‚Im Herzen der Finsternis‘. Das Theater Freiburg gräbt Hulda, eine Oper von César Franck, aus – und schüttet sie mit einer misslungenen Inszenierung gleich wieder zu.

Hulda heißt das Opus um eine ‘starke Frau‘, das in Freiburg seine deutsche Erstaufführung erlebte. Hulda – so will es das Libretto – erzählt von Fehden und Stammeskriegen, von Gewalt und Racheorgien im Mittelalter in Norwegen.

Von späten Wikingern im hohen Norden  und deren Problemen will Theatermacher Tilman Knabe nichts wissen. So verlegt er das Geschehen in das Afrika von heute, genauer in den Kongo, wie es alle, die es in den beiden ersten Akten noch nicht bemerkt haben, über ein Plakat zu Beginn des dritten Akts erfahren. ‚Kongo‘ oder auch Joseph Conrads Roman  (bzw. die Verfilmung des Romans) Heart of Darkness ist die Schlüsselmetapher oder auch der ‚Textgenerator‘, an dem sich all die negativen Klischees, die über Afrika zirkulieren, festmachen lassen. Keine Angst. Es geht alles political correct zu. Keine schwarz geschminkten Sänger und keine schwarz angemalten Statisten bevölkern die Bühne. All die Kriminellen, all die Bestien, die da ‚die Sau raus lassen‘, die da morden, vergewaltigen, rauben, plündern, mögen sie nun westlich, orientalisch oder afrikanisch kostümiert sein, mögen sie Söldner, Uno-Blauhelme oder marodierende Banden sein, könnten jedem Hollywood Action-Film oder auch gestellten TV-Dokumentationen entstiegen sein. Als Filmeinstellungen will Tilman Knabe wohl auch seine Horrorgeschichten um die afrikanische Prinzessin Hulda verstanden wissen, um Hulda, die Rachegöttin oder, wenn man so will, die afrikanische Kriemhild, die jeden vernichtet, der ihr und ihrer Sippe Gewalt angetan hat. Im Finale trifft ihre Racheorgie auch den Kommandanten der Uno-Soldaten, ihren Geliebten, den sie aus Eifersucht hinterrücks erschlagen lässt.… → weiterlesen

Orlando für müde Opernbesucher. Das Theater Freiburg kürzt Händels Orlando auf zwei Stunden und begeistert sein Publikum

Ein glühend heißer Tag in Freiburg. Im Opernhaus auch am Abend noch Saunatemperaturen. All dies stört Akteure und Musiker  anscheinend nicht im Geringsten. Das Philharmonische Orchester Freiburg spielt unter der Leitung von Julia Jones einen Händel der Extraklasse -melancholisch und temperamentvoll, ganz wie es die jeweilige dramatische Situation gebietet. Die Streicher – so erfährt man im Programmheft – musizieren mit „Barockbögen“. Ein Grund – vielleicht – für den so ungewöhnlichen ‚Schönklang‘. Oder wie will man diesen Klang  nennen? Die Musikfeuilletonisten werden es wissen – vielleicht. Doch ergehen wir uns nicht in Feuilletonlyrik. Sagen wir einfach:  es hat mir gefallen, es hat mich beeindruckt, wie in Freiburg Händel zelebriert wird.

Und das gleiche gilt für die Akteure auf der Bühne. Wie Xavier Sabata den Orlando sang und gestaltete, wie sein so wunderschöner, so klarer Countertenor so leicht und so scheinbar  mühelos den Raum füllte, wie seine Stimme die ganze Skala der Affekte durchzuspielen, Liebe, Schmerz, Raserei zu gestalten wusste, das ist einfach grandios. Ich hatte Xavier Sabata schon in kleineren Rollen gehört – zuletzt in Bad Lauchstädt im Rahmen der diesjährigen Händelfestspiele – und seine Kunst bewundert. Doch an diesem Abend in Freiburg als Orlando da hat er als Sänger und Schauspieler sich geradezu selbst übertroffen. Da war er faszinierend und wurde zu Recht von einem Publikum, das alle Müdigkeit vergessen hatte, begeistert gefeiert. Das soll nicht heißen, dass alle anderen Rollen nicht angemessen besetzt waren. Doch an diesem Abend überragte sie Orlando alle.

