Brillante Sänger im Mythensalat. Romeo Castellucci inszeniert Tannhäuser an der Bayerischen Staatsoper

Sagen wir es gleich ohne alle Umschweife: im Münchner Tannhäuser singt und agiert ein exzellentes Ensemble, wird von Klaus Florian Vogt in der Titelrolle, von Michael Nagy als Wolfram und von Lise Davidsen als Elisabeth so herausragend schön gesungen, wie man es sich besser kaum vorstellen kann. Wagner Stimmen der Extraklasse.

Alles andere  war mehr oder weniger eine Enttäuschung. Das bayerische Staatsorchester, das in der von uns besuchten Aufführung von Simone Young geleitet wurde, hielt sich sehr zurück, so wolle man von Erotik und Frömmelei nichts wissen. Es muss ja auch nicht bei der Venusmusik glitzern und bei den Chören dröhnen. Aber ein bisschen mehr Power hätte man sich mehr gewünscht. Das ist halt  Interpretationssache.

Wer zu einer Castellucci Inszenierung geht, der weiß nie, was ihn erwartet. Die Skala unseres so oft gefeierten Theatermachers  reicht von genialisch-brillant über ungewöhnlich und provozierend bis hin zu ärgerlich und peinlich. Seine Salome, die wir im vergangenen Sommer in Salzburg gesehen haben, fällt zweifellos unter die Rubrik genialisch-brillant. Seine Version von Orfeo e Euridice, die vor ein paar Jahren bei den Wiener Festwochen und später in Brüssel zu sehen war, war nur ärgerlich und peinlich. Und jetzt in München? Hier ist ein ungewöhnlicher, allerdings kein provozierender Tannhäuser zu sehen. Mythensalat oder weniger salopp gesagt: fragmentarisches und variierendes Zitieren von klassischen und modernen Mythen, so könnte man vielleicht Castelluccis Münchner Grundkonzeption nennen.

Zur Ouvertüre und zur Venusberg Sequenz lässt Artemis, die jungfräuliche Göttin, gleich mehr als ein Dutzend ihrer Gespielinnen auftreten. Barbusig und mit Pfeil und Bogen bewaffnet, schießen sie auf den Voyeur. Keine Angst, nicht auf den Voyeur im Publikum, der kann bei der spärlich beleuchteten Bühne sowieso kaum etwas erkennen, sondern auf ein überdimensionales Auge, wohl auf das Auge des Jägers Aktaion, der , so will es der der Mythos , Artemis und ihre Jungfrauen beim Baden beobachtet hatte und zur Strafe in einen Hirsch verwandelt wurde.( Den Hirsch, den erlegten Hirsch, treffen wir in der vierten Szene, wenn die Jäger des Landgrafen ihn auf die Szene schleppen). Uns im Publikum, die wir auf die schönen Jungfrauen geschaut haben, trifft allerdings auch eine Strafe. Wir müssen auf die „Göttin der Liebe“ schauen. Sie ist keine Botticelli Venus, sondern die Urmutter, die bis zum Hals im Urschleim steckt. Dass angesichts dieser ungewöhnlichen Situation, Tannhäuser (vom Outfit her eine Mischung aus Jesuitenpater und Operndirigent) zu Maria flüchten will, das kann man leicht nachvollziehen. Nur vergisst  der arme Tannhäuser bei seiner Flucht, dass Maria und Artemis, die beiden jungfräulichen Göttinnen, aufeinander verweisen und dass, wer sich mit unedler Absicht ihnen und ihrem Gefolge zu sehr nähert, zugrunde geht. Fatalerweise  gehört „die reine Jungfrau“ Elisabeth zum Gefolge – und damit ist Tannhäusers Schicksal besiegelt.

