Elias – Aufstieg, Fall und Verklärung eines Fundamentalisten. Calixto Bieito inszeniert im Theater an der Wien Mendelssohn Bartholdy

Sagen wir es gleich. Hier wird keine fromme Geschichte aus dem Alten Testament erzählt – mag die Musik auch ( manchmal)  fromm, süß, romantisch klingen. Hier geht es um einen charismatischen Anführer, um Massenhysterie und religiösen Wahn in der Welt von Heute und nicht zuletzt um den Streit zwischen sich einander ausschließenden Ideologien.

Ganz im Sinne dieser Konzeption kann Ort des Geschehes kein imaginäres Israel des Alten Testaments sein. Schauplatz des Geschehens ist ein mit beweglichen Stahlgittern nach oben, nach hinten und zur Seite hin abgeschlossener Raum, ein Gefängnis, in dem eine sich hysterisch gebende Masse herum rennt , am Boden liegt, den Anführer je nach dramatischer Situation  feiert, bedrängt, ihn erschlagen will, seine Himmelfahrt oder auch seinen Feuertod vorbereitet. Der Anführer, Prophet, Guru, Wundertäter, Regenmacher, Arzt, Objekt der Begierde ist, so wie ihn die Regie konzipiert und wie ihn Christian Gerhaher  gestaltet, zugleich anziehend und abstoßend. Ein gefährliicher Fanatiker, der, als er sieht, wie sein Projekt, sein Versuch, die von ihm vertretene Ideologie als die allein selig machende durchzusetzen, scheitert, sich in den Selbstmord flüchtet und von seinen Anhängern zum Heiligen verklärt wird.… → weiterlesen

Die gescheiterte Integration oder blutige Geschichten aus den Südstaaten. Tobias Kratzer inszeniert La Forza del Destino an der Oper Frankfurt

Die Macht des Schicksals ist ein spanisches Stück aus romantischer Zeit, ein drama de honor, in dem es um Rache für den vermeintlichen Mord am Vater und die vermeintliche Verführung der Tochter geht. Der angebliche Mörder und Verführer ist ein Mestize, der nicht in die Familie eines spanischen Granden einheiraten darf. Er ist eben kein Spanier de ‚pura sangre‘. Da hilft auch nichts, dass dieser Mestize Sohn einer Inka Prinzessin und eines spanischen Adligen ist. Es fehlt ihm halt Entscheidendes. Die „Ehre“ gebietet es, dass der Sohn den  Tod des Vaters rächen und die Schwester und den Verführer töten muss. Und am Ende sind sie denn auch alle tot. Álvaro der edle Mestize, Carlo der rachsüchtige Bruder, Leonora die leidenschaftliche Schwester.

Ein schwer zu vermittelndes Stück. Schon der Titel führt in die Irre. Welches Schicksal ist denn da so übermächtig, das es alle Beteiligten in den Tod treibt. Tobias Kratzer schlägt eine originelle, wenn auch einseitige Lösung vor, entwickelt eine Grundkonzeption, die er überzeugend umsetzt. Das Schicksal ist hier die Rassendifferenz und das Unvermögen, diese vermeintliche Differenz zu überwinden. Mit anderen Worten: Kratzer entdeckt in dem scheinbar so antiquierten spanischen Drama ein ganz modernes Thema und verlegt zur Verdeutlichung des Geschehens die Handlung in die Südstaaten der USA und illustriert es an der –  nicht dort – seit mehr als einhundert Jahren ungelösten Rassenproblematik. So wird aus der privaten Geschichte von Álvaro, Carlo und Leonora ein Bilderbuch der amerikanischen Geschichte von Lincoln bis hin zu Obama. Álvaro ist für die Regie ein Farbiger, der, mag er auch eine Ausnahmeerscheinung sein, von Anfang an keine Chance hat, sich mit einer Weißen zu verbinden. Vor diesem Hintergrund ist Álvaro ein Opfer des Schicksals: konkret ein Opfer der Rassenpolitik der Weißen.… → weiterlesen

‚Im Herzen der Finsternis‘. Das Theater Freiburg gräbt Hulda, eine Oper von César Franck, aus – und schüttet sie mit einer misslungenen Inszenierung gleich wieder zu.

Hulda heißt das Opus um eine ‘starke Frau‘, das in Freiburg seine deutsche Erstaufführung erlebte. Hulda – so will es das Libretto – erzählt von Fehden und Stammeskriegen, von Gewalt und Racheorgien im Mittelalter in Norwegen.