Und die Inszenierung? Ich muss gestehen, ich habe die Konzeption, wenn es denn eine gab, nicht verstanden: ein Einheitsbühnenbild, auf der Drehbühne ein birnenförmiges stählernes Gerüst, das zu Turnübungen einlädt. Ein Cembalo, vor dem gelegentlich ein Musiker im Barockkostüm sitzt. Nach der Pause fungiert das Cembalo als Blumenkasten. Statisten, offensichtlich mit Balletterfahrung, die mal Unterweltgeister, mal sanfte exotische Zootiere mimen. Der Magier, eine Mischung aus protestantischem Pastor und fernöstlichem Guru. Sind der Magier, das Stahlgerüst, die Tiere, vielleicht auch Angelica und Medoro, nur Phantasie- und Wahngebilde eines Orlando furioso? Ist dieser Orlando, wie er da barfuß im weißen Sommeranzug auf der Bühne herumirrt, vielleicht Patient in einem Sanatorium? Tritt deswegen Dorinda als Krankenschwester auf? Sind Angelica, die mit halber Gesichtsmaske auftritt und  der knabenhafte Medoro vielleicht Figuren aus der commedia dell’arte, eben Wiedergänger der Verliebten, der Innamorati? Ist dieser so verliebte Medoro vielleicht androgyn? Oder ist das Liebespaar vielleicht  lesbisch? Fragen, auf die Theatermacher Joachim Schlömer, von dem wir vor Jahren einmal eine brillante Inszenierung von Les Troyens in Stuttgart gesehen haben, keine Antwort geben will.

Doch warum wollen wir unbedingt nach einer anspruchsvollen Grundkonzeption suchen. Sagen wir einfach: wir sahen ein Märchenspiel, hörten und sahen brillante Sängerschauspieler, hörten virtuos gespielte Musik  und erlebten in einem mittelgroßen Haus einen schönen – leider zu stark gekürzten Händelabend.

Wir besuchten die Aufführung am 19. Juli 2015. Die Premiere war am 12. Juli 2015.

 

 

Die Mär vom Leiden und Sterben am katholischen Fundamentalismus. Ein Fiebertraum in der Kapelle. Tannhäuser am Theater Freiburg

In Freiburg beginnt man gleich zur Ouvertüre spektakulär. Ein riesiger Papst Popanz verweigert mit permanent Nein sagender Kopfbewegung einem sich am Boden einer Kapelle wälzenden Tannhäuser jegliche Vergebung. Als zusätzliche Strafe erlebt der Unglückliche daraufhin in einer Art Fiebertraum rückblickend noch einmal seine Geschichte: in der Kapelle feiern zum Gottesdienst versammelte Männlein und Weiblein in knielangen weißen Hemden, die an Chor- oder auch an OP-Hemden erinnern, eine Art schwarze Messe, binden eine weibliche Figur ans Kreuz und lassen diese gen Himmel auffahren. Ja, warum nicht. Die Kapelle ein Venusberg. Der Venusberg eine Kapelle. Eine radikale und plakative  Umsetzung des Kontrasts von Christlichem und Paganem, wie sie Musik und Libretto bestimmen. Diese hybride Struktur der „romantischen Oper“ plakativ in Szene setzen zu wollen, erweist sich im Laufe der Aufführung immer eindeutiger als die Grundkonzeption der Inszenierung, für die Eva-Maria Höckmayr verantwortlich zeichnet.… → weiterlesen

Rinaldo und die Blitzmädel. Eine Händel Oper in Kurzfassung am Theater Freiburg

Das Musiktheater in  Freiburg  im Breisgau ist ein seltsames Haus. Ein Haus, das immer für Überraschungen gut ist – im positiven wie im negativen Sinne. Dort produziert man mit den Möglichkeiten eines mittleren Hauses einen recht respektablen Ring des Nibelungen oder auch einen durchaus gelungenen Lohengrin oder auch  eine faszinierende Lucia di Lammermoor. Dort präsentiert man eine dürftige Salome oder auch einen peinlichen Lucio Silla.  Das Freiburger Publikum nimmt das alles geduldig hin.  Die Zugereisten sind irritiert: mal erfreut, mal verärgert. Und jetzt beim Rinaldo?  Da sind sie wieder einmal verärgert.… → weiterlesen

Gutmensch L. in der Bibliothek von Babel und bei den Sektenbrüdern: Lohengrin am Theater Freiburg