Man mag dieses Verweisen auf Mythen als überzogen deuten. Doch auch im zweiten und dritten Aufzug bleibt Castellucci bei seiner Vorliebe für Mythen. Doch  – wohl um sein Publikum nicht zu überfordern, konzentriert er sich jetzt auf populäre, moderne Mythen. Im zweiten Aufzug glaubt man sich bei Sarastro und seinen misogynen Priestern, die vor lauter Angst vor den Weibern diese bei ihren  Gesängen nicht dabei haben wollen und  sie hinter einen Vorhang verbannen. Und im dritten Aufzug  da sind wir in einer düsteren Gruft. Vielleicht ruhen hier Romeo und Julia und Tristan und Isolde? Nein, die Sarkophage tragen die Namen Klaus  und Lise, die bürgerlichen Namen der beiden Protagonisten. Ein geschmackloser und peinlicher Regieeinfall. Ein Glück nur, dass unser Theatermacher schnell zur Fktion zurückfindet, Tannhäuser seine berühmte Romerzählung vortragen lässt  – und sie leider immer wieder von Friedhofsbediensteten, die Leichen herein tragen, stören lässt. Im Finale darf Tannhäuser dann noch  mit Elisabeth Asche austauschen, statt einen Liebestrank zu trinken. Kein Liebestrank, keine himmlische Seligkeit. Nur Asche, Staub, Nichts. Eine Inszenierung, die mit hohen Ansprüchen beginnt und sich im Finale in Banalitäten verliert.

Allein, was tut`s. Allgemeine Begeisterung im Publikum, das mal wieder erfährt, dass Eros und Thanatos zusammen gehören, dass im ‚Kern‘ des Mythos so manche Weisheit steckt, dass Wagner frei nach Nietzsche ein großer Komödiant  und mit der Sogwirkung seiner Musik  ein „Verführer großen Stils“ ist.

Wir besuchten die Aufführung am 12.Mai 2019. Die Premiere war am 21. Mai  2017.

 

 

Und die Orgie mit den Balletteusen geht weiter, und fromme Mädchen kommen in den Himmel – vielleicht

Zwiespältig ist der Eindruck, den der Amsterdamer Tannhäuser hinterlässt..Das Nederlands Philharmonisch Orkest unter Maestro Albrecht musiziert grandios, reicht dem Publikum die berüchtigte Wagner Droge und wird zusammen mit seinem Dirigenten zu Recht gefeiert. Musiker und Maestro sind die Stars des Abends. Allein was aus dem Graben klang, fand  nicht immer den entsprechenden Widerhall auf der Bühne. Anders ausgedrückt: nicht alle Rollen waren, wie man das in Amsterdam gewohnt ist und auch erwartet, optimal besetzt. Nach einem matten ersten Aufzug, in dem sich Tannhäuser offensichtlich sehr schont und Venus sich nicht minder zurückhält, fragt man sich beklommen, wie das wohl weiter gehen soll. Die Sorge war unbegründet. Es ging ganz passabel weiter. Ein  – so will es die Regie – noch von Venus berauschter Tannhäuser singt  beim Sängerkrieg die Konkurrenten leicht nieder, mimt und singt dann gekonnt den Jammerlappen. Und auch die gefürchtete Rom Erzählung gelingt ihm ohne Schwierigkeiten. Doch warum die Regie aus dem stimmlich so geforderten Sänger unbedingt einen nervösen aufgekratzten Typen machen musste, der von einer mütterlichen Venus halbherzig flieht und beim scheuen Kuss einer altjüngferlichen Elisabeth gleich ausrastet, das habe ich nicht verstanden.

Pardon, wir machen keine Sängerkritik. Das steht uns nicht an. Sagen wir nur ganz vorsichtig. Der Tannhäuser ist für Daniel Kirch wohl nicht unbedingt die ideale Rolle. Und bei den beiden Damen hätte man sich in Stimme und Bühnenerscheinung ein bisschen mehr erotische Ausstrahlung gewünscht. Zumal es ansonsten auf der Bühne an  Erotik  und verkrampftem und unterdrücktem Sex nicht mangelte.… → weiterlesen

Tannhäuser mit Ballett und „Ausdruckstanz“ und mit Erotik aus dem Orchestergraben in der Staatsoper im Schiller Theater

Es muss ja nicht immer ein Tannhäuser gegen den Strich sein – ohne Erlösung und mit Selbstmord oder ein Tannhäuser als scheiternder Künstler mit Notenblättern unter dem Arm oder ein Tannhäuser, der von Albträumen und Wahnvorstellungen gequält wird oder ein Tannhäuser als Outlaw im Bordell der braven Bürger oder ein Tannhäuser, der mit Frau Venus eine schwarze Messe feiert und im Hospiz zu Charenton endet – und was es da sonst noch an Deutungsmöglichkeiten gibt.

