksal beweinen zu wollen‘,  bei hochsommerlichen Temperaturen eine sich ewig in die Länge ziehende und nicht unbedingt vortreffliche Aufführung ertragen zu müssen.

Zwei Tage später, beim Arminio, ist man dann mit der Oper Halle wieder versöhnt. Ein temperamentvoll aufspielendes Orchester, das die so beliebten Melancholie Exzesse gänzlich vermeidet, zwei brillante Countertenöre, eine nicht minder brillante Primadonna, eine geistvolle und spritzige Regie, die mit Opernzitaten und Metatheaterverweisen nur so um sich wirft: die Szene ist ein Theater auf dem Theater nebst Zuschauerraum. Arminio ist der Siegfried, der sich sein Schwert schmiedet, Tusnelda ist in Kostüm und Maske eine Brünnhilde, Arminios Schwester ein Zerbinetta Verschnitt, Segeste,  im Outfit ein alter gallischer Krieger, könnte wohl gerade aus der Probe zur Norma entlaufen sein, und sein Sohn  könnte wohl  Don Carlo  mimen.

Doch die Inszenierung will nicht nur spielen. Sie hat wohl auch mit ihrer Referenz auf die heutige Zeit oder, wenn man so will, auf das untergegangene Regime ein ernsthaftes Anliegen. Ist der von der Regie eingeführte stumme Beobachter, ein älterer Herr im Zweireiher, der auf der Bühne präsent ist, der Stasi-Mann, der die Arbeit der Künstler auf mögliche Subversivität verfolgt oder ist er der Beamte aus dem Finanzministerium von Sachsen-Anhalt, der die Subventionen streichen will? Das letztere ist wohl der Fall. Zum Finale überreicht die Inspizientin keine Blumen, sondern blaue Briefe: die Kündigung für die Künstler. Hoffen wir, dass dies nur Fiktion und keine aktuelle Wirklichkeit ist. Sonst müssten wir im nächsten Jahr ernsthaft eine „cruda sorte“ beklagen.

So gelungen und so ansprechend Arminio in Szene und Musik auch war, Giove in Argo hat mir noch besser gefallen. Natürlich, eine vollkommen subjektive Einschätzung, zu der wohl auch das intime und direkt auf die Historie verweisende Ambiente in dem kleinen Haus beigetragen hat. Dass in diesem Theaterschuppen der junge Wagner Don Giovanni dirigiert haben soll, das kann man sich heute kaum noch vorstellen. Doch wir sind ja nicht bei Mozart und Wagner, sondern bei Händel, bei seinem gern als Pasticcio abgetanen Giove in Argo, ein Stück, das dem Zuhörer so manches Wiedererkennungserlebnis beschert, zumal wenn wie jetzt in Bad Lauchstädt die bekannten Stücke  von einem hochmotivierten und spielfreudigem Ensemble so brillant vorgetragen werden.

Die Regie hat sich für eine heutige Variante des mythischen Geschehens entschieden. Spielort ist der bescheidene Ankunftsraum eines Regionalflughafens. Die Göttin Diana ist zu einer adretten und energischen Chefin der Bundespolizei mutiert und lässt  ihre lesbischen Neigungen an einer jungen Dame aus, die ihrerseits von Jupiter – in Kostüm und Maske der unselige Capitano des bekannten Kreuzfahrerschiffs – umgarnt wird. Nicht genug damit. Jupiter hat es auch auf eine gerade angekommene sportliche junge Dame abgesehen, die ihrerseits ihren ermordeten Vater rächen will. Der Mörder ist der Vater der anderen Dame, die ihren Papa, einen Bankier (oder Gangster?) mit Geldkoffer, schützen will. Jupiter verspricht beiden Damen seine Hilfe, wenn sie …. Ja, wir wissen schon was.  Der übliche Buffa Wirrwarr, um  in Liebesdiskursen aller Arten zu brillieren.

All dies wird mit ‚Witz“ und Ironie und Parodie effektvoll in Szene gesetzt. Das Libretto, wenn man es wie hier Im Goethe-Theater geschickt zu aktualisieren weiß, bietet ja auch alle notwenigen Ingredienzen für einen Theaterspaß an: Latinlover, Zickenkrieg, eifersüchtig-dümmliche Liebhaber, Partygirls, Rachengel, Karrierefrau mit unterdrückten Wünschen, Raubmörder, der zur Strecke gebracht wird und lieto fine, bei dem alle Akteure mehr oder weniger düpiert und scheinbar glücklich sind.

In Bad Lauchstädt hat Theatermacher Kay Link gezeigt, wie man mit einfachen Mitteln aus einer Händel-Operette ein zeitgenössisches Gesellschaftspiel von heute und einen gelungenen unterhaltsamen Theaterabend machen kann, ohne dabei Händel und sein Libretto zur Klamotte zu verhunzen.

Wir besuchten die Aufführungen am 11., 12., 13. und 15. Juni 2014.