Es müssen ja nicht immer gleich  die großen Staatstheater in München, Wien oder Berlin sein. Auch in kleineren Häusern – eine Erfahrung, die wir zuletzt in Frankfurt, in  Karlsruhe, in Lübeck und jetzt in Freiburg im Breisgau  machen konnten, gelingen hervorragende Wagner Aufführungen, werden wie jetzt in Freiburg eigenwillige Inszenierungen vorgestellt. In Freiburg hat Wagners Gralsritter alles Geheimnisvolle, alles Mythische, jegliche Aura verloren.… → weiterlesen

Geschichten aus dem Freiburgland. Eine respektable Götterdämmerung am Theater Freiburg

Wenn mittelgroße Häuser sich an den Ring wagen und wenn er dann wie jetzt in Freiburg (vielleicht mit Ausnahme des Rheingolds) auch noch gelingt, dann erübrigt sich jegliche Mäkelei, dann kann man den Wagemut der Verantwortlichen nur bewundern. In Freiburg steht – allen voran Christian Voigt als Siegfried und Sabine Hogrefe als Brünnhilde – ein brillantes Sängerensemble auf der Bühne, das nach einem etwas verhaltenen Beginn  sich immer mehr steigerte und das zu Recht enthusiastisch gefeiert wurde. Auch was aus dem Graben klang, war beachtlich (es muss ja nicht immer gleich die Wagnerdroge sein, wie sie –  manchmal – den großen Häusern gelingt). Die Inszenierung versucht sich erst gar nicht an einem Welterklärungsmodell, sondern setzt konsequent und stringent auf eine Aktualisierung und Degradierung des Mythos, um nicht zu sagen: auf eine Banalisierung des Geschehens. In Freiburg geht es nicht um Gott und Menschheit, tumbe Helden und finstre Bösewichte. Hier geht es um Intrigen, um Eifersucht und Rachsucht und Scheitern unter eher unbedarften kleinen Leuten. Brünnhilde ist in der ersten Szene das späte Mädchen von nebenan, das mit seinem Lover im Bett liegt und von Albträumen gequält wird: ihre Puppen verwandeln sich in groteske Hexen (bei Wagner die Nornen) und versuchen, sie im Wortverstande einzuspinnen und zu fesseln. Siegfried, im weißen Sommeranzug, ist ein eitler Sunnyboy, der offensichtlich mit der falschen Frau im Bett liegt und der von Gutrune, die ein bisschen auf verrucht macht, mit einem Kuss (auf den Zaubertrank verzichtet die Regie zu Recht) gefügig gemacht wird. Und Hagen ist keineswegs der Finsterling, als der er so gerne präsentiert wird. In Freiburg ist er mit Brille und im gediegenen Anzug ein Intellektueller, vielleicht ein zu kurz gekommener Professor oder Bibliotheksrat, der für die Katakomben der Uni-Bibliothek zuständig ist und inmitten von unausgepackten Bücherkartons lebt. Gunther und Gutrune sind wohl für die  oberen Etagen der Bibliothek zuständig. Da ergibt es sich gleichsam von selber, dass man in den Kisten die alten Geschichten von Siegfried und Hagen und den Nibelungen findet und – ein schöner, gar nicht aufdringlicher Metatheatergag –  sie nachspielt.  Und alle Mitarbeiter spielen mit: die studentischen Hilfskräfte dürfen die Rheintöchter machen und die kräftigen  Bücherschlepper, die spielen halt die Mannen. Professor Hagen ist am Ende richtig erschrocken darüber, dass er seinen Rivalen, den Schönling Siegfried, gemeuchelt hat. Wollte der doch gar nicht Bibliotheksdirektor werden, sondern sich nur mit der hübschen Assistentin Gutrune amüsieren. Oder sagen wir es im Uni-Jargon: Altgermanist Prof. Hagen hat endlich sein Forschungsobjekt, die Nibelungen, und den verhassten, so erfolgreichen Kollegen noch dazu zur Strecke gebracht. Schade nur, dass das frustrierte späte Mädchen, die neu dazu gekommene Kollegin, der alle Mitspieler so viel Übles angetan haben, den burschikosen Rächer mimen will. Da bleibt Professor Hagen nur die Flucht hinter seine Bücherkartons, und alle Mitspieler (alle Mitarbeiter der Bibliothek) schauen im Finale recht verbiestert drein. Ja, warum soll man Wagners Mythen nicht auch mal von ihrer Schwerlastigkeit befreien und sie als Variante der Banalitäten erzählen. In Freiburg macht man das gekonnt. Wir  sahen die Vorstellung am 4. Juni 2010. Die Premiere war am 16. Mai des gleichen Jahres.