An der Staatsoper im Schillertheater, wo die Choreographin Sasha Waltz Regie und Ausstattung des neuen Tannhäusers verantwortet, hat man sich für die einfachste Lösung entschieden. Ohne ideologischen Anspruch, ohne Weltverbesserungsabsicht, ohne zwanghaftes Suchen nach Originalität hält man sich einfach an das, was im Libretto steht und ergänzt Musik und Libretto mit Tanz, mit Ausdruckstanz und schafft so eine dritte Dimension. Eine durchaus gelungene Lösung – ganz wie man sie von eine Choreographin erwartet. Warum  ein Teil des Publikums lautstark sein Missfallen über die Inszenierung kundtun musste, kann ich nicht nachvollziehen. Wer lieber einen spektakulären  Tannhäuser sehen möchte, der sollte halt nach Dresden zu Konwitschnys oder nach Wien zu Guths Inszenierung fahren. Dort wird ihm  beide Male ein Tannhäuser A rebours geboten.

Was im Schillertheater auf der Szene geboten wurde – sieht man einmal von den eher peinlichen erotischen  Bodenturnübungen ab, die die Tanzgruppe zum Pariser Bacchanal in einer Art aufgewölbter Muschel absolvierte, sieht man von dieser missglückten Introduktion einmal ab, dann waren alle Ausdruckstänze einfach nur schön. Ganz gleich ob die Tanzgruppe nun Pilger, Jagdgenossen, eine junge Festgesellschaft spielte und tanzte und dabei eben Gesang und Text und Orchesterklang in Gestik und Bewegung umsetzte, all dies war alle Male überzeugend, ansprechend, einfach schön anzusehen.

Doch beim Berliner Tannhäuser steht nicht die Inszenierung im Zentrum. Ganz im Gegenteil. Orchesterklang und Gesang dominieren. Ich bin nicht unbedingt ein Barenboim Fan. Doch wie der Maestro mit der Staatskapelle an diesem Abend die glitzernde Erotik der Tannhäuser Musik hervorzauberte, das war schon höchst beeindruckend. Und wie Peter Seiffert, der nun fürwahr kein Jüngling mehr ist, bis in die letzte Szene hinein einen brillanten, makellosen Tannhäuser sang, das war nicht minder beeindruckend. Keine Frage: ein großer Opernabend in der Staatsoper.

Wir sahen die Aufführung am 27. April 2004, die vierte Vorstellung. Die Premiere war am 12. April 2004.

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Die Mär vom Leiden und Sterben am katholischen Fundamentalismus. Ein Fiebertraum in der Kapelle. Tannhäuser am Theater Freiburg

In Freiburg beginnt man gleich zur Ouvertüre spektakulär. Ein riesiger Papst Popanz verweigert mit permanent Nein sagender Kopfbewegung einem sich am Boden einer Kapelle wälzenden Tannhäuser jegliche Vergebung. Als zusätzliche Strafe erlebt der Unglückliche daraufhin in einer Art Fiebertraum rückblickend noch einmal seine Geschichte: in der Kapelle feiern zum Gottesdienst versammelte Männlein und Weiblein in knielangen weißen Hemden, die an Chor- oder auch an OP-Hemden erinnern, eine Art schwarze Messe, binden eine weibliche Figur ans Kreuz und lassen diese gen Himmel auffahren. Ja, warum nicht. Die Kapelle ein Venusberg. Der Venusberg eine Kapelle. Eine radikale und plakative  Umsetzung des Kontrasts von Christlichem und Paganem, wie sie Musik und Libretto bestimmen. Diese hybride Struktur der „romantischen Oper“ plakativ in Szene setzen zu wollen, erweist sich im Laufe der Aufführung immer eindeutiger als die Grundkonzeption der Inszenierung, für die Eva-Maria Höckmayr verantwortlich zeichnet.… → weiterlesen

„So bist nun ewig du verdammt“ und endest im Selbstmord oder im Puff der Madame Venus. Zwei Wiederaufnahmen des Tannhäuser an der Semperoper und an der Oper Frankfurt

Gleich zwei Wiederaufnahmen aus der Konwitschny Schule erlebten wir an den letzten beiden Wochenenden. Ich sage bewusst ‚erleben‘, denn große Opernabende waren in der Tat in Dresden und in Frankfurt zu erleben. Die Semperoper zeigte wieder Konwitschnys spektakulären Tannhäuser, der vor nunmehr über sechzehn Jahren Premiere hatte. Und in Frankfurt stand Vera Nemirovas Tannhäuser Inszenierung vom Jahre 2007 wieder auf dem Programm. Sagen wir es gleich ohne alle Umschweife: gäbe es einen Wettstreit der beiden Inszenierungen, dann gewänne alle Male die Semperoper den ersten Preis. Ginge es um den musikalischen Part, dann gebührte der Frankfurter Wiederaufnahme wohl der erste Preis.