Von späten Wikingern im hohen Norden  und deren Problemen will Theatermacher Tilman Knabe nichts wissen. So verlegt er das Geschehen in das Afrika von heute, genauer in den Kongo, wie es alle, die es in den beiden ersten Akten noch nicht bemerkt haben, über ein Plakat zu Beginn des dritten Akts erfahren. ‚Kongo‘ oder auch Joseph Conrads Roman  (bzw. die Verfilmung des Romans) Heart of Darkness ist die Schlüsselmetapher oder auch der ‚Textgenerator‘, an dem sich all die negativen Klischees, die über Afrika zirkulieren, festmachen lassen. Keine Angst. Es geht alles political correct zu. Keine schwarz geschminkten Sänger und keine schwarz angemalten Statisten bevölkern die Bühne. All die Kriminellen, all die Bestien, die da ‚die Sau raus lassen‘, die da morden, vergewaltigen, rauben, plündern, mögen sie nun westlich, orientalisch oder afrikanisch kostümiert sein, mögen sie Söldner, Uno-Blauhelme oder marodierende Banden sein, könnten jedem Hollywood Action-Film oder auch gestellten TV-Dokumentationen entstiegen sein. Als Filmeinstellungen will Tilman Knabe wohl auch seine Horrorgeschichten um die afrikanische Prinzessin Hulda verstanden wissen, um Hulda, die Rachegöttin oder, wenn man so will, die afrikanische Kriemhild, die jeden vernichtet, der ihr und ihrer Sippe Gewalt angetan hat. Im Finale trifft ihre Racheorgie auch den Kommandanten der Uno-Soldaten, ihren Geliebten, den sie aus Eifersucht hinterrücks erschlagen lässt.… → weiterlesen

Spanische und deutsche Geschichte in bunten Bilderbögen nebst einem dürftigen Soundtrack. Carlus Padrissa inszeniert Krenek, Karl V. an der Bayerischen Staatsoper

Wer zu einem Carlus Padrissa Theaterabend geht, der weiß, was ihn erwartet: ein neobarockes Fest der Bühnentechnik. Was  für das Barocktheater die Theatermaschinen waren, das sind für Carlus Padrissa und sein Team Hologramm und Video. Und beide leisten in der Tat Spektakuläres, schaffen einen bunten Bilderbogen aus Zitaten aus der Kunstgeschichte und eigenem Design, bewirken wie einst die Barockkünstler Erstaunen und Bewunderung („stupore“) beim Publikum. Und dies gelingt Padrissa und seinen La Fura dels Baus Mitarbeitern ohne Zweifel.

Dass der eine oder andere Betagte im Publikum trotz der schönen vielfarbigen bewegten Bilder einschlief, das ist nicht der Inszenierung anzulasten. Sie tat ihr Möglichstes, um das Publikum gefangen zu nehmen und dies nicht nur mit den Hologrammspielen. Da gibt es die ‚Artisten in der Zirkuskuppel‘ zu bewundern, vulgo: Akrobaten, die im Bühnenhimmel als Tableaux Vivants herum schweben, die gleich in der ersten Szene Tizians Gemälde La Gloria ‚entsteigen‘, sich ineinander verknoten und den Höllensturz der Verdammten nachstellen. Da gibt es Statisten, die über die Parkettreihen klettern oder Lustknaben und Mätressen am Hofe des französischen Königs mimen. Da treten die Akteure in Renaissance-Kostümen oder in Kimonos auf, da  trägt Karl V. ein Clownkostüm und eine Punkfrisur, und ein feister Luther ist – von Kostüm und Maske her zu urteilen – wohl gerade von seiner Kanzel in Wittenberg herabgestiegen. Da halten die Gegner des Kaisers (die deutschen Protestanten) drohend die Fackeln hoch,  Pizarro lässt in Sevilla säckeweise Gold ausladen und vergewaltigt so nebenbei eine der mitgebrachten Eingeborenen. – und alle Akteure waden im Feuchten sprich: sie tragen allesamt die ganze Zeit über Gummischuhe, farblich passend zum Kostüm.… → weiterlesen

Der sich ewig wiederholende erste Mord. Ein Spiel der Kinder? Romeo Castellucci inszeniert Alessandro Scarlatti, Il primo omicidio ovvero Caino im Palais Garnier

Il primo omicidio ist ein Oratorium für sechs Stimmen, das im Jahre 1707 uraufgeführt wurde und das den Kain/Abel Mythos erzählt. Auftretende Personen sind Kain und Abel, Adam und Eva, Gott und Luzifer. Wie lässt sich dieser biblische Mythos aus dem vierten Kapitel der Genesis in Szene setzen?

Theatermacher Castellucci hat, wie nicht anders zu erwarten war, eine ungewöhnliche Lösung   gefunden. Ein erster Teil – Adam und Eva beklagen die Vertreibung aus dem Paradies, Kain und Abel versuchen vergeblich, Gott mit Opfergaben zu versöhnen – ist als rituelles Mysterienspiel angelegt. Das Göttliche manifestiert sich über Lichterscheinungen, die an die Licht- und Farbenspiele, an die „Farbfeldmalerei“ eines Mark  Rotko erinnern.

