Tannhäuser unter Gauklern und Schnorrern – und Wolfram entjungfert Elisabeth. Die große Multimedia-Show in Bayreuth
Tobias Kratzer schafft frei nach Wagner „Neues“ , und Valery Gergiev bleibt brav beim Alten. So manches Mal habe ich den Tannhäuser schon gehört und gesehen ( zuletzt in der Münchner Produktion), und so manches Mal habe ich erlebt, wie die Inszenierung sich auf Kosten der Musik in den Vordergrund drängte. Doch wie jetzt „am geweihten Ort“ die Szene die Musik geradezu erschlägt, wie der berühmte Dirigent wenig oder gar nichts gegen die Übermacht der Story und der Bilder tut, wie sie die Regie präsentiert, das ist schon sehr ungewöhnlich und mag so manchen verknöcherten Wagnerianer irritiert haben. Doch für die überwältigende Mehrheit der Besucher war dieser neue Bayreuther Tannhäuser ein großer Spaß und umstürzlerisch nicht im geringsten.
Schon mit der Ouvertüre geht‘s so richtig los. Statt eines auf verrucht machenden Corps de Ballet gibt‘s eine Road Movie zu sehen. Der Sänger Tannhäuser zieht im Clownskostüm mit einer hübschen kleinen Blonden (bei Wagner eine Dame namens Venus), einem farbigen Transvestiten, Le Gateau Chocolat, und dem kleinwüchsigen Oskar, dem Trommler, in einem französischen Oldtimer Lieferwagen durch die Lande. Man liebt und kifft und schnorrt. Doch als Frau Venus im Parkhaus einfach den Wächter umfährt, da will Tannhäuser zum Unwillen seiner Freundin doch lieber aussteigen. Da hilft auch nicht mehr der Stop im Thüringer Märchenwald. Tannhäuser steigt aus – nicht nur im Wortverstande. Und findet sich („ein Wunder war‘s“) vor dem Festspielhaus wieder – bei seinen ehemaligen Kollegen, die gerade aus einer Kostümprobe zu den Meistersingern kommen, und schon ist der Aussteiger zwangsengagiert und fängt sich noch dazu eine Ohrfeige von Elisabeth ein. Dass diese Geschichte nicht gut ausgeht, das wissen wir noch aus anderen Inszenierungen. Hier wird es überdeutlich. Die Venustruppe fährt mit ihrem Oldtimer vor – und wird im zweiten Aufzug das Haus entern, sich unter die Gäste des Landgrafen mischen und das Fest aufmischen. Da kann die Festspielleitung nur noch die Polizei rufen und Tannhäuser („ein furchtbares Verbrechen ward begangen“), der sich zu seinen Gauklern gesellt hat, in Handschellen abführen lassen.
Theatermacher Kratzer begnügt sich nicht damit, dem Stück allen pseudoreligiösen Überbau auszutreiben und aus der „großen romantischen Oper“ eine moderne Filmkomödie ohne happy end zu machen. Er nutzt ausgiebig die Möglichkeiten der Film- und der Videotechnik, um Parallelszenen zu stellen, die einen Desillusionierungseffekt haben: während des Vorspiels zum zweiten Aufzug sehen wir Elisabeth, wie sie in der Garderobe noch einmal die Schminke überprüft, bevor der Inspizient sie auf die Szene drängt. Zu Wolframs Preislied auf die Liebe sehen wir Tannhäuser, wie er in der Kulisse steht und verächtlich das Gesicht verzieht. Zum Einzug der Gäste drängeln sich die Choristen in den engen Fluren des Bühnentrakts, und die Gaukler klettern über die Leiter ins Haus und verstecken sich erstmal in den Maschinenräumen. Bilder, Gags,Komödie, Parodie wohin man auch blickt. Dass die Szene häufig überhaupt nichts mehr mit dem Tannhäuser, wie wir ihn kennen, zu tut hat, das nimmt man bei dem grandiosen Spektakel, das hier in Bayreuth geboten wird, gerne hin.
Im dritten Aufzug, der im Vorspiel so getragen beginnt, dass man glaubt, jetzt stünde auch einmal die Musik im Zentrum des Interesses, stellt die Regie Wagner endgültig auf den Kopf. Elisabeth und Wolfram treffen auf dem Schrottplatz, wo auch der Oldtimer der Gaukler seinen letzte Ruhestätte gefunden hat, aufeinander. Da nun Elisabeth ihren Tannhäuser nicht „wiederfinden“ kann, zieht sie den Wolfram, der sich Perücke und Mantel des Clowns Tannhäuser übergezogen hat, zu sich in den Oldtimer – und über sich. Anschließend singt „der wohlgeübte“ Sänger“uns traurig seinen Hit an den Abendstern. Ja, wir verstehen schon: Omne animal triste post coitum. Die bei Wagner so „heilige Elisabeth“ trifft bei Kratzer die Strafe des Himmels: die Entjungferung ist ihr nicht bekommen, und sie verblutet im Oldtimer. Der doch noch zurückgekehrte Tannhäuser träumt vergeblich von einem Gauklerleben mit Lisa im Oldtimer. „Kinder, schafft Neues“ – „Frei im Wollen, frei im Thun, frei im Genießen“ – so meinte einst Wagner. „Von der Tragödie zur Komödie ist es nur ein Schritt“ – meinte einst ein anderer Revolutionär. Man muss den Schritt nur tun. Tobias Kratzer tut den Schritt in seinem Tannhäuser.
Dass im neuen Bayreuther Tannhäuser die Titelrolle mit Stephen Gould und die Rolle der Elisabeth mit Lise Davidsen grandios besetzt sind, das geht bei dem großen Spektakel fast unter.
Eine Sternstunde des Musiktheaters. Wir besuchten die Aufführung am 25. August 2019
Vergessen wir nicht, dass wir in diesem Jahr auch noch einmal Parsifal, Die Meistersinger und – jetzt zum dritten Mal – Tristan und Isolde gehört und gesehen haben. Näheres im Blog unter Bayreuth 2017 und Bayreuth 2018.