Den Tannhäuser der Semperoper hatte ich vor über fünf Jahren schon einmal gesehen und war damals restlos begeistert: „Ein grandioser Opernabend, an dem es nichts zu bekritteln gibt“ – das hatte ich mir damals notiert. Jetzt bei der Wiederaufnahme muss man leider ein paar Abstriche machen. Natürlich schwelgte die Staatskapelle in Wagners „Klangfarbenpracht“ (Bernd Loebe). Doch die Aufführung litt von Anfang an an einem Handicap: der Sänger der Titelrolle war schon bei seinem ersten Auftritt indisponiert und hielt nur mühsam den ersten Aufzug durch, konnte in den folgenden Akten nur den Tannhäuser mimen, und ein Sänger des Ensemble musste kurzfristig die Gesangsrolle von der Seitenbühne aus übernehmen. Und das machte  er nach zögerndem Beginn recht brillant und rettete so die Aufführung.

Doch für all dies Ungemach entschädigt Konwitschnys Inszenierung, die auch nach all den Jahren keine Spur von Patina angesetzt hat und noch immer fasziniert und in der noch immer berückende Einzelheiten zu entdecken sind.  Erträumt sich Tannhäuser im ersten Akt ein Orpheus Schicksal? Sind die Gespielinnen der Venus, die Tannhäuser Marionetten zerreißen, Mänaden, die auch ihn bald zerreißen werden?  Sind die Wartburgsänger Judenkarikaturen? Wird im Finale des zweiten Aufzugs Goya und sein Zyklus Desasters de la Guerra zitiert und im zweiten Akt vielleicht  die Farbenpracht eines Miró? Sind die Pilger im Finale  Taliban Fanatiker und  Talmudschüler, die Kreuze schwingen? Oder sind die Kreuze, die auch schon die Wartburgsänger mit sich schleppten, nur sinnentleerte Symbole? Ehemalige christliche Symbole, die zu Phallussymbolen geworden sind? Ist alles Religiöse gleich welcher Provenienz doch nur Mummenschanz?  Fragen über Fragen, auf die die Regie keine Antwort gibt. Nur eine Antwort weiß sie: Erlösung wird Dir nimmermehr zuteil. Eine Tannhäuser Deutung gegen den Strich, wie man sie von Konwitschny auch nicht anders erwartet hatte. (Zu den Einzelheiten verweise ich auf meine Bemerkungen, die sich im Blog unter der Rubrik Dresden finden).

Und in Frankfurt? Da bleibt die Regie in der Tradition von Konwitschnys Anti-Erlösungsdiskurs und verschärft und karikiert diesen noch dazu.… → weiterlesen

Und zur Pause gibt’s ein Aphrodisiakum. Tannhäuser beim Richard Wagner Festival in Wels

Nein, zu Wagners 200. Geburtstag waren wir nicht in Leipzig, nicht in Dresden und schon gar nicht in Bayreuth. Wir waren in einer mittelgroßen Stadt in Österreich, in Wels, wo man seit mehr als zwanzig Jahren  ein ehrgeiziges  Wagner Festival im ehemaligen Ballsaal eines großen Hotels  organisiert und damit großen Erfolg hat. Kein Wunder, denn die Liste der Mitwirkenden weist eine ganze Reihe  illustrer Wagner Interpreten auf. Und auch  beim diesjährigen  Tannhäuser stehen  mit Jon Ketilsson in der Titelrolle, Astrid Weber als Elisabeth und Clemens Unterreiner als Wolfram, um nur die Namen der Protagonisten zu nennen, renommierte und brillante Sänger auf der Bühne des kleinen Hauses. So war denn in Wels (leider mit gewissen Einschränkungen) ein höchst respektabler Tannhäuser zu hören, eine Aufführung auf einem Niveau, wie man es gar nicht erwartet hätte. Ja, wenn nur nicht diese erste schreckliche halbe Stunde gewesen wäre.… → weiterlesen