Ganz anders der zweite Teil, der auf den ersten Blick für ‚Realismus‘ zu optieren scheint, einen Realismus indes, der sich als vordergründige Staffage für ein Spiel im Spiel, für ‚Theater auf dem Theater‘ erweisen wird. Die Szene ist ein mit hohen Gräsern und Sträuchern bewachsenes Feld, in dem sich die Akteure verbergen können, auf das Kain den ahnungslosen Abel lockt und ihn mit einem schweren Stein erschlägt.

Und jetzt wird das Feld zur Bühne, auf dem Kinderdarsteller die Rollen von Adam und Eva, Kain und Abel, Gott und Luzifer übernehmen und die Erzählung aus der Genesis als Pantomime nachspielen oder besser gesagt: weiterspielen als eine sich ewig wiederholende  Episode aus der Geschichte der Menschheit. Eine Episode, in der ganz im Sinne des in der Bibelexegese entwickelten Interpretationsschema von ‚Figur und Erfüllung‘ Abel zum Vorläufer (zur Figur) des leidenden Jesus wird, und Jesus mit seinem Leiden und Tod die ‚Figur‘ Abels „erfüllt“.  Und das gleiche gilt für die Relation von Eva und Maria sowie von Adam und Christus. Ein in Szene gesetztes exegetisches Modell, das wohl nicht jedem Zuschauer vertraut ist. Erkennbar ist jedoch für jeden, dass die großen Themen und Szenen der Menschheitsgeschichte zum Kinderspiel werden können, ein Spiel, das Kinder beginnen, achtlos wieder lassen und sich anderen Spielen zuwenden können. Im Finale verlassen die Kinder die Szene und spielen dabei mit ihren Bällen.

Die Kinder sind wie schon gesagt stumme Akteure auf der Bühne. Die Sänger haben ihnen die Rollen überlassen und singen vom Orchestergraben oder von der Seitenloge aus. So entsteht der Eindruck eines Doppel-Spiels, das alle Illusionen zerbricht. Alles – Sündenfall, Mord und versprochene Erlösung –  ist nur ein Spiel und nicht mehr.  So macht Castellucci aus einem biblischen Mythos ein Spiel, ein Kinderspiel – mag auch Scarlatti in seinem Oratorium etwas anderes gewollt haben.

Wenn René Jacobs am Pult steht, dann versteht es sich von selber, dass alle Rollen exzellent besetzt sind und dass unter der Leitung des Maestro das belgische „B’Rock Orchestra“ einen Scarlatti zelebriert, wie man ihn ausgefeilter wohl kaum hören kann.

Wir besuchten die Aufführung am 31. Januar 2019, die vierte Vorstellung an der Opéra National de Paris. Die Premiere war am 24. Januar 2019.

 

 

Judith und die SS-Männer oder eine Résistance Heldin wider Willen. Eine peinlich verfehlte Inszenierung von Vivaldis Oratorium Juditha Triumphans an De Nationale Opera Amsterdam

 

Vivaldis Oratorium (sacrum militare oratorium), das im  Jahre 1716/1717 in Venedig von den jungen Damen des Ospedale della Pietà uraufgeführt wurde, erzählt die bekannte Episode aus dem Buch Judith des Alten Testaments: um ihre Stadt und ihre Glaubensgenossen vor den feindlichen Assyrern zu retten, geht die schöne Judith in das Lager der Feinde, gewinnt dort die Gunst des Anführers und tötet diesen.

Eine effektvolle Personenkonstellation – femme fatale erledigt den mit Hybris geschlagenen Macho – und eine nicht minder effektvolle politische  Parabel vom Sieg der Unterdrückten über die Unterdrücker.

Personenkonstellation und Parabel bilden für einen Theatermacher von heute mit realistischem Horizont und antifaschistischer Gesinnung geradezu eine Steilvorlage. Ganz in diesem Sinne macht Regisseur Floris Visser aus der Episode aus dem Alten Testament eine Heldenmär, die sich im zweiten Weltkrieg in einem von der SS  besetzten Land ereignet, die Jagd auf Juden macht. Die Zutaten bieten sich geradezu von selber an: Deportationen, Gewalt, Vergewaltigung, Erschießung von Résistance- Kämpfern, sadistische SS-Männer und ein Obersturmbannführer, der sich von der schönen Judith, die sich als Attentäterin mehr oder weniger freiwillig anbietet, leicht verführen lässt. Die Folgen für ihn und seine Männer sind offensichtlich.… → weiterlesen